Serie A:Philosoph & Pfeifennase

Lesezeit: 3 min

19 Spiele, 18 Tore: Gonzalo Higuaín ist Neapels Erfolgsgarant. (Foto: Vincenzo Artiano/dpa)

Dank Trainer Maurizio Sarri und Stürmer Gonzalo Higuaín ist der SSC Neapel Wintermeister der Serie A - der Klub spielt so gut wie zu Maradonas Zeiten.

Von Birgit Schönau, Rom

Eine fröhliche, ja enthusiastische Gesellschaft bewegt sich in diesem so frühlingshaften Winter durch Italien. Es ist der Anhang der Società Sportiva Calcio Napoli. Am Sonntag tummelten sich 2000 Neapolitaner in der Kleinstadt Frosinone, auf halbem Weg nach Rom. Jeder fünfte Platz im winzigen Stadion des Aufsteigers Frosinone Calcio war von einem Napoli-Fan besetzt, in den Häusern rund um die Arena auch die Balkon-Stehplätze seit Wochen ausverkauft. Da half es nichts, dass die Wohnungseigentümer von der Polizei gemahnt worden waren, sie dürften ihre Balkone und die Dachterrassen "aus Sicherheitsgründen" nicht überfüllen. Wenn Neapel spielt, wollen nun mal alle zuschauen, handelt es sich doch um die spektakulärste Mannschaft der Saison. Während der kurze Ausflug in die Serie A für Frosinone in wenigen Monaten wieder vorbei sein dürfte, Platz 18 lässt nichts Gutes hoffen. Bald bleiben die Balkone wohl wieder leer.

Insofern war das Match in den sieben Bergen zwischen Rom und Neapel für weltläufige Profis wie Gonzalo Higuaín und Marek Hamsik eine Formalität und der Endstand 5:1 die Bestätigung dessen, was ohnehin schon alle wussten. Dass Napoli so gut spielt wie seit 26 Jahren nicht, als unter Mitwirkung von Diego Armando Maradona zuletzt erst die Hinrunde und dann die Meisterschaft gewonnen wurden. Was den in vielerlei Hinsicht virtuellen Titel des "Wintermeisters" angeht - der ist nach der Gala von Frosinone im Kasten, mit zwei Punkten Abstand vor den Nordmächten Inter Mailand und Juventus Turin, die die Söhne des Vesuvs wohl auch in der Rückrunde jagen werden. Weswegen Neapels Trainer Maurizio Sarri auch gleich abwiegelte: "Die Wintermeisterschaft ist ein vollkommen platonischer Triumph."

Wenn Higuaín eine Pizza essen geht, müssen Straßen gesperrt und Fans beruhigt werden

Platonisch! Auf solche Worte kann wohl nur der knorrige Rasenphilosoph Sarri kommen, der in Frosinone seinen 57. Geburtstag im Trainingsanzug feierte und heiter gestand: "Wir sind es nicht gewohnt, da oben zu stehen." Das "Wir" darf getrost als Pluralis Majestatis interpretiert werden, denn während der Klub der Südmetropole durchaus noch bessere Zeiten erlebt hat, ist die Höhenluft für Sarri selbst tatsächlich etwas ganz Neues.

In Neapel wurde er geboren, weil sein Vater dort als Stahlarbeiter beschäftigt war, aufgewachsen ist Sarri jedoch in der Toskana, wo er eine Karriere als Banker machte und bald auch gut bezahlte Jobs im Ausland bekam. Er kündigte, um sich ganz seiner Fußball-Leidenschaft zu widmen. Es folgten zwei lustige und lehrreiche Jahrzehnte in der hintersten Provinz, mit Empoli als letzter Station. Im Sommer wurde Sarri dann als billiger Nachfolger (900 000 Euro ohne Prämien) für den Spanier Rafael Benitez nach Neapel geholt. Und stieß zunächst auf Ablehnung. Verschnupft darüber, von ihrem ohnehin als geizig verschrienen Präsidenten Aurelio De Laurentiis einen Nobody mit seltsamen Manieren vorgesetzt zu bekommen, blieben die Tifosi dem Stadion fern.

Doch Sarri ließ sich nicht beeindrucken und baute behutsam und beharrlich eine Mannschaft auf, die mit ihrer Fantasie und Spielfreude Schritt für Schritt der Konkurrenz enteilte. Anführer, ja Lichtgestalt des neuen Napoli ist der Argentinier Higuaín, mit 18 Treffern in 19 Spielen (zwei gegen Frosinone) in der Höchstform seines Lebens. Mit dem trockenen Benitez war "el pipita", wie sie ihn wegen seiner markanten Pfeifennase nennen, nie richtig warm geworden, und fast schien es, als wäre Neapel für Higuaín der letzte Platz auf der Welt, um die Enttäuschung über das verlorene WM-Finale gegen Deutschland zu überwinden. Nachdem die Mannschaft zum zweiten Mal in Serie die Qualifikation zur Champions League verpasste, wollte der 28-Jährige nur noch weg, zu einem Klub, der ihm die große internationale Bühne bieten würde. Wie Real Madrid, wo er sechs Jahre verbracht hatte, bevor er nach Neapel kam.

Doch De Laurentiis zwang ihn zu bleiben, und Sarri verlieh ihm neue Flügel. Wie entfesselt spielt jetzt Higuaín im besten Angriff der Liga und ist, halb durch sein Verdienst, halb aus Mangel an Konkurrenz zum einzigen Superstar der Serie A avanciert. Neapel liegt ihm zu Füßen, was dazu führt, dass jedes Mal, wenn pipita seine große Nase aus dem Domizil auf dem bürgerlichen Vomero-Hügel steckt, um irgendwo draußen eine Pizza essen zu gehen, Straßen gesperrt und johlende Fans beruhigt werden müssen.

Von so viel begeisterter Anteilnahme können die Kollegen in Turin, Mailand und Rom nur träumen. Die Roma ist mit sieben Punkten Abstand bereits raus aus dem Titelkampf und steht deshalb knapp davor, sich von ihrem französischen Trainer Rudi Garcia zu trennen. Vor ihr steht auf Platz vier der AC Florenz, die andere Überraschungsmannschaft der Saison, die es jedoch zuletzt an Solidität vermissen ließ. Platz zwei teilen sich Inter und Juventus. Die Mailänder verloren am Sonntag überraschend 0:1 in Sassuolo, während der Titelverteidiger mit einem 2:1 gegen Sampdoria Genua (Siegtor von Sami Khedira) das neunte Spiel nacheinander gewann. Napoli ganz oben, Juve wieder da: Es bleibt spannend in der Serie A. Und kein bisschen platonisch.

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: