Sebastian Vettel vor Titelverteidigung:Wonnestunde im Vergnügungspark

Red Bull Formula One driver Vettel of Germany waves to fans at the Suzuka circuit

Mag die Mutkurven in Suzuka: Sebastian Vettel

(Foto: REUTERS)

Sebastian Vettel kann in Suzuka seinen vierten WM-Titel in der Formel 1 gewinnen, er würde damit in die Liga der großen Serien-Champions wie Michael Schumacher aufrücken. Die Meisterschaft vorzeitig in Japan zu feiern, wäre für Vettel eine zusätzliche Genugtuung.

Von Elmar Brümmer, Suzuka

Kirschblüten, Pagoden, Bonsais, Origami. Das trägt Sebastian Vettel am Kopf, wenn er an diesem Wochenende auf dem Suzuka International Racing Course loszieht, um zum vierten Mal in Serie Formel-1-Weltmeister zu werden (Qualifikation, Samstag, 7 Uhr/Rennstart, Sonntag, 8 Uhr). Ein besonderes Rennen, eine besondere Helmlackierung.

Die liegende Asphalt-Acht in Suzuka ist nicht bloß der Lieblingskurs des Heppenheimers, sie ist auch das, was er eine "echte Fahrerstrecke" nennt. "Ein ganz spezieller Ort, eine großartige Strecke. Und wirklich verrückte Fans" - das fällt Vettel zu der Schleife ein, die sich durch einen Vergnügungspark windet. Kurz: der rundum passende Ort, um in die Liga der ganz großen Serien-Champions wie Michael Schumacher, Juan Manuel Fangio und Alain Prost aufzurücken.

Beim Abschlusstraining am Freitag war Red-Bull-Fahrer Vettel wieder einmal mit Abstand der Schnellste. Fernando Alonso im Ferrari belegte Rang zehn. Geht der 15. Saisonlauf am Sonntag auch so aus, triumphiert Vettel erneut. Auf diese Aussicht angesprochen, geht der 26-Jährige aber in die Defensive. "Ich schau' eher auf mich und auf mein Auto. Darum geht es", so Vettel. Stolzes über seinen 77-Punkte-Vorsprung auf Alonso gibt es von ihm nicht zu hören. Aber leidenschaftliche Referate über schnell nachlassende Hinterreifen, Tücken und Chancen der Mutkurven in Suzuka und die deshalb kniffelige Suche nach der richtigen Abstimmung für den Rennwagen.

Antrainierter Tunnelblick

Trotz acht Siegen in dieser Saison, die letzten vier davon in Serie, will Vettel offenbar verdrängen, dass er am Wochenende das Kunststück wiederholen könnte, das ihm vor zwei Jahren an gleicher Stelle schon einmal glückte. Es ist ein antrainierter Tunnel-Blick: "Es ist schade, wenn man zu sehr ans große Ganze denkt, weil man dann in Gefahr läuft, sich zu versteifen und den einzelnen Moment zu verpassen", sagt Vettel.

Auf den Einwurf, die Saison laufe für ihn doch wie geschnitten Brot, verzieht Vettel das Gesicht. So, als wittere er hinter jedem Spruch die Unterstellung, die Leichtigkeit der jüngsten Siege sei ihm einfach zugeflogen. Das ist derzeit offenbar seine wunde Stelle: "Ich finde es ein bisschen schade, wenn man das so hinstellt. Letzten Endes läuft nix von allein", erwidert Vettel darauf.

Sein Chef bindet ihm derweil schon vorab Lorbeerkränze: "Sebastian fährt besser, als ich es jemals gesehen habe. Er sammelt Erfahrung, auch Lebens- erfahrung, hat sich als Fahrer und als Mensch entwickelt. Was er in diesem Jahr erreicht hat, ist ziemlich phänomenal. Wenn man ihn mit Schumacher, Prost und Fangio vergleicht, kann ich nur sagen: Wie er seiner Arbeit nachgeht, wie er seine Erfolge erreicht hat und wie er fährt, das ist einmalig", sagte Red-Bull-Teamchef Christian Horner der dpa.

Hamilton: "Er ist ein großartiger Mensch, so lustig und demütig"

Aber längst nicht alle Beobachter sehen das so. Nicht wenige britische Journalisten höhnen heimlich, sie würden sich bei den vielen Vettel-Berichten regelmäßig verschreiben und statt Seb ein anderes Wort tippen, das mit einem S beginnt: "Schumi".

Vettel selbst weist derlei Vergleiche inzwischen routiniert zurück. Auch die ihm eigene Dominanz will er nicht mit der seines Vorfahren gleichsetzen: "Ich hatte zuletzt drei bis sechs Sekunden Vorsprung pro Runde, wenn man zehn Jahre zurückblickt, dann waren das beim Führenden manchmal 30 Sekunden. Das ist doch ein großer Unterschied." Vor allem ist es aber ein Versuch, gegen das Vorurteil anzukämpfen, er hätte der Formel 1 ihre Spannung geraubt.

Den Vorwurf hatte nach Vettels Solo in Korea Lewis Hamilton erhoben. Vor dem Japan-Auftritt mühte sich der Brite, den Anwurf zu relativieren. Gleich fünf Twitter-Nachrichten setzte der Mercedes-Fahrer dazu ab: "Ich glaube, ich muss da was klarstellen." - "Nicht nur das, er ist ein großartiger Mensch, so lustig und demütig. Er verdient all den Erfolg, den er hat." - "Ich bewundere seine Leidenschaft und Fähigkeit, so konstant und ohne Fehler solche Leistungen zu bringen. Das ist das Zeichen eines echten Champions." - "Egal, was wir alle über sein Auto denken, am Ende ist es er, der den perfekten Job macht." - "Ich bin so dankbar, in einer Ära mit so vielen großartigen Piloten fahren zu dürfen."

Vettel, für den es durchaus wichtig ist, von möglichst allen Respekt zu ernten, nimmt den U-Turn des Weltmeisters von 2008 offiziell als "nettes Kompliment". In Wahrheit muss das öffentliche Zurückrudern für ihn weit mehr sein: eine ungeheure Genugtuung.

In Spa, in Monza und in Singapur wurde Vettel in diesem Jahr ausgebuht. Angst, dass ihm am Sonntag etwas Ähnliches droht, braucht er nicht zu haben. Seine Anhängerschaft in Japan ist groß. Hier üben schon Kinder die nicht unumstrittene Geste, die Vettel gerne zeigt, wenn ihm etwas gelingt. Seine ausgestreckter Zeigefinger deutet dann nach vorn und nach oben - und demonstriert so auch den weiteren Anspruch.

"Unser Ziel vor der Saison war, um die Meisterschaft zu fahren. Das wurde korrigiert, als wir erkannten, dass wir in einer guten Position waren. Seither lautet es, den Titel zu gewinnen", sagt Vettel. Wann und wo das geschehe, sei nicht wichtig. Vier Chancen bieten sich ihm nach Japan noch. Aber eine Siegesfeier dort wäre doch passend. Hinten auf den Helm hat er sich dieses Mal einen leuchtend roten Sonnenball lackieren lassen. Vettel im Land der aufgehenden Wonne.

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