Sicherheit in Bundesliga-Stadien:Warum die Saison mit Bauchschmerzen beginnt

Politik und Fußballverantwortliche wollten vor dem Start der neuen Bundesliga-Spielzeit der Fan-Gewalt deutlich entgegentreten. Die eilig verordneten Maßnahmen scheinen das Problem aber eher zu verschärfen. Während viele Ultras sich gegängelt fühlen, äußern Fanbetreuer große Bedenken. Dabei gibt es eigentlich Lösungsansätze.

Boris Herrmann

Bevor am Wochenende die ersten Spiele der 50. Bundesliga-Saison beginnen, werden in allen Stadien die Mannschaftskapitäne ans Mikrofon treten, um eine Friedensbotschaft zu verlesen. Laut Protokoll beginnt sie so: "Liebe Fans, Fußball ist die Leidenschaft, die uns verbindet. Unser gemeinsamer Sport."

Bundesligaeinsaetze werden zur Belastungsprobe fuer die Polizei

Polizei gegen Fans: Wie geht es weiter mit dieser oft schwierigen Beziehung?

(Foto: dapd)

Nicht auszuschließen ist, dass bereits an dieser Stelle die ersten Anhänger in den Kurven die Augen verdrehen werden. Große Teile der Fan-Szenen (und dabei geht es keineswegs nur um die harten Ultras) haben derzeit nämlich gerade nicht den Eindruck, zu einer großen Fußballfamilie zu gehören. Im Gegenteil. Seit diesem Sommer ist ein verschärftes Lagerdenken zu beobachten.

Vor einigen Wochen hatte der für den Sport zuständige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in Berlin zu einem "Sicherheitsgipfel" geladen. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB), der Ligaverband (DFL) und Vertreter aller Profiklubs (mit Ausnahme von Union Berlin) waren dabei. Bloß die Leute, um die es ging, die Fans, waren nicht eingeladen. Ziel des Gipfels war es, ein Zeichen gegen den (zumindest gefühlten) Anstieg der Stadiongewalt zu setzten. Das Ergebnis ist: eine (zumindest gefühlte) Verschärfung des Problems.

Seit der Innenminister mit den Fußball-Bossen in Berlin einem ganzen Strauß von Problemen unter dem Oberbegriff "Fan-Gewalt" den Kampf ansagte ("Der Kuschelkurs ist vorbei!"), fühlen sich die organisierten Kurvengänger zunehmend missverstanden und ausgegrenzt. (Tenor: "Einen Kuschelkurs hat es nie gegeben!"). Auch die gemäßigten Kräfte bezeichneten den Gipfel im Nachhinein als populistische Schauveranstaltung.

Michael Gabriel, Leiter der Koordinationsstelle der Fanprojekte (Kos), drückt es so aus: "So weit wie im Moment haben die Wahrnehmungswelten zwischen dem Fußball und seinen Zuschauern selten auseinandergelegen." Gabriel, 48, befasst sich zwei Jahrzehnten mit Fans und Fankulturen. Er spricht von einer fatalen Dynamik, die eher die radikalen Kräfte in den Kurven stärke. "Solche Bauchschmerzen wie vor dieser Saison hatte ich noch nie", sagt er.

Was bringt der Verhaltenskodex?

Das muss nicht heißen, dass gleich am ersten Spieltag in den Stadien kriegsähnliche Zustände herrschen. Es könnte aber heißen, dass die jüngsten Versuche, derartige Zustände zu verhindern, eher kontraproduktiv waren. Die Klubs beschlossen unter der Aufsicht des Innenministers einen gemeinsamen Verhaltenskodex samt Maßnahmenkatalog. Größte Empörung in Fankreisen erregte die latente Androhung, notfalls die Stehplätze abzuschaffen.

Auch Michael Gabriel hält das für eine fatales Signal. Es richte sich nicht gegen Gewalttäter, sondern gegen einkommensschwache Zuschauerschichten. Selbst der DFB-Sicherheitschef Hendrik Große Lefert ruderte in dieser Sache zuletzt vorsichtig zurück. Der Druck bezüglich der Stehplatzdebatte käme regelmäßig vonseiten der Politik, sagte er der taz. Indirekt bestätigte er damit den Eindruck zahlreicher Beobachter, wonach sich der Fußball beim Berliner Gipfel am Nasenring durch die politische Arena habe führen lassen.

Für den Innenminister war es ein guter Tag, er hat, wie man so sagt, Handlungsfähigkeit bewiesen. Der Fußball aber hat jetzt einen Katalog, in dem unterschiedlichste Dinge wie Pyrotechnik, Rassismus, Gewalt im Stadion oder Gewalt vor dem Stadion zu einem einzigen Problemklumpen vermischt werden. "Dort, wo der Katalog keinen Schaden anrichtet, besteht er aus viel warmer Luft", sagt Philipp Markhardt, der Sprecher der Initiative "Pro Fans".

Ein Gebot des Gipfels war etwa, die Videoüberwachung in den Stadien "zu optimieren". "Wir sind gerade dabei das zu tun", berichtet Martin Kind, der Präsident von Hannover 96: "Aber das hätten wir auch so getan, unabhängig vom Maßnahmenkatalog." Im Übrigen, so Kind, sei das Wichtigste, sich regelmäßig mit Fanvertretern zu treffen, sie nicht pauschal zu kriminalisieren, sondern mit ihnen zu diskutieren und auf ihre Bedürfnisse einzugehen. "Das hat bei uns zu einer deutlichen Entspannung der Lage geführt", erzählt Kind.

Er kann das bislang nicht mit Zahlen belegen, aber das ist vielleicht auch gar nicht entscheidend. "Entscheidend ist", sagt Gabriel, "dass sowohl die Politik als auch die Vereine die Fans nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung verstehen."

Das allerdings erfordert einen steten Dialog auf Augenhöhe. Und der ist aufweniger und teuerer als ein eilig verfasster Maßnahmenkatalog. Die Liga hat angekündigt, ihren Anteil an der Finanzierung der Fanprojekte um 50 Prozent zu erhöhen, von drei auf 4,5 Millionen Euro. Es hieß, man wolle die Präventionsarbeit verbessern. Das hörte sich prima an. "Fakt ist aber, dass bei den Fanprojekten noch kein zusätzliches Geld angekommen ist", sagt Gabriel.

Das hat einen einfachen Grund. Auf dem Berliner Gipfel wurde nicht etwa die Gesamtsumme für Präventionsarbeit erhöht, sondern lediglich der Verteilerschlüssel geändert. Die Länder und Kommunen zahlen jetzt weniger als zuvor.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: