Italien:Zipperlein der alten Dame

Juventus v Borussia Dortmund - Preseason Friendly

Prominenter Juve-Zugang, bisher zum Zuschauen verurteilt: Der verletzte Weltmeister Sami Khedira steht vor seinem Comeback.

(Foto: Daniel Kopatsch/Getty)

Für Serienmeister Juventus Turin sieht es in der Liga finster aus.

Von Birgit Schönau, Rom

Wenn die Chefetage von Juventus Turin geschlossen im Trainingszentrum erscheint, bedeutet das entweder, dass ernsthaft gefeiert wird - oder, dass die Lage ernst ist. In dieser Woche tauchten gleich drei Männer in dunklen Anzügen auf: Präsident Andrea Agnelli, Sportdirektor Giuseppe Marotta und Pavel Nedved, der vor fünf Jahren zum Manager befördert wurde und vorher als Spieler mit Juve viele Höhen und Tiefen erlebt hatte - Meistertitel, aber auch ein Jahr zweite Liga. Die drei von der Klubführung verbreiteten Optimismus, klopften Trainer Massimiliano Allegri auf die Schultern, um zu signalisieren: Wird schon! Das bedeutet: An diesem Mittwoch, gegen den FC Sevilla mit den beiden von Juve verstoßenen Spielern Fernando Llorente und Ciro Immobile, wackelt Allegris Stuhl noch nicht. Wobei man natürlich weiß, dass in Italien schon Trainer in der Halbzeit entlassen worden sind.

In der Champions League ist Vorjahresfinalist Juventus überzeugend gestartet, mit einem 2:1 bei Manchester City. Zu Hause in der Liga aber sieht es finster aus: fünf Punkte in sechs Spielen, ein Fiasko. Die dritte Niederlage gab es zuletzt bei jenem SSC Neapel, den vor dem Sommer in Turin noch Juves B-Elf mit 3:1 vom Platz gefegt hatte. Wobei eine Klatsche gegen Napoli oder AS Rom weniger peinlich ist als zuletzt das erzitterte Remis gegen Aufsteiger Frosinone, ein Greenhorn aus der Provinz, das noch nie in der Serie A war.

Ohne Pirlo, Vidal und Tevez fehlt das alte Gleichgewicht

Dabei träumte Juve vom fünften Meistertitel in Serie: "Im Moment reden wir natürlich nicht darüber", sagt Kapitän und Torwart Gianluigi Buffon, "zehn Punkte Abstand zur Tabellenspitze sind gewaltig. Wir müssen erst mal unser Gleichgewicht wieder finden." Das durch den Abschied der Führungsspieler Andrea Pirlo, Carlos Tevez und Arturo Vidal (zum FC Bayern) gestört wurde? "Es waren nie nur einzelne Spieler, die Juve ausmachten", glaubt Buffon - und genau das ist auch das Credo der Klubführung. Andrea Agnelli hat immer wieder klar gemacht, dass er keine "sentimentalen Beziehungen zu Profis" unterhält. Wer nicht mehr bei Juve bleiben will oder nicht mehr auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit ist, der kann gehen. Diese Erfahrung musste Rekord-Kapitän Alessandro Del Piero ebenso machen wie der Mittelfeld-Maestro Andrea Pirlo.

Das Problem ist diesmal nur, dass die Neuen noch nicht einlösen, was sie versprechen. Sami Khedira etwa nimmt erst seit wenigen Tagen wieder am Teamtraining teil, nachdem er sich vor dem Saisonstart verletzt hatte. Mario Mandzukic laboriert an einem Muskelfaserriss, während Juve-Eigengewächs Claudio Marchisio, der die Integration der Neuen unterstützen sollte, wegen einer Oberschenkelverletzung bis mindestens Mitte Oktober ausfällt.

Aber das Verletzungspech ist das eine; schwerer scheint eine Identitätskrise zu wiegen, die Allegri nicht in den Griff bekommt. Seine Mannschaft tritt ängstlich auf, uninspiriert, verzweifelt defensiv - als sei ihr jene Siegermentalität abhanden gekommen, die Juventus immer ausgezeichnet hat. Das schöne Spiel war der alten Dame aus Turin nie so wichtig, zur Not tat es auch calcio cinico, eiskalter Verwaltungsfußball. Allegris Vorgänger Antonio Conte, inzwischen italienischer Nationaltrainer, setzte auf physische Überlegenheit und die Fähigkeit, leichtfüßige Gegner zu zerquetschen. In der Champions League kam Conte damit nicht weit, aber um die italienische Konkurrenz auszuschalten, reichte sein Nussknacker-Fußball allemal. Allegri übernahm und war auf Anhieb extrem erfolgreich. Doch erst in dieser Saison trägt die Mannschaft wirklich seine eigene Handschrift. Und die ist, sehr untypisch für Juventus, ziemlich verwaschen.

Vor wenigen Wochen brachte der Trainer noch unter dem hochtrabenden Namen "Mr. Allegri Tactics" eine App für lernwillige Kollegen auf den Markt. Jetzt scheint Allegri selbst ratlos zu sein, und manchmal verlässt ihn sogar seine sprichwörtliche Gelassenheit: "Was glauben Sie denn, was uns fehlt?" raunzte er nach der Niederlage in Neapel eine Fernsehjournalistin an, "uns fehlen nur die Punkte". Man müsse ihm gegenüber "nicht so ein Beerdigungsgesicht aufsetzen. Wer denkt, ich sei schon erledigt, wird sich noch umgucken".

Aus Buenos Aires kondoliert dennoch Ex-Torjäger Tevez: "Ich leide mit Juve." Das tun derzeit gut zwölf Millionen Fans. Die anderen dürfen sich auf ein Fußballjahr freuen, in dem endlich mal alles offen ist, weil Juve nicht vom ersten bis zum letzten Spieltag an der Spitze steht. Soeben hat der AC Florenz den bisherigen Spitzenreiter Inter 4:1 in San Siro abgefertigt und steht jetzt selbst ganz oben. Auf dem Fuß folgen FC Turin und US Sassuolo, auf die niemand einen Pfifferling gewettet hätte. Wenn die alte Dame Juve ein Zipperlein hat, fühlt sich die Konkurrenz umso befreiter und beschwingter.

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