Sicherheit in Fußballstadien:Spiele mit dem Feuer

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Fans von Dynamo Dresden: Protest gegen ein geplantes DFL-Sicherheitskonzept (Foto: dpa)

Hat der Fußball das Problem mit Gewalttätern im Griff? Nach Wochen der Auseinandersetzung mit Politikern und Fan-Vertretern soll das ein Maßnahmenpaket für mehr Sicherheit beweisen. Das harte Urteil, Dynamo Dresden aus dem DFB-Pokal auszuschließen, passt da gut ins Bild.

Von Claudio Catuogno

Den 31. Oktober 2012 haben viele Fußballfans in Hannover eindeutig nicht als "sicheres Stadionerlebnis" empfunden. Der Erstligist Hannover 96 empfing in der zweiten Runde des DFB-Pokals den Zweitligisten Dynamo Dresden, und schon vor dem Anpfiff versuchten Dresdner Fans, einen Stadionblock zu stürmen. Später randalierten sie auf der Tribüne, zündeten Feuerwerkskörper und prügelten sich mit der Polizei. Neun Personen wurden verletzt.

Der Verein hat dafür nun die Konsequenzen zu tragen. Im nächsten Jahr, so entschied es am Montag das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes, findet der Pokalwettbewerb ohne Dresden statt. Der Klub wird für eine Gruppe Gewalttäter in Haftung genommen, auf die er keinen Zugriff hat, die aber in seinem Namen zu Auswärtsspielen reisen. Und viele fragen sich: Ist das verhältnismäßig?

Gegenfrage: Hatte der DFB eine andere Wahl? Zumal in dieser Woche, in der die Debatte um Gewalt in Fußballstadien so aufgeregt diskutiert wird, dass kein Tag vergeht, ohne dass sich irgendwo ein Innenminister oder Polizeigewerkschafter mit markigen Worten dazu äußert? Der Fußball handelt, der Fußball hat das Problem im Griff - das ist der Subtext des Urteils gegen Dynamo Dresden. Und der Fußball braucht dafür keine Ratschläge aus der Law-and-Order-Abteilung der Republik.

"Sicheres Stadionerlebnis", so lautet der Titel eines Maßnahmenpakets, das die 36 Erst- und Zweitligaklubs, die in der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zusammengeschlossen sind, an diesem Mittwoch in Frankfurt beschließen sollen. Es ist die Reaktion auf diverse Vorfälle dieses Jahres: Schlägereien zwischen Dortmunder und Schalker Fans am Rande des Ruhr- Derbys, Chaos rund um das Relegationsspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC, Randale in Innenstädten und die Häufung von brennenden Bengalo- Fackeln auf den Tribünen. Und seit Wochen wird, je nach Standpunkt, der Eindruck erweckt, dieses Paket sei entweder das Allheilmittel gegen gewalttätige Fans - oder der Untergang der Fankultur.

Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) zum Beispiel, der gerade im Wahlkampf steckt und sich vermutlich deshalb besonders kompromisslos geriert, droht den Vereinen "Gebühren für Polizeieinsätze" an, wenn sie dem Papier am Mittwoch nicht zustimmen. Auch Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) erhöht seit Tagen den Druck und fordert von den Vereinen "Geschlossenheit". Gleichzeitig hat das DFL-Papier an der Basis zu einer bisher nicht gekannten Mobilisierung geführt: Fußballanhänger marschieren mit Särgen durch Dortmund, Dresden, Augsburg und tragen symbolisch die Fußballkultur zu Grabe, und bei allen Erst-, Zweit- und Drittligaspielen verharren die Fanblöcke für einige Zeit in demonstrativem Schweigen. In diesem Spannungsverhältnis sollen die Klubs nun eine sachgerechte Abwägung treffen.

Was also ist das für ein Papier, das den Fußball derart spaltet?

Proteste gegen Sicherheitskonzept
:Fußball-Fans tragen ihre Kultur zu Grabe

"Fankultur bewahren - Sicherheitspapier ablehnen": Vor dem 16. Spieltag der Fußball-Bundesliga machten Tausende Fans ihrem Ärger über das neue Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball-Liga Luft. Die Anhänger verschiedener Klubs demonstrierten einträchtig gegen strengere Maßnahmen.

