Deutsche bei der Schwimm-WM:Auf Gute-Laune-Kurs

Schwimm-WM - Beckenschwimmen

Alexandra Wenk: Nachwuchshoffnung mit guter Stimmung

(Foto: dpa)
  • Die deutschen Schwimmer erleben bei der Schwimm-WM nach zwei Medaillen einen sanften Aufschwung.
  • Das hat viel mit der neuen Atmosphäre in der Mannschaft zu tun, die der neue Bundestrainer geschaffen hat.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der WM

Von Claudio Catuogno, Kasan

Bei den Schwimm-Weltmeisterschaften in Kasan haben sich zwei erstaunliche Dinge ereignet. Am Mittwoch hat die bisher nur der Fachwelt bekannte Schwimmerin Annika Bruhn, 22, von der SSG Saar Max Ritter in einem bemerkenswerten Schlussspurt einen dritten Rang gegen den russischen Kurzbahn-Weltmeister Wladimir Morosow verteidigt.

Und am Abend vorher hätte der Trainer Frank Embacher seinem Schwimmer Paul Biedermann fast eine Ohrfeige verpasst. Beides darf man nun unter der Rubrik "deutsche Erfolgsmeldungen" verbuchen. Wieso Fräulein Bruhn gegen Herrn Morosow schwamm? Nun, erstmals sind bei der WM gemischte Staffeln im Programm, Wortungetüme wie die 4x-100-Meter-Lagen-Mixed-Staffel: Rücken, Brust, Schmetterling, Freistil, zwei Frauen, zwei Männer, wer welche Lage schwimmt ist egal.

Manchmal führt das Durcheinander dazu, dass sich einer verschluckt wie der deutsche Rückenschwimmer Jan-Philip Glania im Vorlauf, wo ihm nach der Wende eine brasilianische Frau samt Bugwelle entgegen kam. Trotzdem waren Glania, Hendrik Feldwehr, Alexandra Wenk und Bruhn schon am Morgen so flott unterwegs wie kein Quartett vor der WM. Allerdings erst im vierten Lauf. Im ersten wären sie mit ihrer Zeit noch einen Weltrekord geschwommen.

"Schade", sagte der Chef-Bundestrainer Henning Lambertz, "einen Weltrekord für fünf Minuten - den Kracher hätte ich gern genommen." Lambertz hat sich aber nicht lange grämen müssen. Denn am Abend gewannen die vier Deutschen tatsächlich Bronze hinter Großbritannien und den USA. Die Russen, die das Feld mit einem Mann als Schlussschwimmer von hinten aufrollen wollten, kamen nicht mehr heran. Und selbst wenn das Männlein-Weiblein-Durcheinander nicht gerade den größten Stellenwert hat: Medaille ist Medaille.

Der DSV kann mit Medaillen nicht allzu wählerisch sein

Sie können da beim Deutschen Schwimm-Verband nicht allzu wählerisch sein. Die Geschichte mit der Fast-Ohrfeige wiederum erzählt ebenfalls eine Menge über die Ambitionen im Team. Nachdem Paul Biedermann am Dienstag über 200 Meter Freistil Bronze gewonnen hatte, starrte er eine Weile regungslos auf die Anzeigetafel. War er unzufrieden? Biedermann hat das dementiert ("Mir fehlte nur ein wenig Sauerstoff, den ich vom Gehirn auf die Augen weiterleiten konnte"), er habe sich vielmehr "mit Bronze belohnt", sagte er.

Tatsächlich hat ihn der knappe Rückstand auf den neuen Weltmeister, den Briten James Guy, 19, aber gewurmt: nur 24 Hundertstel. "Nach dem Rennen kam er an und hat gesagt: ,Menschenskinder, da war ja sogar Gold drin", erzählte sein Trainer Embacher tags darauf, "da hätte ich ihm beinahe eine geklatscht." Wobei Biedermann, der am Freitag 29 wird, gar nicht so Unrecht hat: Mit einem spritzigeren Start und einer präziseren Wende nach 150 Metern - wer weiß, wohin ihn sein alter Schwimmerkörper getragen hätte in diesem exquisit besetzten Finale?

Franziska Hentke ist eine der Schnellsten in diesem Jahr

So exponiert hatte der Profischwimmer aus Halle (Saale) seine Schwächen vorgeführt, dass danach sogar gewitzelt wurde über Biedermanns "biblisches Alter" (Embacher). Seine Oma habe ihn gefragt, ob er schwerhörig sei, weil er immer so schlecht starte, berichtete die TV-Expertin Franziska van Almsick, und Embacher begründete die vermasselte Wende mit einer Sehschwäche: "Er sieht hier im Becken die Wand nicht so."

Man könnte es deshalb auch so sagen: Für einen Schwerhörigen, der schlecht sieht, hat Paul Biedermann in Kasan das Optimum rausgeholt. Eine erstaunliche Staffel, ein Bronze-Gewinner, der mit Gold liebäugelt - das sind nur zwei Indizien dafür, dass das deutsche Schwimmen von einem sanften Aufwärtssog erfasst wurde, nachdem lange ein Negativ-Rekord den nächsten gejagt hatte. Und zwei weitere Medaillen-Kandidaten des DSV haben ihre Aufgaben ja erst noch vor sich: Franziska Hentke, 26, zog am Mittwoch mit der zweitschnellsten Zeit ins Finale über 200 Meter Schmetterling ein; mit ihren 2:05,26 Minuten aus dem Juli ist sie weiter die weltweit Schnellste in diesem Jahr.

Marco Koch, 25, hat an diesem Donnerstag seinen ersten Start über 200 Meter Brust. Koch, der bei der WM 2013 in Barcelona die einzige DSV-Medaille gewann, hat sich zwar kürzlich den Magen verdorben, "aber es geht schon", sagt er. Jammern ist nicht sein Ding. Vor allem zeigt sich der Aufwärtstrend sowieso abseits der Ränge eins bis drei. Er ist verbunden mit Namen wie Wenk, Feldwehr, Christian vom Lehn, Clemens Rapp, Alexander Kunert und anderen, die alle in Kasan ihre Bestzeiten unterboten. Kein Vergleich ist das zur WM vor zwei Jahren. Besonders griffig hatte den Jammer damals Marco di Carli nach einem 36. Platz formuliert: "Wer gibt mir 'ne Knarre und erschießt mich?" Andere verarbeiteten ihren Frust weniger extrovertiert: Sie weinten.

Wer nun nach Gründen sucht für den Aufschwung, kommt an der Person des Chef-Bundestrainers nicht vorbei. Natürlich hat Lambertz einiges an der Trainingssteuerung verändert - aber es geht bei so einer WM auch um Atmosphärisches. In Barcelona, kurz nach seinem Amtsantritt, hat er noch feststellen müssen, "dass ganz viele verängstigt zu so einer WM reisen, die haben sich nur gefragt: Was kann ich hier verlieren?" Menschenführung war nicht gerade eine Stärke seines umstrittenen Vorgängers Dirk Lange gewesen. Die negativen Gedankengänge, sagt Lambertz, "mussten wir komplett umdrehen". Er will jetzt "jeden da abholen, wo er es braucht".

Oberhalb des Ausschwimmbeckens hat der DSV seinen Schwimmern diesmal einen schicken Pavillon als Treffpunkt eingerichtet, genau zwischen Briten und Amerikanern. Auch so ein Signal, sagt Henning Lambertz: "Stell' dich nicht neben Ägypten und Venezuela, mach dich nicht kleiner als du bist."

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