Senegal:Der schnellste Kletterer

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Ein Mann von altmodisch anmutender Strenge: Aliou Cissé will Senegal ins WM-Viertelfinale führen, so wie einst 2002, als er noch selbst mitspielte. (Foto: Andrew Medichini/dpa)

Aliou Cissé ist der jüngste Trainer des Turniers. Er wehrt sich gegen den Status als Exot, dirigiert trotz wenig Erfahrung ein vielversprechendes Team - und Afrika steht hinter ihm.

Von Birgit Schönau

Er ist schon jetzt der coolste Typ auf einer WM-Trainerbank. Lange Rastalocken, knappes Ziegenbärtchen, eine eckige schwarze Riesenbrille mit goldenen Bügeln im schmalen Gesicht. Und wenn er spricht, stets ernsthaft, konzentriert, in seinem geschmeidigen Französisch, dann könnte man sich Aliou Cissé auch als Künstler vorstellen, der auf einer Vernissage seine Bilder erklärt. Er ist aber Coach von Senegal, der bisher einzigen siegreichen Mannschaft aus Afrika, die beim 2:1-Einstandsmatch gegen den Favoriten Polen alle überrascht hat. Nur nicht ihren Trainer Cissé, der erläutert, Senegals Erfolg habe viel mit Disziplin zu tun und ein wenig mit Glück, womit ein polnisches Eigentor gemeint ist. Am Sonntag geht es gegen Japan, "und weil wir gegen Polen physisch hart im Einsatz waren, müssen wir jetzt vor allem unsere Energie wiedergewinnen". Das zweite Spiel, weiß Cissé, sei entscheidend.

Vor 16 Jahren hatte er selbst für Senegal als Kapitän eine WM gespielt, erst im Viertelfinale war Schluss, schon der Auftaktsieg gegen Frankreich war eine Sensation. Das sei ein ganz anderes Gefühl gewesen, "weil Frankreich ja unsere ehemalige Kolonialmacht war, und wir Spieler waren die Kinder derjenigen, die auf der Suche nach einer Zukunft nach Frankreich emigriert waren". Er selbst hatte mit 18 im nordfranzösischen Lille angeheuert, einem grauen Ort mit nassen Wintern und Kopfsteinpflasterstraßen. Über Sedan ging es weiter zu Paris Saint-Germain, dort reichte es für ein bisschen Champions League. Es folgte Montpellier. Und dann England: Birmingham, Crystal Palace in London, Portsmouth, damals alles noch Premier League, solide, untere Mittelklasse. Aliou Cissé spielte im defensiven Mittelfeld, er hatte seinen Weg gemacht, aber ganz nach oben führte der nicht.

Inzwischen ist er 42 Jahre alt, der jüngste Trainer bei dieser WM. Und der einzige schwarze. Tunesiens Nabil Malooul ist noch ein Einheimischer, die übrigen afrikanischen Teams werden von Ausländern trainiert - Nigeria vom Deutschen Gernot Rohr, Marokko von dem Franzosen Hervé Renard, Ägypten von dem Argentinier Hector Cuper. Angesichts dieser massiven ausländischen Präsenz wird man als senegalesischer Coach Senegals schnell zum Symbol, wogegen Cissé sich ein wenig halbherzig wehrt: "Fußball ist universell, die Hautfarbe ist nicht wichtig." Das ist nun wieder ein Satz von der Vernissage. Fußball ist universell, und Diskussionen um die Hautfarbe sind trotzdem an der Tagesordnung. Cissé wehrt sich gegen den Exotenstatus, "weil wir Afrikaner schlicht das Recht haben, zu den internationalen Top-Trainern gezählt zu werden".

Der afrikanische Fußball wird allgemein mit gönnerhafter Sympathie betrachtet, aber auch ein wenig unterschätzt, nicht zuletzt von sich selbst. Cissé indes neigt überhaupt nicht zum Tiefstapeln. "Senegal repräsentiert hier ganz Afrika", sagt er. "Und ganz Afrika steht hinter uns. Die Menschen glauben an uns." Worüber Aliou Cissé nicht spricht: Das Jahr des größten Triumphs für die Nationalmannschaft Senegals war für ihn auch das Jahr der größten persönlichen Katastrophe. Nur wenige Wochen nach der WM in Japan und Südkorea sank im September 2002 vor der Küste Gambias das mit fast 2000 Menschen hoffnungslos überladene senegalesische Fährschiff Joola. Es gab nur 64 Überlebende, einige Familienangehörige von Cissé starben. Die marode Joola gehörte einem Staatsunternehmen. Ihr Untergang gilt als drittgrößte Katastrophe der zivilen Schifffahrt. Sie führte zu einer Staatskrise und zum Rücktritt der Regierung.

Aliou Cissé ist ein Mann von altmodisch anmutender Strenge. Disziplin, Demut, Leidenschaft, das ist sein Dreiklang, von der Bank dirigiert er seine Spieler mit entschlossener Konzentration. Seine Gesten sind schon jetzt Kult, die Pumpbewegungen mit dem rechten Arm, die Zeigefinger an der Stirn, die Hände in schneller Kletterbewegung. So kontrolliert er Fußballer, von denen einige in den großen Ligen arbeiten. Allen voran Sadio Mané vom FC Liverpool, Kalidou Koulibaly vom SSC Neapel, Keita von AS Monaco und Schalke-Zugang Salif Sané. In Senegal ist nur der dritte Ersatztorwart geblieben.

Cissé hat klargemacht, dass Dabeisein für ihn noch lange nicht alles ist. Er hat einen Auftrag, er hat ein Ziel, und das Ziel lautet Viertelfinale. Wie damals, vor 16 Jahren. Senegal hat seither einen langen Weg zurückgelegt, noch immer ist das Land bitterarm mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von 970 Dollar. Ein Viertel von Tunesien, doppelt soviel wie Mosambik. "Wir haben keine Komplexe", sagt Cissé. Aber der Hunger nach dem großen Coup, der ist natürlich da und er ist groß. Es dem Rest der Welt zu zeigen, dass Afrika mithalten kann, dieses Gefühl ist für Aliou Cissé zwangsläufig stärker als für Gernot Rohr: "Afrika ist voller Qualitäten, aber die Realität dort ist kompliziert." In Russland ist sie vergleichsweise einfach. Jetzt ist in der Gruppe H mit den vier Kontinenten erst mal Japan dran, danach Kolumbien. Mindestens zwei Spiele noch für die großen Gesten des Aliou Cissé.

© SZ vom 23.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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