Genau genommen sind es 16 kleinere Korrekturen an Spiel- und Lizenzordnung. Klarstellungen, Präzisierungen, Empfehlungen. Björn Bremer, der bei Hannover 96 die Verwaltung leitet, sagt: "Lebloses Papier, das die Welt nicht verändern wird." Von den radikaleren Vorschlägen, die eine DFL-Arbeitsgruppe im Herbst erarbeitet hatte, ist jedenfalls nicht mehr viel übrig. Das scheinen bisher aber beide Seiten, empörte Fans und empörte Politiker, noch nicht mitbekommen zu haben - oder bewusst zu ignorieren. Und das wiederum legt den Schluss nahe, dass es in der aufgeladenen Debatte längst um viel mehr geht als um die Frage, ob der "Fanbetreuer" in Zukunft "Fanbeauftragter" heißt oder ob bei Risikospielen Ticketkontingente reduziert und verstärkte Zugangskontrollen angeordnet werden können - was in der Praxis ohnehin längst gemacht wird.

Es hat sich etwas aufgestaut zwischen dem leidenschaftlichen Teil des Publikums auf der einen Seite sowie Klubs und Verbänden auf der anderen. Und nun entladen sich all die Gegensätze in einem Kulturkampf des wechselseitigen Misstrauens. Gewalt in den Stadien gab es natürlich auch früher schon - der Ursprung des aktuellen Konflikts liegt aber wohl nicht zuletzt in den modernen Arenen, die sich viele Vereine zugelegt haben und die sie nun finanzieren müssen. Seitdem scheinen ihnen vor allem die Besucher wichtig zu sein, die auf den bequemen und teuren Business-Seats Platz nehmen. Die Ultra-Fans mit ihren billigen Stehplatzkarten fühlen sich an den Rand gedrängt.

Wahr ist aber auch: Seit einem guten Jahr geht der Konflikt über das diffuse Gefühl, aneinander vorbei zu reden, hinaus. DFB-Vertreter hatten sich damals mit Fangruppen an einen Tisch gesetzt und darüber beraten, ob es möglich wäre, Pyrotechnik in den Stadien zuzulassen - in kontrolliertem Rahmen, weil das unkontrollierte Abbrennen immer wieder schwere Verletzungen verursacht. Die DFB-Leute haben damit Hoffnungen geweckt, die sie nicht halten konnten. Als ihnen das bewusst wurde, brachen sie die Gespräche ab - und leugneten, je ernsthaft über das Thema verhandelt zu haben. Bis heute ist dieses Missverständnis nicht aus dem Weg geräumt, ist die Atmosphäre vergiftet. Da kam vielen Hardlinern in den Kurven das neue DFL- Sicherheitspapier gerade recht - als Beleg dafür, dass schon wieder über ihre Köpfe hinweg Fakten geschaffen werden sollen.

Das Papier ist nun zwar entschärft, trotzdem ist es schwer zu prognostizieren, was die 36 Vereine in Frankfurt beschließen werden. Der FC St. Pauli hat angekündigt, die Pläne abzulehnen. Andere, etwa Werder Bremen und der VfB Stuttgart, fordern eine Verschiebung einzelner Punkte, um ausführlicher mit ihren Fanklubs beraten zu können. Wieder andere wollen dem Text noch Erläuterungen anfügen, damit selbst der misstrauischste Ultra-Fan die Intention der Maßnahmen nicht missverstehen kann. Im Kern dürfte das "sichere Stadionerlebnis" wohl beschlossen werden. Dass sich danach etwas substanziell ändern wird, glaubt hingegen fast niemand, der sich ernsthaft mit dem Thema beschäftigt. Björn Bremer geht sogar davon aus, dass die Probleme kurzfristig größer werden. Bei Hannover 96 haben sie jedenfalls Anhaltspunkte dafür, dass es am kommenden Wochenende in den Fanblöcken zu einer Kraftprobe kommen könnte, zu einem Jetzt-erst-recht. Bremer rechnet mit einer "Radikalisierung", und er findet, dass daran weniger die DFL schuld ist als das "unglückliche Agieren der Politik".

Es ist schon paradox: Im Bemühen, das Gewaltproblem in den Griff zu kriegen, erhöhen die Politiker derart den Druck im Kessel, dass sie wohl erst einmal das Gegenteil erreichen werden. Dass sich die öffentliche Hand vielerorts um die Beteiligung an Fanprojekten herumdrückt, dass präventive Jugendarbeit gestrichen wird - davon kann man mit ein paar knackigen Sprüchen natürlich trefflich ablenken.

© SZ vom 12.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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