Schwimmer Marco Koch:Eine Bahn im Nordbad

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Marco Koch.

(Foto: Rainer Jensen/dpa)

Darmstadt, Luxemburg, Rio: Weltmeister Marco Koch nähert sich Olympia abseits der üblichen Wege.

Von Saskia Aleythe, Berlin

Wenn Marco Koch abtaucht, gleitet, zieht, auftaucht und atmet, paddeln auf der Nebenbahn die Grundschüler. Rentner, die sich treiben lassen, Hobbyschwimmer, die sich gegenseitig die Bahn versperren. Im größten Trubel im Darmstädter Nordbad trainiert Koch, der Weltmeister. Ein bisschen Ruhe? Gibt es nicht. Marco Koch schwimmt zu normalen Öffnungszeiten. Die Halle: marode. Er sagt: "Wenn man aus Darmstadt kommt, kommt man überall zurecht." Und schon ist man drin: in der Welt von Marco Koch.

Es ist Anfang Mai, drei Monate noch bis zu den Olympischen Spielen. Marco Koch prangt auf dem Veranstaltungsheft der deutschen Meisterschaften in Berlin, er sitzt bei der Eröffnungsveranstaltung auf dem Podium, hält Autogrammstunden ab. Es sind Aufgaben, die einst Paul Biedermann erfüllte. Doch mit Blick auf Rio geht im Jahr 2016 der Blick zuerst auf den ruhigen, 26 Jahre alten Koch. In der Weltjahresbestenliste steht sein Name über 200 Meter Brust ganz oben - er ist nicht nur Medaillenkandidat, sondern Favorit. Mit seiner Zeit von 2:07,69 Minuten ist er nur wenig vom Weltrekord des Japaners Akihiro Yamaguchi aus dem Jahr 2012 entfernt, der liegt bei 2:07,01 Minuten. "Den Weltrekord muss man auf jeden Fall schaffen - die Frage ist, wie weit man drunter bleiben muss", sagt er im Hinblick auf die Goldmedaille. Er fühle sich jedenfalls "noch ein bisschen stärker als letztes Jahr". Da hat er bei der WM in Kasan seinen ersten WM-Titel geholt, zufrieden war er nicht: Er wollte Bestzeit schwimmen, das hatte nicht geklappt. Seine Goldmedaille liege nun "irgendwo im Schrank".

Ein Weltmeister, der in der Öffentlichkeit trainiert, ein Sieger, der seine Zeit bemängelt - bei Marco Koch treten Widersprüche auf. Sie sind Teil einer Philosophie, die er gerade perfektioniert. Er sucht seinen Weg inmitten der üblichen, ausgetretenen Wege. 2016 soll es besser laufen als 2012 in London, "da war alles noch ein bisschen viel für mich". Damals verpasste er als 13. das Finale.

Koch liebt seine Heimat Darmstadt, wo seine Mutter und seine Freundin leben. Dass ihn Training an modernen Olympiastützpunkten, wo die deutsche Schwimm-Elite versammelt ist, voranbringen würde, glaubt er nicht. Er ist ohnehin fast immer unterwegs: in Luxemburg, Nizza, Marseille und Stockholm in diesem Jahr allein für Wettkämpfe, dazu kam ein Trainingslager auf Teneriffa. Für Koch sind Wettkämpfe Teil des Trainingsplans. Einschwimmen, Vorläufe, Ausschwimmen, Pausen, Finals, er will das trainieren, immer wieder, auch im Hinblick auf Rio. Durch seinen Titel in Kasan ist er vornominiert, bei den deutschen Meisterschaften muss er nur noch als Erster oder Zweiter anschlagen. "Danach fahre ich zur EM", sagt er, "das wird ein weiterer Testwettkampf. Aber da lege ich nicht sonderlich Wert drauf, was für eine Zeit rauskommt."

Seit einem Allergie-Test ernährt er sich "vegan mit Fleisch"

Es gibt etliche Rädchen, an denen Marco Koch dreht, um seine nächste Bestzeit zu erreichen. Seit Ende 2013 schwört er auf Hypnose, er geht Rennen und Szenarien immer wieder durch und kann sich durch bestimmte Techniken besonders gut entspannen. "Jedes kleine Bisschen kann am Ende den Unterschied ausmachen", sagt er. Zweimal unterbot er in diesem Jahr schon seine Zeit vom WM-Sieg, er kommt dabei auf bemerkenswert konstante Leistungen. Zusammen mit seinem Heimtrainer Alexander Kreisel achtet er darauf, sich nicht kaputt zu trainieren, "viel Regeneration brauche ich dann nicht", sagt Koch. Deutlich leichter fällt ihm die Erholung seit 2013: In einem Test hatte sich gezeigt, dass er auf 78 Nahrungsmittel allergisch reagiert. Seitdem lebt er nach dem Konzept "Vegan mit Fleisch", mehr als fünf Kilogramm hat er seitdem abgenommen. Nach seinem WM-Titel gönnte er sich Chicken Nuggets und Burger. Und sagte dann: "Wenn man das ganze Jahr über hart zu sich ist, dann genießt man es auch, mal Dreck zu essen."

Es ist wohl das größtmögliche Selbstvertrauen, das man bei Marco Koch gerade beobachten kann. In Rio will er sich auf die 200 Meter Brust fokussieren, es soll sein einziger Wettbewerb werden. Eine Woche wird er nur bleiben, danach möchte Koch beim Kurzbahn-Weltcup in Berlin starten. Der ist eine lukrative Angelegenheit, von denen es im Schwimmen nicht viele gibt. Kochs Heimatverein startete sogar eine Spendenaktion für den Weltmeister. "Ein paar Leute aus der Region unterstützen mich", sagt Koch, "eine kleine Firma mit 50 Euro im Monat, einige Privatpersonen mit kleineren Beträgen." Wenn genug zusammenkommt, will sich Koch einen Flug in der Business Class nach Rio gönnen, "bei einem so langen Flug wäre das deutlich entspannter". Sollte es nur mit Economy klappen, muss man sich um Koch aber auch nicht sorgen. Wer aus Darmstadt kommt, kommt schließlich überall zurecht.

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