Schwimmen:Wie eine Kernsportart entkernt wird

Schwimmen: Weltmeisterschaft

Aliena Schmidtke in der Qualifikation über 100 Meter Schmetterling.

(Foto: dpa)

Mehr Medaillen! Zu diesem Zweck wird gerade der deutsche Sport reformiert. Wozu diese politisch angeordnete Fixierung führt, kann man gerade im Schwimmen beobachten.

Kommentar von Claudio Catuogno

Vor zwei Jahren machten sich noch 31 deutsche Beckenschwimmer auf den Weg zur Weltmeisterschaft nach Kasan. Bei der WM in Budapest, bei der am Sonntag die Beckenwettbewerbe beginnen, sind es: 14. Viele von ihnen sind dank einer Ausnahmeregel für Nachwuchsschwimmer dabei, oder weil sie für Staffeln gebraucht werden, oder weil sie Marco Koch heißen und 2015 Weltmeister waren. Regulär qualifiziert haben sich: drei! Um zu behaupten, das deutsche Schwimmen komme auf dem Weg zurück in die Weltspitze gut voran, muss man Zyniker sein. Oder Chefbundestrainer.

Henning Lambertz, der Frontmann im Deutschen Schwimm-Verband, verkauft es so. Er war es auch, der die Qualifikationsnormen für die WM so scharf definiert hat: Vor fünf Wochen in Berlin musste man jeweils so schnell sein wie die Achtplatzierten der Olympiafinals 2016 in Rio. Also: sehr schnell. 2013 hatte der damalige Cheftrainer derart harte Normen noch bewusst abgeschafft, weil sie leider oft dazu führten, dass Sportler fünf Wochen vor dem internationalen Wettkampf in Topform waren - und dann in ein Loch fielen. Der Cheftrainer damals hieß: Henning Lambertz. Klingt komisch? Absolut.

Endgültig fragwürdig wird es, wenn man sich daran erinnert, was in Rio am Beckenrand los war. Die russischen Schwimmer durften, anders als die Leichtathleten, fast alle mitmachen - trotz Staatsdoping-Programms. Ein Hauch von Revolte lag in der Luft. Der Franzose Camille Lacourt empörte sich über den chinesischen Weltrekordler Sun Yang: "Der pinkelt lila!" Und jetzt gelten also die Rio-Bestmarken, die sogar Lambertz bisweilen zweifelhaft vorkamen, als Richtzeiten für die DSV-Athleten. Willkommen in Sportdeutschland 2017.

Am Schwimmen kann man gerade die Kollateralschäden einer Umwälzung begutachten, die doch eigentlich alles besser machen soll. Oder halt: effizienter! Thomas de Maizière, der Innen- und Sportminister, will bei Siegerehrungen öfter die Deutschlandfahne sehen - wer es bloß ins Halbfinale schafft, soll daheimbleiben. Also ersinnen seine Mitarbeiter eine auf Medaillen gebürstete Reform, die Fachleute im Dachverband DOSB sind nur semi-überzeugt - aber weil es mehr Fördergeld gibt, wenn sie zustimmen, stimmen sie zu. Und jetzt kommt diese Form der - nennen wir es: Erpressung - an der Basis an. Bei den Trainern, die ein von Lambertz vorgegebenes Kraftkonzept umsetzen, selbst wenn sie es nicht überzeugend finden. Und bei den Schwimmern, die aus der Förderung fliegen, wenn sie sich nicht an den Stützpunkten zentralisieren lassen wollen.

Man kann nicht mehr auseinanderhalten, wer was warum macht. Krempelt der Cheftrainer den Betrieb um, weil er es fachlich für richtig hält? Oder doch, weil er ahnt, dass in den Instanzen jemand seinen Kopf fordern wird, wenn er nach den nächsten - wieder medaillenlosen? - Spielen nicht nachweisen kann, dass er doch den ganzen Betrieb umgekrempelt hat?

Viele damals Beteiligte erinnern sich noch an den Aktionismus kurz vor den Rio-Spielen, als die Besten in ein Schlaflabor verfrachtet wurden, die ganze Nacht mit einer Messsonde im Hintern - um die Zeitverschiebung zu antizipieren. Vielleicht, sagen viele, hätte man in Rio ja eine Medaille geholt ohne diesen Schnickschnack - und der bisherige Weg wäre weiter richtig anstatt plötzlich falsch?

Das Schwimmen ist eine der olympische Kernsportarten. Laufen, Springen, Schwimmen, die ursprünglichen Bewegungsformen des Menschen. Nein, es spricht gerade nicht viel dafür, dass das deutsche Schwimmen auf dem Weg zurück in die Medaillenränge ist. Eher ist es anders herum: Die politisch angeordnete Medaillenfixierung führt dazu, dass sich eine Kernsportart selbst entkernt.

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