Sieg gegen Scharapowa:Auch Kerber erfasst die Wimbledon-Welle

Sieg gegen Scharapowa: Auch Angelique Kerber kann strahlen - nach dem Sieg gegen Maria Scharapowa im Wimbledon reißt die Deutsche die Arme hoch

Auch Angelique Kerber kann strahlen - nach dem Sieg gegen Maria Scharapowa im Wimbledon reißt die Deutsche die Arme hoch

(Foto: AP)

Sabine Lisicki lächelt, steigert sich und erreicht wieder das Viertelfinale von Wimbledon - so wie Angelique Kerber, die Maria Scharapowa im "Match ihres Lebens" schlägt. Im Halbfinale könnten die ungleichen Deutschen aufeinandertreffen.

Von Michael Neudecker, London

Sabine Lisicki sieht manchmal aus, als würde sie morgens etwas Selbstgedrehtes aus Wimbledon-Rasen rauchen, als sei sie voll auf Gras. Wenn sie in Wimbledon auf einen der Courts geht, um zu spielen, ist es immer so oder so ähnlich, wie es am Dienstag war, als Sabine Lisicki zum Achtelfinale gegen die Kasachin Jaroslawa Schwedowa antrat, auf Court 3. Die 2000 Zuschauer auf der voll besetzten Tribüne machten die Welle, schon bevor die Spielerinnen da waren, die Sonne schien, zum ersten Mal seit drei Tagen war das Wetter richtig gut, und dann kam als erste Lisicki. Man kann nicht sagen, dass sie lächelte. Sie strahlte. Blickte ins Publikum, setzte sich, strahlte, strahlte, ihre Mundwinkel schienen irgendwo unterhalb der Wangenknochen festzuhängen.

Sabine Lisicki und ihre Liebe zu Wimbledon, das war im vergangenen Jahr eine große Geschichte, nicht nur in Deutschland. Sie war im Finale des berühmtesten Tennisturniers der Welt, zwei Wochen lang ließ sie keine Gelegenheit aus, zu betonen, was sie auch in diesem Jahr immer wiederkehrend betont: "Dieser Ort ist etwas Besonderes für mich", oder auch: "Ich liebe dieses Turnier", wahlweise: "Ich liebe dieses Turnier so sehr." Dabei müsste sie das gar nicht immer wiederkehrend betonen, man kann es sehen, wenn man sie beobachtet, wie sie über die Anlage läuft: Sie bewegt sich mit einer Selbstverständlichkeit, einer solch unerschütterlichen guten Laune, dass es ungeheuerlich ist.

Sabine, warum lächeln Sie dauernd?

Als sie vor zwei Wochen nach London flog, war ihre Form so schlecht, dass nicht einmal sicher war, ob sie die erste Runde übersteht. Und jetzt: steht sie schon wieder im Viertelfinale. Zum fünften Mal bei ihren vergangenen fünf Auftritten hier.

Sie hat sich gesteigert, dann kam das Match gegen die frühere Weltranglisten-Erste Ana Ivanovic, das wegen Dunkelheit und Regen auf drei Tage gestreckt wurde, Lisicki gewann trotzdem. Als nun das Match gegen Schwedowa, Nummer 65 der Welt, begann und sich die Mundwinkel in Lisickis Gesicht wieder beruhigt hatten, sah es bald so aus, als sei auch Schwedowa nicht in der Lage, Lisicki von ihrer Wimbledon-Welle zu schubsen. Sie spielte nicht gut, aber es reichte, nach 30 Minuten hatte sie den ersten Satz 6:3 gewonnen.

Sabine Lisicki hat einen wuchtigen Aufschlag, eine kraftvolle Vorhand und eine ordentliche Rückhand, sie gehört diesbezüglich zu den besten Tennisspielerinnen der Welt. Aber sie hat auch Schwächen, ihre größten Schwächen, sagen sie in der Szene, sei ihre mangelnde Fitness und ihre Beratungsresistenz - sie ist überzeugt von dem, was sie tut, so sehr, dass sie ihre Wahrheit für unumstößlich hält. Trainiert wird sie zurzeit mal wieder von ihrem Vater, dem Sportwissenschaftler Dr. Richard Lisicki, auf der Trainingsanlage in Wimbledon sieht das so aus: Sabine Lisicki gibt die Übungen vor, schlägt Bälle mit ihrem Trainingspartner, Dr. Lisicki kommentiert gelegentlich, meist sammelt er die Bälle ein; manchmal macht das auch die Mutter von Sabine Lisicki, die bei jedem Training an der Seite steht. Die Familie ist ihr wichtig, sie braucht sie, um zu spielen, so kann man das auch sehen, so sieht es Sabine Lisicki, und: Wenigstens in Wimbledon kann sie ja auch ohne externen Rat gewinnen.

