Schwimmen:Es ist EM - und fast keiner geht hin

Die meisten deutschen Athleten konzentrieren ihre Kräfte auf Olympia. Die Schwimm-EM steht da erst mal hinten an. Steht sie einem Erfolg bei den Spielen im Weg? Die große Ausnahme: Olympia-Favorit Marco Koch.

Franziska Hentke lachte und schlug mit der Hand aufs Wasser. Gold für die 26-Jährige, im letzten Final-Abschnitt der Schwimm-Europameisterschaften von London. Nach Silber für Marco Koch verhinderte Hentke am Sonntag über 200 Meter Schmetterling die erste EM seit 1958 ohne einen Sieg für deutsche Schwimmer. Bei ihrer ersten internationalen Medaille lag sie nur eine Hundertstelsekunde vor der Ungarin Liliána Szilágyi. Dritte wurde die Spanierin Judit Ignacio Sorribes. "Einfach nur geil. Ich hätte nicht gedacht, dass ich jetzt hier Gold gewinne", sagte Hentke. "Eine Hundertstel Vorsprung, endlich mal das Glück auf meiner Seite."

Bei der letzten EM, 2014 in Berlin, gab es noch acht Mal Gold für die Becken-Sparte des Deutschen Schwimm-Verbands. Diesmal: einmal Gold, einmal Silber. Ansonsten wurden sogar die Finals durchgehend verpasst. Aber: Koch und Hentke waren diesmal auch die einzigen arrivierten Starter, die der DSV überhaupt nach London entsandt hatte. Ansonsten war ein Team aus Nachwuchs-Athleten am Start. Historische Medaillen-Vergleiche verbieten sich deshalb. Die drängen sich dafür ab dem 5. August um so mehr wieder auf, bei den Sommerspielen in Rio des Janeiro, wegen denen das Gros der DSV-Schwimmer auf einen Start in London verzichtet hatte.

Es ist das Schicksal der Europameisterschaften, dass sie nur alle vier Jahre der Höhepunkt im Schwimm-Kalender sind. In den anderen geraden Jahren stehen sie im Schatten von Olympia. Und nicht wenige finden: Sie stehen einem Erfolg bei Olympia im Weg. So waren die Deutschen 2012 - im Gegensatz zur Konkurrenz - bei der EM in Ungarn weitestgehend mit ihrem Olympia-Team angetreten, sie sammelten Erfolge (17 Medaillen) - und schwächelten dann in London (null Medaillen).

Trainieren? Oder lieber Wettkämpfe bestreiten? Über die beste Methodik ist man sich im Schwimmsport seit Jahrzehnten uneins. Diesmal steht (wie auch schon 2008) für die Deutschen Olympia im Olympiajahr solitär über allem: Den meisten deutschen Spitzenkräften, etwa dem Weltrekordler Paul Biedermann, hat Chef-Bundestrainer Henning Lambertz statt der London-Reise weitere Übungseinheiten verordnet. Auch Koch und Hentke bereiteten sich für die EM nicht speziell vor, sondern bestritten ihre Rennen aus dem Training heraus. Auch, um die Abläufe mit Vorlauf und Halbfinale sowie dem Finale tags darauf zu erproben. So probierte es Hentke - anders als bei der WM voriges Jahr in Kasan, als sie Vierte wurde - mit einer Ruhephase statt vormittäglicher Belastung am Finaltag. Offenbar mit Erfolg.

Die teils minderjährigen Nachwuchskräfte aus dem nur 15-köpfigem Aufgebot agierten in London hingegen oft nervös und erreichten kaum einmal wie gewünscht ihre Bestzeiten, von Finals ganz zu schweigen. "Zwiegespalten" formulierte Henning Lambertz daher auch sein EM-Fazit. "Marco hat sich aus meiner Sicht sehr gut präsentiert", sagte Lambertz im Aquatics Centre - jenem Schwimmbad, in dem die Deutschen 2012 vor seiner Amtsübernahme ohne Medaillen geblieben waren. Koch hatte die EM gesundheitlich angeschlagen absolviert. Hentke prognostizierte Lambertz bereits vor ihrem Finale ein schweres Rennen, da sie aus dem Training heraus nicht die erforderlichen hohen Laktatwerte erzielen könne. So war Hentkes Leistung der deutschen Meisterschaften vor zwei Wochen mit der weltweit zweitbesten Zeit von 2:05,77 bei dieser EM illusorisch - aber ihre Kampfkraft auf dem Weg zum Titel war enorm. Das dürfte Auftrieb geben für Rio.

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