Fußball:Neapel schwebt durch die Serie A

AS Rom - SSC Neapel

Nach acht Siegen aus acht Spielen kann der SSC Neapel vom Meistertitel träumen.

(Foto: dpa)
  • Rekordmeister Juventus Turin verliert gegen Lazio Rom das erste Heimspiel seit zwei Jahren und lässt Tabellenführer SSC Neapel immer weiter enteilen.
  • Die Neapolitaner beeindrucken mit ansehnlichem Kurzpassspiel, haben bisher alle Spiele gewonnen und dürfen auf den ersten Meistertitel seit 1990 hoffen.
  • Trainer Maurizio Sarri schmiss die Festanstellung bei einer Bank, um Trainer zu werden, und hat eine für die Serie A untypisch moderne Fußballvision.

Von Birgit Schönau

783 Tage sind im Fußball eine Ewigkeit. Zwei Jahre und zwei Monate blieb Juventus Turin im eigenen Stadion unbesiegt, bis nach 41 Ligaspielen Lazio Rom zu Gast war. Am Samstagabend verlor Juventus 1:2, und erschütternd daran ist nicht so sehr das Ergebnis - Rekorde sind nun mal nicht für die Ewigkeit gemacht -, sondern die Haltung, die Massimiliano Allegris Mannschaft dabei einnahm: So ratlos und müde hatte man die Juve lange nicht erlebt. Aber nach sechs Meistertiteln in Serie und zwei verlorenen Champions-League-Endspielen in drei Jahren ist es vermutlich schwierig, motiviert zu bleiben.

Die Luft ist offenkundig raus, und wenn Giorgio Chiellini, der Inbegriff des rustikalen Routiniers, als einziger in einer von allen guten Geistern verlassenen Festung die Stellung hält, dann muss sein Trainer ins Grübeln kommen. Tatsächlich hatte Allegri vor seiner Vertragsverlängerung im Sommer kurz überlegt, wegzugehen, wenn es am schönsten ist. Jetzt muss er erfahren, dass Bleiben viel schwieriger sein kann, als woanders von vorn anzufangen.

Entthront und entzaubert von einem technisch mittelmäßigen, aber engagierten Gegner, für den der gewiss nicht überbegabte Ciro Immobile zwei Tore in sieben Minuten erzielte (das zweite per Elfmeter), sieht die erfolgsverwöhnte Signora jetzt die Tabellenführung entrückt. Da half auch der erste Saisontreffer des früheren FC-Bayern-Profis Douglas Costa nichts.

Emblematisch war jedoch nicht dieses illusorische Führungstor, sondern ein Elfmeter in der 97. Minute: Juves argentinisches Talent Paulo Dybala schoss - und Lazios Thomas Strakosha parierte nach einer fehlerlosen Partie auch noch diesen läppischen Strafstoß. Strakosha ist 22 Jahre alt und Nationaltorwart von Albanien. Immobile, einst von Juventus als unzulänglich verschmäht, hat seinerseits schon 15 Saisontreffer gesammelt. Lazio steht nun punktgleich mit Juve auf Platz zwei - ein Triumph der Ball-Arbeiterklasse.

Der SSC Neapel darf vom ersten Titel seit 1990 träumen

Während sich Juve die Wunden leckt und Allegri hinter verschlossenen Türen versucht, seine Truppe wieder auf Touren zu bringen, schwebt die Società Sportiva Calcio Napoli über allen. In Rom besiegten die Neapolitaner kurz nach dem Match von Turin die gastgebende Roma 1:0, Torschütze war Lorenzo Insigne. Fünf Punkte Vorsprung vor den Verfolgern, vor allem aber ein Spiel von begeisternder Leichtigkeit und Raffinesse: Neapel ist ohne jeden Zweifel die schönste Überraschung der Saison.

Nach acht Siegen in ebenso vielen Spielen, in denen sich die meisten Gegner ziemlich widerstandslos ergeben mussten (Lazio etwa 1:4), dürfen Mannschaft und Stadt nun auch öffentlich von einem Titel träumen, den sie seit 1990 entbehren mussten. Der kleine Insigne (1,63 Meter), der einzige gebürtige Neapolitaner im Team, ist dabei der prominenteste Vollstrecker einer Fußballvision, die sich zurzeit als modernste und verheißungsvollste in der traditionell bis zur Bedürfnislosigkeit pragmatischen Serie A entpuppt.

Die Medien beschwören schon den "Sarrismus" als Fußballreligion

Der Stratege hinter Napolis mitreißendem Ballbesitz- und Kurzpassfußball, der an seinen besten Tagen anmutet wie die heitere, selbstredend Messi-lose Fortentwicklung von Guardiolas Barcelona, heißt Maurizio Sarri. Einst schmiss Sarri seine Festanstellung bei einer Bank, die ihn aus seiner Heimatregion Toskana in die weite Welt nach London und Luxemburg geführt hatte, und wurde Vollzeittrainer, "weil das der einzige Beruf ist, den ich auch gratis ausüben würde". Gewonnen hat er an seinen 17 zumeist unterklassigen Stationen nie etwas, aber beim SSC Neapel kommt er in seinem dritten Jahr jetzt groß heraus.

Die Medien beschwören schon den "Sarrismus" als neue Fußballreligion, bei der nach Jahren des Turiner Puritanismus endlich wieder der Götze Ball angebetet wird. Die kultische Eleganz seiner Tänzer unter dem Vesuv ist in Wahrheit Resultat akribisch geübter Schritte eines ganzen Kollektivs. Im Mittelpunkt stehen nicht Einzelne, sondern ein Team, das sich vollkommen auf seinen leicht verschrobenen Coach eingeschworen hat. Beharrlich weigert sich Sarri, einen Klubanzug anzuziehen, nicht weil er allergisch wäre gegen feines Tuch, sondern "weil ich ein Trainer bin und nur im Trainingsanzug arbeiten kann". Er ist ein chronisch unzufriedener, dabei verschmitzt selbstironischer Grantler, zufällig in Neapel geboren, wo sein Vater als Stahlkocher arbeitete, aufgewachsen in einem Kaff in der Provinz Arezzo.

In der Champions League bei Pep Guardiola und Manchester City

Nach Neapel kam er als kostengünstiger Ausputzer für den erfolglosen Rafael Benitez und blieb, eisern sein Konzept vom schönen Fußball verfolgend. Frustmomente gab es genug, etwa als Napoli trotz der 36 Saisontore in 35 Ligaspielen von Gonzalo Higuain im vergangenen Jahr wieder das Nachsehen hinter Juventus hatte - und Higuain dann auch noch für 90 Millionen Euro nach Turin wechselte.

Gegen Lazio erschien der Argentinier als personifizierte Vergeblichkeit, melancholisch wie die Herbstnebel über dem Turiner Stadtfluss Po. Um seinen Champions-League-Einsatz gegen Sporting Lissabon am kommenden Mittwoch muss Higuain zittern, ihm droht wieder einmal die Bank. Der ehemalige Kollege Insigne aber freut sich schon auf den Ausflug einen Tag früher zu Manchester City. Den Meistertitel im Visier, kann man auch vor Pep Guardiola wie ein Irrwirsch tanzen.

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