Auch dann, wenn sie sich behandeln lassen muss, wenn es aussieht, als würde sie diesmal verlieren, wie am Dienstag.

Den zweiten Satz gewann Schwedowa 6:3, im dritten stand es 1:1, Schwedowa hatte einen Breakball, die Chance zum 2:1. Lisicki aber schlug nicht mehr auf, sie brach ab, ging zu ihrem Stuhl und ließ die Physiotherapeutin rufen. Ließ sich behandeln, legte sich auf den Boden, es sah so aus, als bereite ihr die Schulter der Schlaghand Schmerzen. "Es fühlte sich an, als hätte ich eine Blockade im Rücken", sagte sie später, was erklären würde, weshalb ihr insgesamt 20 Doppelfehler unterliefen. 20! Als die Behandlung vorbei war, kehrte sie zurück, glich aus und gewann das Spiel.

Es ging danach hin und her, und irgendwann, der dritte Satz dauerte schon 56 Minuten, schlug Schwedowa den Ball ins Netz, es war Lisickis dritter Matchball. 6:4, Lisicki kreischte, sank auf den Rasen.

Zwei ungleiche deutsche Spielerinnen

Sabine, warum lächeln Sie immerzu? Das war die erste Frage, die ihr danach gestellt wurde. "Es kommt von innen", sagte Lisicki lächelnd, "ich liebe, was ich tue, und die Fans helfen mir, zu lächeln." Kitsch und Sport geht irgendwie immer.

Angelique Kerber ist nicht Sabine Lisicki, sie ist so unkitschig, wie man als Tennisprofi nur sein kann. Sie ist fleißig, zurückhaltend, ihr Spiel ist unspektakulär, aber effektiv, und sie kann auch auf Plätzen konstant gut spielen, die nicht aus Gras sind. Kerber ist seit zwei Jahren die beste deutsche Tennisspielerin, sie liegt auf Rang neun der Weltrangliste, aber sie hat nicht diese lisickihafte Selbstverständlichkeit, dieses unerhörte Selbstvertrauen, die Bundestrainerin Barbara Rittner sagt: "Angie hat manchmal die Handbremse drin." Am Dienstag spielte Kerber nahezu zeitgleich mit Lisicki: gegen Maria Scharapowa, auf dem Centre Court.

Scharapowa wehrt sechs Matchbälle ab

Angelique Kerber gewann den ersten Satz im Tie-Break, verlor den zweiten 4:6, sie hatte schon ein gutes Match gezeigt bis dahin, im dritten aber spielte sie noch besser. "Wir haben beide vom ersten Punkt an unglaubliches Tennis gespielt", sagte sie hinterher, nach 20 Minuten im dritten Satz führte sie 4:1, Scharapowa bemühte sich, wehrte sechs Matchbälle ab, mehrfach spektakulär, aber Kerber schlug weiter präzise, unnachgiebig. Das Publikum auf dem voll besetzten Centre Court war nun vollständig auf Kerbers Seite. Das britische Publikum wollte, dass die Deutsche gewinnt. Den siebten Matchball nutzte Kerber, sie gewann 6:4. Es sei, so sagt es Rittner, für Kerber "das Match ihres Lebens" gewesen, sie hat es irgendwie geschafft, die Handbremse noch nicht einmal zu berühren.

Kerbers Sieg war keine Sensation, dafür ist sie in der Weltrangliste zu weit oben. Aber ein bisschen überraschend war er schon. Scharapowa spielte ja nicht schlecht, sie war an diesem Tag nur nicht gut genug für Kerber. Maria Scharapowa hat vor Kurzem die French Open gewonnen, sie war schon Nummer eins der Welt, sie ist eine globale Berühmtheit. Angelique Kerber hat noch nie ein Grand-Slam-Turnier gewonnen, wenn Boris Becker über sie spricht, sagt er manchmal "Angelika". Angelique Kerber ist keine Berühmtheit, aber sie steht nun im Viertelfinale in Wimbledon, und auch wenn sie das nie so sagen würde: Es sieht so aus, als habe die Wimbledon-Welle auch sie erfasst.

Kerber spielt an diesem Mittwoch gegen die aufstrebende junge Kanadierin Eugenie Bouchard, Lisicki gegen die Weltranglisten-Dritte Simona Halep. Es wird wieder schwer werden für Kerber und Lisicki, aber wenn sie noch mal gewinnen, spielen sie im Halbfinale gegeneinander.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: