Schwimmer Sun Yang:China baut auf den lächelnden Krieger

Chinas Schwimmer Sun Yang hat Olympia-Gold so gut wie sicher. Bei der letzten WM schwamm er Weltrekord und in London fehlt die Konkurrenz. Er steht für die Hoffnung Chinas, dass die Spiele in Peking 2008 nicht das Ende des sportlichen Höhenrauschs war.

Claudio Catuogno

Kurz vor der Abreise aus Peking hielt der Schwimmer Sun Yang noch eine kleine Ansprache vor seinen Teamkollegen. Sie klang, als wolle hier einer den Olympischen Frieden aufkündigen. "Ich fühle mich wie ein Krieger", sagte er, "mit einem Schild in der Hand. Ich werde mein Bestes geben. Ich bin bereit, London. Wir kommen. Die chinesischen Männer kommen."

Olympics - Previews - Day - 2

Ganz China erhofft sich von ihm eine Medaille: Schwimmer Sun Yang.

(Foto: Getty Images)

Sun Yang trug allerdings keine Rüstung, sondern das gelbe Team-T-Shirt mit der roten Fahne auf der Brust, dazu eine verspiegelte Sonnenbrille und sein freundliches Bubenlächeln. Seine Worte hat er natürlich trotzdem ganz ernst gemeint.

Sun Yang, 20, ein 1,98-Meter-Junge aus Hangzhou in der Provinz Zehjiang, hat ja auch gut reden. Er zählt zu jener Handvoll Athleten, denen die Goldmedaille bei diesen Spielen wohl nur dann zu nehmen ist, wenn sie sich kurz vor dem Start beide Knöchel verstauchen.

Wobei: Der Gegner, der einen gehandicapten Sun Yang über 1500 Meter Freistil bezwingen könnte, müsste sich auch erst noch finden. Gleichzeitig zählt Sun Yang auch zu jener Handvoll Athleten, denen Heldenverehrung gewiss ist, wenn sie als Olympiasieger nach Hause zurückkehren. Noch nie hat ein chinesischer Schwimmer eine Goldmedaille in einem olympischen Einzelrennen gewonnen.

Dass die Athleten aus Chinas Staatssportsystem im Tischtennis, Wasserspringen, Badminton oder Frauengewichtheben so gut wie alles gewinnen, ist nicht erst seit den Heimspielen von Peking 2008 quasi olympisches Gesetz. Im Schwimmen hingegen hat es vor vier Jahren nur mäßig geklappt - obwohl damals das "Projekt 119" jene Disziplinen besonders in den Blick nahm, die traditionell nicht die Domänen chinesischer Sportler sind: Leichtathletik zum Beispiel, auch Boxen. Oder eben Schwimmen.

Doch nun ist dem Publikum noch jene atemberaubende Szene von vor einem Jahr in Erinnerung: Shanghai, Schwimm-WM, 1400 Meter waren schon absolviert im Endlauf über die längste Beckendistanz. Eine letzte Bahn stand noch aus. Sun Yang hatte lange auf Weltrekord-Kurs gelegen, 12 000 Menschen in der Halle tobten, dann hatte der Chinese ein paar Bahnen verbummelt, ihm fehlte die Rennerfahrung, und nun war die Bestzeit außer Reichweite. Dachte man.

Dann legte Sun Yang die letzten hundert Meter in 54 Sekunden zurück. Dafür trainieren viele Schwimmer ein halbes Leben - und schaffen die Zeit dann gerade so vom Startblock weg. Mit 1400 Metern in den Beinen sind sie ein Husarenstreich. Sun Yang hat damit den zehn Jahre alten Weltrekord des Australiers Grant Hackett unterboten - den einzigen, der zuvor die Phase der Hightech-Anzüge überstanden hatte.

In London zeigt sich Chinas wahre Stärke

Da kann Sun Yang jetzt den Reportern am Pekinger Flughafen erzählen, er reise im Grunde bloß nach London, um "zu entspannen und einen normalen Wettkampf zu bestreiten, ohne Last auf meiner Schulter". Die Wahrheit ist, dass er jetzt Gold gewinnen muss in der Erwartung der heimischen Öffentlichkeit. Er spielt gewisser- maßen jene Hauptrolle in Chinas Olympia-Team, an der 2008 der Hürdensprinter Liu Xiang scheiterte. Er ist der Mann, in dem sich die Sehnsüchte bündeln. Mit dem Unterschied, dass er dem Druck schon mal standgehalten hat, 2011 in Shanghai.

An ihm dürfte es in London also nicht scheitern. Die Frage ist vielmehr, wie viele Goldmedaillen übrig bleiben von jenen 51, die chinesische Sportler vor vier Jahren unter heimischer Flagge gewannen - und mit denen sie als erstes Land seit 1992 die USA (36) in der Endabrechnung hinter sich ließen. Werden es diesmal 38 sein, wie das Wall Street Journal in einem aufwendigen Wenn-Dann-Szenario ermittelt hat? Oder 37, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua prognostiziert? Oder noch weniger?

Die Spiele in London jedenfalls werden so etwas wie die wahre olympische Stärke des chinesischen Staatssports ans Tageslicht fördern. Liu Peng, der Präsident des nationalen olympischen Komitees, wäre wohl ganz zufrieden, wenn sein Land am Ende einen der ersten drei Ränge in der Nationenwertung belegte. Ob er das in der Heimat als Erfolg vermitteln könnte? In einer Umfrage der populären Website Sohu.com gaben 52 Prozent an, sie erwarteten, dass China wieder ganz oben landet. Obwohl man vor vier Jahren 639 Männer und Frauen in die Wettkämpfe schicken durfte und diesmal nur noch 396.

Olympische Spiele zu Hause haben überall auf der Welt einen Investitionsschub in die Sport-Infrastruktur zur Folge. Das ist jetzt bei den Briten zu beobachten, in China, wo der Sport schon aus Gründen der Staatsräson den Stolz der Nation heben soll, war es in den Jahren vor 2008 nicht anders. Ist nun also Depression? Katerstimmung?

Das Reservoir an Talenten ist nach wie vor riesig, und die staatlichen Sportschulen schicken auch weiterhin ihre Späher in die entlegensten Dörfer, um die besonders großen Kinder für ihre Basketballteams zu rekrutieren und die besonders gelenkigen zu Turmspringern zu formen.

Dass dieses System an seine Grenzen stößt, berichtete kürzlich allerdings sogar die chinesische Zeitung Global Times: Die Anzahl dieser Sportschulen sei in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent gesunken, die boomende Wirtschaft habe Jugendlichen andere, besser planbare Aufstiegsmöglichkeiten eröffnet. Offiziell bestätigt wird das nicht, und wenn man in London chinesische Journalisten dazu befragt, sagen die, man solle doch solche Geschichten nicht glauben. Alles sei in bester Ordnung.

Sun Yang allerdings ist schon ein Produkt eines neuen chinesischen Sports. Er trainiert in Australien, beim ehemaligen Coach von Grant Hackett, dessen Rekord er in Shanghai mit ein paar lässig-kräftigen Armzügen den Garaus machte.

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