Sebastian Kehl:Verlorenes Paradies

Bei seinem Heimspiel ersetzt Sebastian Kehl Torsten Frings tadellos.

Ludger Schulze

Es hat genau eineinhalb Überraschungen in der Anfangsaufstellung der deutschen Nationalmannschaft gegeben. Erstmals während der WM verzichteten die Trainer Jürgen Klinsmann und Joachim Löw auf den Münchner Dribbelfix Bastian Schweinsteiger.

Sebastian Kehl: Sebastian Kehl hat Frings gut ersetzt.

Sebastian Kehl hat Frings gut ersetzt.

(Foto: Foto: AP)

Dafür stand der Bremer Tim Borowski in der Startformation, eine logische Konsequenz aus seiner allmählichen, aber stetigen Formsteigerung seit Beginn des Turniers. Dem kühlen, bedachten und für die Spielstruktur wichtigen Borowski traute die Mannschaftsleitung offenbar eher zu, den mit optimaler Cleverness gesegneten Italienern eins auszuwischen.

Der Einsatz von Sebastian Kehl, 26, ist hingegen nach dem Ausfall von Torsten Frings wegen dessen Sperre aus dem Viertelfinalspiel gegen Argentinien zu er-warten gewesen. "Sebastian kann das genauso spielen", hatte Kapitän Michael Ballack tags zuvor prognostiziert.

Tat Kehl aber nicht ganz, sondern zehn Meter nach links versetzt, wenn auch auf gleicher Höhe. Kehl ist zwar kein Stammspieler in der Nationalelf, aber mit 29 Länderspielen (und dabei drei Toren) auch kein unerfahrener Mann mehr. Eine gewisse WM-Routine hat er sich schon vor vier Jahren in Japan und Südkorea angeeignet, wo ihm Teamchef Rudi Völler einige Einsätze gegönnt hatte.

Mit einem leichten Lächeln entstieg Kehl eine gute Stunde vor dem Anpfiff dem deutschen Mannschaftsbus. Er schien sich ausgesprochen wohl zu fühlen, in der Dortmunder Arena ist er ja zu Hause, dort kennt er jeden und alles. Vor kurzem erst hat er seinen Vertrag bei der Borussia um drei Jahre verlängert. Kehl ist sehr beliebt in Dortmund, weil er in der Bundesliga-Mannschaft als heimlicher Chef gilt und als Vertrauensperson des Präsidiums.

Nicht nur mit dem Fußball hat er sich hier Freunde geschaffen, auch sein soziales Engagement gefällt den Leuten. Kehl ist, gemeinsam mit seinem engen Freund Christoph Metzelder, seit einigen Jahren für die katholische Hilfsorganisation "Roter Keil" aktiv, die hauptsächlich ein Projekt gegen Kinderprostitution in Sri Lanka betreibt.

Die beiden haben zusammen mit Jochen Reidegeld, Kaplan aus der St. Laurentius-Gemeinde in Senden bei Münster, ein Buch herausgegeben. In diesem Falle kein Verherrlichungsbuch von Fußball-Idolen, sondern ein sehr ernstes zur obigen Problematik. Es trägt den Titel: "Das verlorene Paradies."

Doch an diesem Abend lautete das Thema ganz anders: wie man ins Paradies des Fußballs gelangt, ins Finale der Weltmeisterschaft. Kehls Auftrag war klar: das Aufbauspiel um die Schaltzentrale Francesco Totti lästig und erfolgreich zu stören.

Am römischen Feldherrn des Calcio klebte Kehl folglich dran, sobald Totti sich in eine auch nur vage aussichtsreiche Position schlich. Neben ihm, dort, wo für gewöhnlich Torsten Frings seinen Standort bezieht, postierte sich in der Region vor der Abwehr Michael Ballack, um Tottis Azzurri dort keinerlei Bewegungsfreiheit zu gewähren. Das gelang eine Viertelstunde lang prima, bis Mertesacker sich verschätzte und Perrotta alleine auf Lehmann zulief, den Ball aber nicht am deutschen Torwart vorbei brachte. Nach gut 20 Minuten schaltete sich Kehl erstmals in den Angriff ein, seine Flanke nahm Lukas Podolski direkt aus der Luft, schoss die Kugel aber gut zwei Meter über die Querlatte.

Zur Halbzeit konnte Sebastian Kehl wieder mit einem Lächeln in die Kabine gehen, er hatte Frings kaum vermissen lassen und seine Sache ebenso gut gemacht wie Tim Borowski. Dem allerdings war die Laune ein bisschen vermiest durch eine gelbe Karte, die er sich gegen Totti eingehandelt hatte.

In der 62. Minute war Dienstschluss für den Bremer, Bastian Schweinsteiger kam für ihn. Nach der Pause wurde Kehl noch frecher, der erste Schuss aufs Tor gehörte ihm und einige Male verteilte er die Bälle klug in die Spitze. Sein Problem in der Defensive war nun nicht mehr Totti, sondern der elegante Pirlo, von dem die klügsten Aktionen der Italiener ausgingen. Auch gegen den sah Kehl gut aus.

Er tat, was er konnte, in der Verlängerung verhalf er Podolski sogar zur vielleicht größten Chance der DFB-Elf. Aber als er am Ende in die Kabine ging, hatte er sein Lächeln verloren.

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