Ski alpin:Lindsey Vonn: "Ich bin alt, aber ich bin noch nicht fertig"

Lindsey Vonn

Lindsey Vonn: Noch immer nicht satt

(Foto: AP)

Lindsey Vonn hat in ihrer Karriere alles erreicht. Trotzdem fährt sie um jeden Preis, sogar mit Haarriss im Knie. Warum nur?

Von Johannes Knuth

Der Materialnachschub stockte, und am Sonntagmorgen wurden die Vorräte langsam knapp. Die Skirennfahrerin Lindsey Vonn musste ja sämtliche Sicherungssysteme anlegen, als sie sich am Sonntag in Soldeu auf die Piste schob, eine Schiene fürs linke Knie, eine fürs rechte. "Meine Vorräte an Schienen sind erschöpft", teilte sie mit, halb betrübt, halb erleichtert. Am Tag zuvor hatten sie noch ganz andere Bilder von der 31 Jahre alten Amerikanerin verbreitet.

Vonn, wie sie im verschneiten Super-G von der notdürftig geräumten Fahrspur in den bremsenden Schnee getrieben wird, Vonn, wie sie stürzt, Vonn, von Helfern im Akia von der Piste geschoben, Vonn im Krankenbett, das linke Knie in Eis verpackt. Am Samstagabend deutete manches darauf hin, dass der tückische Winter den nächsten prominenten Fahrer aus der Elite gerissen hat - ehe Vonn ihre Diagnose in die Welt funkte: Haarriss, alles halb so wild. Alles nur Psychospielchen? Am Sonntag rutschte sie bei der Pisteninspektion jedenfalls über die Piste, Schiene links, Schiene rechts. Sie würde doch nicht . . .?

Zwischen Krankenbett und Zielankunft lagen nicht einmal 24 Stunden

Doch, sie will, sie muss. Der Gesamtweltcup der Frauen ist in diesem Winter ja noch immer ausgeschrieben. Ein Ausfall Vonns, und die Schweizerin Lara Gut bliebe als einzige Athletin mit erfolgsversprechender Bewerbung übrig. Vonn schob sich bei der Abfahrt, dem ersten Teil der alpinen Kombination am Sonntag, also aus dem Starthaus, die ersten Meter absolvierte sie ungefähr so dynamisch und flink wie ein Ferrari mit Motorschaden und zwei platten Reifen. Aber dann. Nach zwei, drei Schwüngen warf sie sich wieder in die Kurven wie eh und je.

Zwischen Krankenbett und Zielankunft lagen nicht einmal 24 Stunden. Vonn war übrigens Bestzeit gefahren. Und auch wenn sie es beim Slalom auf Platz 13 zurückwehte, sicherte sich Vonn mehr Zähler für die Wertung als Gut; die Schweizerin schied im Slalom aus.

"Ich bin eine Kämpferin", sagte Vonn nach der Kombination, die Marie-Michèle Gagnon aus Kanada gewonnen hatte. "Es war wichtig, dass die anderen Fahrerinnen sehen, dass ich nicht aufgebe. Jeder denkt, es war nur Drama und Schauspiel", fügte Vonn an, die gerne zu ein wenig Drama und Schauspiel neigt, "aber das ist Quatsch. Ich bin alt, aber ich bin noch nicht fertig."

Vonn jagt schon Rekorde der Männer

Vonns Familie hatte im vergangenen Sommer um eine Unterredung gebeten, es war vor allem eine Frage, die sie an die 31-Jährige herantrugen: Warum tust du dir das Skirennfahren noch immer an? Gegen Läuferinnen, die zehn, zwölf Jahre jünger sind, während sich die Klassenkameradinnen aus Vonns Jahrgang fast alle zurückgezogen haben? Vonn hat es tatsächlich nicht mehr nötig, sich Pisten hinunterzustürzen, die glatt sind wie Eishockeyfelder, mit 120, 130 Stundenkilometern, während Rücken und Knie nach jeder Fahrt etwas mehr schmerzen.

Sie ist Olympiasiegerin in der Abfahrt, zweimalige Weltmeisterin, vier Mal hat sie den Gesamtweltcup gewonnen, 76 Mal wanderte ein Tagessieg in ihren Besitz, öfter als bei jeder anderen Frau. Sie ist der Konkurrenz so weit entrückt, dass sie Bestmarken der Männer jagt, Ingemar Stenmarks 86 Weltcupsiege zum Beispiel. Teilweise kann sie nur noch eigene Bestmarken verbessern, die meisten Abfahrtssiege in einer Saison, solche Sachen.

Also, warum tut sie sich das an, vom Krankenbett auf die Skipiste?

"Ich habe die Gelegenheit, ein Ausrufezeichen hinter meine Karriere zu setzen", hatte Vonn vor der Saison der New York Times gesagt. Man kann ihr nicht vorwerfen, dass sie ihr Planziel nicht mit dem nötigen Ehrgeiz verfolgt. Die Vorteile im Duell mit Gut hat sie wieder auf ihre Seite gezerrt; Gut war im Super-G am Samstag 16. geworden (weit hinter Viktoria Rebensburg/7.), am Sonntag schwoll ihr Rückstand auf 30 Punkte an.

Es ist ein zartes Polster, und doch wirkte Gut am Sonntag getroffen. "Sie macht dieses Theater gerne", sagte die Schweizerin mit Blick auf Vonns plötzliche Heilung, in ihrer Stimme lag leichte Schärfe. Sie fügte an: "Sie wird es sicher nicht zum letzten Mal gemacht haben. Ich muss einfach nur Ski fahren." Es dürften spannende Tage werden bis zum Saisonfinale Mitte März in St. Moritz.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: