Sieg gegen die Bayern:Wolfsburger Zauberstunde

VfL Wolfsburg v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Traf zweimal: Bas Dost

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Vier Gegentore waren es, die der FC Bayern kassierte. Vier Gegentore in 17 Spielen. Eine solch überragende Hinrunde verbuchte bis dahin keine Mannschaft in der Fußball-Bundesliga. Einen derart missratenen Rückrundenstart allerdings auch nicht. Vier Gegentore kassierten sie dieses Mal - in einem Spiel. Nach 21 Partien ohne Niederlage zeigten die Münchner, dass sie doch Menschen und keine Maschinen sind. Und dass sie vermutlich noch nicht im Februar Meister werden. Mit dem so überraschend deutlichen 4:1 gegen den Tabellenführer gelang es dem VfL Wolfsburg, diesem Verfolger ohne Titelansprüche, den Rückstand von elf auf acht Punkte zu verkürzen. Und überdies sich von einer ungeheueren Last zu befreien.

"Wir haben ein Riesenfußballspiel gemacht", sagte Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking. "Wenn du die Bayern schlagen willst, brauchst du so einen Tag." Und was für ein Tag das war - vor dem sie solch großes Grummeln, Unbehagen und auch Angst hatten.

Es wurde ja in den letzten Tagen und Wochen viel darüber geredet, wie die Wolfsburger mit dem Tod ihres Mitspielers Junior Malanda zurechtkommen würden; wie sie nach dem tragischen 10. Januar, als der belgische Jungprofi bei einem Autounfall ums Leben kam, ins Spiel und ins Geschäft, in den Alltagsbetrieb Bundesliga und den Kampf um die Champions-League-Plätze zurückfinden können. "Ich glaube, dass wir Richtung Normalität gehen. Gehen müssen", sagte VfL-Manager Klaus Allofs kurz vor Anpfiff. "Wir haben uns damit auseinander gesetzt", auch mit professioneller Hilfe, erläuterte Allofs, "und nicht versucht, es zu verdrängen. Die traurigen Momente waren immer wieder da." Er sagte aber auch: "Wir müssen an die Rückrunde denken und an unsere Fans. Man darf so ein Spiel nicht emotional total überfrachten."

Sie hatten sich beim VfL Wolfsburg, nach Abstimmung mit den Fans, gegen eine Schweigeminute entschieden - und für eine Klatschminute, von der man allerdings nicht behaupten kann, dass sie auch nur einen einzigen der 30 000 Zuschauer emotional unbeteiligt gelassen hätte. "Farbenfroh, lautstark, leidenschaftlich - so wie Junior es war", wolle man Malanda gedenken, erklärte der Stadionsprecher über Lautsprecher, die Fans hielten grünweiße Herzen aus Pappe hoch, dann applaudierten sie, 60 ergreifende Sekunden lang. Die auf den Anstoß wartenden 22 Akteure auf dem Rasen taten es ihnen gleich, demütig blickten sie dabei auf die Choreografie und das große Spruchband mit der Aufschrift "Für immer in unseren Herzen". Es war gut, dass die Fernsehkameras in diesem Moment nicht die Augen der Wolfsburger Spieler in Nahaufnahme zeigten.

Warum Götze nur auf der Bank saß? "Warum nicht?", fragt Matthias Sammer zurück

"Gedenkminute, Choreo, dann müssen wir den Schalter umlegen", hatte Allofs kurz zuvor gefordert. Leicht gesagt war das und doch so schwer umzusetzen, wie die ersten drei Spielminuten zeigen sollten, in denen die VfL-Profis arg verunsichert wirkten. Allerdings tatsächlich nur drei Minuten lang, denn dann folgte eine Szene, die wie eine Befreiung wirkte für die Wolfsburger, ihre Fans, die Stimmung im ganzen Stadion. Caligiuris feiner Pass erreichte Kevin de Bruyne, dann war Dost da. Bas Dost, aus 13 Metern traf er zum 1:0.

Ab diesem Moment war Malanda nicht vergessen. Aber der Fußball zurück.

"Wenn nicht Wolfsburg, wer dann?"

Es dauerte lange, bis die Bayern sich erholten von diesem frühen Rückstand. Sie waren, ganz abgesehen von ihren Langzeitverletzten Lahm, Thiago, Martínez, ersatzgeschwächt ins Spiel gegangen, tags zuvor hatten sich Verteidiger Rafinha (Sprunggelenk) und Mittelfeldstratege Ribéry (Muskelfaserriss) für die nächsten drei Spiele abgemeldet, was VfL-Trainer Hecking allerdings zu einem schulterzuckenden Na und? verleitete - und zur Mutmaßung, statt Ribéry spiele "dann halt ein Weltmeister". Er hatte dabei nicht an den Österreicher David Alaba gedacht, der sein Comeback gab, und auch nicht an den Spanier Juan Bernat, sondern wohl Mario Götze gemeint, doch nicht mit Bayern-Trainer Pep Guardiola gerechnet, der erstens immer für Überraschungen gut ist und zweitens jenen Götze - der ja nicht irgendein Weltmeister ist, sondern der Finaltorschütze - vorzugsweise zunächst den Platz auf der Bank zuweist, um ihn bei späterer Gelegenheit zu bringen. Als Sportvorstand Matthias Sammer gefragt wurde, warum Götze nur auf der Bank sitze, verblüffte er die Sky-Reporterin in bester Bayern-Attitüde: "Warum nicht?!" Weil Ballbesitz nicht alles ist und überraschende, kreative Momente trotz aller Überlegenheit den Bayern im Verlauf der ersten Hälfte fehlten, wäre eine Antwort gewesen. Und weil der beste Joker auch irgendwann zu spät kommen kann.

Zur Pause stand es schon 2:0, wieder durch Bas Dost. Freistoß Rodriguez, Bayern-Stürmer Lewandowski versuchte, per Kopf zu klären, legte aber ab auf Bas Dost, der den Ball unter Zuhilfenahme des Innenpfostens ins rechte obere Eck zwirbelt. Ein unglaubliches Tor, eine unglaubliche Stimmung, ein unglaubliches Halbzeitergebnis.

Nur Joachim Löw schien unbeeindruckt davon zu sein, dass es tatsächlich eine Mannschaft zu geben scheint, die den scheinbar unbezwingbaren FC Bayern schlagen kann. "Wenn nicht Wolfsburg, wer dann?", so kommentierte der Bundestrainer den Pausenstand, schob aber nach, dass die Meisterschaft den Bayern auch bei einer Niederlage nicht mehr zu nehmen sei - und das Spiel, so sein Tipp zur Pause, ohnehin noch 2:2 ausgehen werde. Schlechter Tipp. Denn in der 53. Minute stand es 3:0. Arnolds Pass aus der eigenen Hälfte erreichte Kevin de Bruyne, der nach einem Solo über 35 Meter rechts unten einnetzte. Der Gegentreffer, kurz darauf durch Bernat (55.), leitete mitnichten die Wende ein, daran konnte auch Mario Götze, dem Sammer noch eine Magenverstimmung attestiert hatte, nach seiner Einwechslung (71.) nichts mehr ändern. Im Gegenteil: Erneut ein langer Ball von Arnold, erneut traf de Bruyne. 4:1 nach 73 Minuten. "Wir haben viel zu früh die Ordnung verloren, das darf uns nicht passieren", analysierte Bayerns Bastian Schweinsteiger, "das müssen wir besser machen." Am Dienstag schon kommt Schalke. Bis dahin darf man spekulieren, ob noch Spannung aufkommen könnte im Titelkampf. Wolfsburgs Trainer Hecking weiß dies einzuordnen: "Wir haben heute ein Ausrufezeichen gesetzt, dass wir nicht locker lassen werden, um unsere Ziele zu erreichen." Er meinte die Champions-League-Qualifikation. Oder doch die Meisterschaft? "Keiner wehrt sich, Deutscher Meister zu werden - auch Wolfsburg nicht", sagte Hecking, "aber die Chancen sind sehr gering. Die Bayern wurden jetzt mal durchgeschüttelt. Aber sie bleiben das Maß aller Dinge." Bayerns Arjen Robben bilanzierte knapp: "Das war ein guter Wake-Up-Call."

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