Schwimmer Marco Koch:Gold für eine "Scheiß-Zeit"

Marco Koch

Nicht so schnell wie erhofft, aber schneller als alle anderen: Marco Koch.

(Foto: Getty Images)

Marco Koch ist Weltmeister über 200 Meter Brust - es ist der erste deutsche Titel seit 2009. Doch der 25-Jährige ärgert sich. Er will mehr als nur Medaillen.

Von Claudio Catuogno, Kasan

Passiert das alles gerade wirklich? Soldaten marschieren im Gleichschritt am Beckenrand entlang und hängen dann eine schwarz-rot-goldene Fahne an eine Stange. Marco Koch betritt das Siegerpodest, das so groß ist, als stehe man auf dem Dach eines Bungalows. Koch bekommt eine Medaille umgehängt, eine Medaille in Gold. Oben auf der Athletentribüne stehen die anderen deutschen Schwimmer und rufen seinen Namen. Und dann wird die deutsche Hymne gespielt im Schwimmstadion von Kasan, das im wahren Leben ein Fußballstadion ist.

Jetzt wäre wohl der Moment, feuchte Augen zu bekommen. Vielleicht nicht ganz so feucht wie jene, für die der Brasilianer César Cielo berühmt ist, nach dessen Siegerehrungen man immer aufwischen muss. Aber so ein kleines Tränchen?

Nö. "Ich hab's nicht so mit Weinen", sagt Marco Koch, "weil ich freue mich ja, wieso soll ich da weinen?" Und gefreut hat er sich durchaus, dieser 25-jährige Schwimmer aus Darmstadt, der sich seit Freitagabend Weltmeister über 200 Meter Brust nennen darf. Auch wenn zwischenzeitlich sogar an seiner Freude Zweifel aufkamen - als Koch nämlich in der Mixed Zone um eine passende Überschrift zu diesem Abend gebeten wurde und sagte: "Scheiß-Zeit!"

Scheiß-Zeit?

Null Medaillen bei Olympia 2012

Es hat im wahren Leben schon lange keinen Schwimm-Weltmeister aus Deutschland mehr gegeben, zumindest nicht im 50-Meter-Becken. Den letzten Titel für den Deutschen Schwimm-Verband gab es 2009, danach kam die große Dürre mit null Medaillen bei Olympia 2012.

Unter anderem deshalb hat Lutz Buschkow, der DSV-Direktor Leistungssport, kurz nach den London-Spielen Henning Lambertz zum Chef-Bundestrainer gemacht: damit dieser die Rückkehr der olympischen Kernsportart Schwimmen in die Weltspitze plant. Das ist schon halbwegs gelungen bei dieser WM, es spiegelt sich in zahlreichen persönlichen Bestzeiten wieder. Wenn auch vor allem jenseits der öffentlichkeitswirksamen Medaillenränge.

Aber so einen wie Marco Koch kann man nicht planen. Einen, der Weltmeister wird, aber sich über seine Zeit echauffiert. 2:07,76 Minuten, das war sogar ein deutlicher Vorsprung auf Kevin Cordes aus den USA (Silber; 2:08,05) und Daniel Gyurta aus Ungarn (Bronze; 2:08,10). Aber es war eben auch langsamer als jene 2:07:47 Minuten, die als Kochs Bestzeit in den Listen stehen. Und der Weltrekord steht sogar bei 2:07,01. "Ein bisschen schade, dass der heute nicht gefallen ist", sagt Koch nun in Kasan. Aber doch auch gut für ihn, dass kein anderer so schnell war, oder nicht? "Ja, stimmt auch wieder."

So spricht einer, der mehr will als nur Gold

Dass der DSV jetzt wieder einen Weltmeister in seinen Reihen hat, ist sicher eine gute Nachricht mit Blick auf Olympia in Rio im kommenden Jahr. Es macht vieles leichter. Ein noch besseres Zeichen ist, dass dieser Weltmeister schon im Moment des Triumphs mit der Selbstoptimierung weitermacht: "Wenn ich sagen würde, geil, ich bin Weltmeister, was soll ich da jetzt noch verbessern - dann müsste ich ja gar nicht nach Rio fahren." So spricht einer, der mehr will als nur Gold in der Vitrine.

"An den Wenden kann man sicher noch ein paar Zehntel rausholen", hat sein Trainer Alexander Kreisel am Freitagabend in Kasan vorgerechnet, und Koch hat angekündigt, sein Kraft-Last-Verhältnis zu verbessern. Soll wohl heißen: mehr Kraft, weniger Eigengewicht.

Marco Koch hat aber auch schon in der Vergangenheit viel an sich gearbeitet, sonst wäre es nichts geworden mit diesem Titel. Er hat für sich festgestellt, dass er keinen DSV-Stützpunkt und keine Bundeswehr braucht, sondern sich zu Hause in Darmstadt am wohlsten fühlt, mit einem Wirtschaftspsychologie-Studium. Er ist mit seiner präzisen Technik schon jetzt einer der besten Gleiter im Wasser. Er hat seine Ernährung umgestellt, abgesehen von Fleisch isst er vegan. Und er hat sich diese Gemütsruhe angeeignet, in der er ausschließlich gegen die Uhr schwimmt und nicht, um Erwartungen zu erfüllen. Deshalb dürfte ihn die Favoritenrolle mit Blick auf Rio jetzt auch nicht weiter belasten. "Es hat sich doch nichts geändert", sagt er. "Ich will weiter schneller schwimmen als meine Bestzeit."

Bei der Anreise hatte er sich den Magen verdorben

Koch hat in Kasan aber auch gelernt, dass man nicht alles beeinflussen kann. Bei der Anreise aus dem Trainingslager in der Türkei hatte er sich den Magen verdorben, "wohl was Falsches gegessen am Flughafen in Antalya". In der Nacht von Sonntag auf Montag war an Schlaf nicht zu denken, danach wurde es besser, aber um ein Haar wären Kochs WM-Träume an einer Magenverstimmung gescheitert. Und da ist es eine lustige Pointe, wohin Marco Koch, bevor er demnächst weitermacht mit der Selbstoptimierung, jetzt für zwei Wochen in den Urlaub fliegt.

Genau. Nach Antalya.

"Aber am Flughafen", sagt Marco Koch, der Weltmeister über 200 Meter Brust, "am Flughafen ess' ich diesmal nix."

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