Shorttrack:Bronze im Matrosenhemd

Pyeongchang 2018 - Shorttrack

Spezieller Erfolg: Der Drittplatzierte Semjon Jelistratow (rechts) von den „Olympischen Athleten aus Russland“ mit Shorttrack-Sieger Lim Hyo-jun (Südkorea, Mitte) und Sjinkie Knegt aus den Niederlanden.

(Foto: xinhua/dpa)

Erst eine Sperre wegen Meldoniums, dann der Sprung aufs Podest: Semjon Jelistratow holt als erster Russe eine Medaille für seine Nation, die nach den Sanktionen nur unter den Titel "Olympische Athleten aus Russland" antritt.

Von Johannes Aumüller

Als Semjon Jelistratow im Ziel war, sagte er ein paar Sätze, die in diesen Tagen viele Medaillengewinner sagen. Dass er so froh und stolz sei wegen dieses größten Erfolges seiner Karriere. Dass er den Tränen nahe sei vor lauter Freude. Und dass er so lange auf diesen Tag hingearbeitet habe, trotz zwischenzeitlicher Zweifel an seiner Leistung.

Aber dann sagte der Bronze-Sieger des Shorttrack-Rennens über 1500 Meter noch einen Satz, den in dieser Form in diesen Tagen kaum jemand anderes sagen wird. "Ich widme diese Medaille allen Kollegen, die nicht zugelassen wurden."

Jelistratow, 27, war der erste russische Medaillengewinner jenes Teams, das unter dem Kürzel "OAR" antritt. Russlands Olympia-Komitee ist suspendiert, aber 168 extra geprüfte Athleten dürfen als "Olympische Athleten aus Russland" trotzdem teilnehmen. 45 weitere hätten das auch gerne getan. Das waren Sportler, deren Sperren vom Sportgerichtshof (Cas) mangels Beweisen annulliert worden waren - oder gegen die gar kein Dopingverfahren eröffnet ist, wie bei Jelistratows prominenterem Shorttrack-Kollegen Viktor Ahn. Aber bei denen habe es Zweifel an der Sauberkeit gebe, urteilte eine Kommission des Internationalen Olympischen Komitees, deswegen erfolgte keine Einladung. Da wirkte es wie eine Pointe, dass es sich bei Semjon Jelistratow just um einen Sportler handelt, der schon eine Sanktion wegen eines Positivbefundes hinter sich hat.

Im März 2016 waren in seiner Probe Spuren des verbotenen Mittels Meldonium gefunden und Jelistratow für ein paar Wochen provisorisch gesperrt worden. Zu den Grundsätzen der Prüfkommission vor den Pyeongchang-Spielen gehörte eigentlich der Ansatz, dass Athleten, die irgendwann einmal gesperrt worden waren, nicht zugelassen seien. So flog unter anderem Skispringer Dimitrij Wassiljew raus, der 2001 mal auf das Abnehm- und Maskierungsmittel Furosemid getestet worden war. Meldonium aber sei "ein spezieller Fall" gewesen, wie Richard Budgett als IOC-Chefmediziner und Mitglied der Prüfkommission am Sonntag mitteilte.

Jahrelang hatten zahlreiche osteuropäische und insbesondere russische Athleten diese Substanz geschluckt, die eigentlich bei Herzerkrankungen helfen soll. Im Januar 2016 rückte es neu auf die Dopingliste - und angeblich bekamen das viele Sportler in Russland nicht mit. Nahezu 100 Fälle gab es in der Folgezeit, der prominenteste war die Tennisspielerin Maria Scharapowa. Bei einer Probe von Jelistratow aus dem März 2016 fanden sich ebenfalls Spuren des Präparates. Sein Weltverband sperrte ihn zunächst, doch ein paar Wochen später korrigierte das die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Es war die Rede von neuen Erkenntnissen, nach denen das Nachweisfenster für Meldonium länger sei als angenommen. Es konnte demnach nicht mehr ausgeschlossen werden, dass Jelistratow das Mittel noch in den letzten Tagen des Jahres 2015 eingenommen habe, als es noch erlaubt war.

Auf der Seite des OAR-Teams fehlen Jelistratows klare Ausrufe

Fortan durfte er wieder starten - und so konnte er nun die erste Medaille für Russland gewinnen. "Er hat gezeigt: Wir sind wenige, aber wir tragen Matrosenhemden", zitierte Vize-Premier Witalij Mutko eine alte russische Redewendung, die im Zweiten Weltkrieg entstand und oft zum Einsatz kommt, wenn sich eine kleinere Gruppe gegen eine vermeintliche Übermacht durchsetzt.

Es wird jetzt nur interessant sein, zu sehen, wie sich die 168 in ihren Matrosenhemden in Pyeongchang weiter aufführen - und auch alle anderen Funktionäre und Betreuer aus der russischen Delegation. Das IOC hat Russland in Aussicht gestellt, dass die Suspendierung zur Schlussfeier zu Ende ist, wenn sich alle schicken. Genauere Kriterien gibt es nicht, es darf davon ausgegangen werden, dass das IOC sehr großzügig gegenüber seinem langjährigen Partner Russland ist. Aber zu viel und zu Offensichtliches darf sich die Delegation auch nicht erlauben.

So dürfte zum Beispiel das Verhalten der 45 Athleten und zweier Betreuer nach der Bestätigung ihrer Nicht-Einladung durch den Cas im Kontext damit stehen. Nach ihrer Niederlage vor dem Sportgericht am Freitag wandten sie sich direkt an das Schweizer Bundesgericht, um im Schnellverfahren noch eine Zulassung erwirken zu können. Doch wenig später teilte die Behörde mit, dass die Beschwerde zurückgezogen sei.

In jedem Fall bemerkenswert war es auch, dass Jelistratow nach dem Rennen seine Bronzemedaille, "die sich wie Gold anfühlte", seinen nicht eingeladenen Kollegen widmete. Mehrere russische Zeitungen zitierten ihn so, dass er die Entscheidung gegen seinen Teamkollegen Ahn und die anderen als "unfair, gemein und ohne irgendeine Erklärung" bezeichnet habe. Auf der offiziellen Seite des OAR-Teams fehlen in dem Widmungs-Zitat diese Begriffe.

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