Schwer verletzter H96-Fan:Knalleffekt gegen die Pyro-Anhänger

Ein Fan zündet einen Böller, ein anderer Anhänger verletzt sich dabei schwer: Hannover 96 verstärkt nach einem Zwischenfall im Wolfsburger Stadion den Kampf gegen Pyrotechnik. Der Unfall spricht nicht unbedingt für eine Freigabe.

Von Jörg Marwedel

Der heftige Knall kurz nach der Halbzeit des Bundesligaspiels VfL Wolfsburg gegen Hannover 96 am vergangenen Samstag hatte die 30 000 Zuschauer aufschrecken lassen. Ein 27 Jahre alter Hannover-Fan hatte im Gästeblock einen Böller gezündet, das Krachen war so gewaltig, dass einem anderen 96-Anhänger das Trommelfell des rechten Ohres platzte. Zweimal verlor der 39-Jährige in der Arena das Bewusstsein und musste, so berichtete die Hannoversche Allgemeine Zeitung, wiederbelebt werden.

Die Lebensgefährtin des Opfers, eines Fliesenlegers, der seit 30 Jahren Spiele seines Vereins besucht, teilte später die traurige Einschätzung der Ärzte mit: Das Ohr, vor dem der Böller explodierte, werde wohl taub bleiben. Beim anderen Ohr bestehe die Hoffnung, dass 20 bis 30 Prozent der Hörkraft wiedererlangt werden können.

Der Streit zwischen den Ultra-Fans, die für eine Legalisierung der Pyro-Technik in den Stadien plädieren, sowie den Klubs und der Polizei wird damit von einem neuen Fall überlagert, der nicht unbedingt für eine Freigabe spricht - auch wenn Böller nicht vergleichbar sind mit bunten Bengalos.

96-Präsident Martin Kind sagte: "Dieses Ereignis müsste dem Letzten klarmachen, dass die Zündelei sehr gefährlich ist." Er hoffe, dass es nun eine seriösere Basis für Gespräche gebe, denn vielleicht hätten die Pyro-Befürworter bisher gedacht, dass die Pyro-Gegner nur mit "Alibiaussagen" gegen das Feuerwerk argumentierten.

Es gibt in der ersten, zweiten und dritten Liga mehrere Feuerwerk-Hochburgen. Im Internet gibt es sogar eine von Fans "Pyrometer" genannte Auflistung der DFB-Strafen wegen solcher Vergehen. Zwischen 500 und 100 000 Euro betrugen bislang die Bußen an Vereine, deren Fans sich nicht ans Verbot gehalten hatten. Eine der Hochburgen ist Hannover.

Nach dem DFB-Pokalspiel gegen Dresden im Dezember 2012 musste der Klub 70 000 Euro in die DFB-Kasse zahlen. Beim Bundesliga-Derby gegen Braunschweig Anfang November 2013 gab es bei Ausschreitungen in der Stadt 22 Verletzte. Während des Spiels leuchtete zudem die Nordkurve in der Arena fast durchgehend im Feuerschein; dort sind die heißblütigsten 96-Fans zu Hause. Auch hier rechnet der Klub mit einer erheblichen DFB-Strafe. Kürzlich durchsuchte die Polizei in Hannover und Umgebung Wohnungen von verdächtigen Fans und stellte Bengalos, Böller, Kleidung und Computer sicher.

Im Video bestens zu erkennen

Präsident Kind ist inzwischen der größte Gegner der Feuerwerker. Er ließ im Stadion eine 300 000 Euro teure Video-Anlage installieren, deren Bilder so präzise sind, dass man zum Teil sogar Vermummte identifizieren kann. Auch in Wolfsburg wurde so eine Kamera eingesetzt. Damit wurde der Böller-Zünder aus Langenhagen ausfindig gemacht - und sofort festgenommen.

Auch seine beiden Freunde, mit denen er angeblich die Sprengkörper ins Stadion schmuggelte, sollen auf diese Weise noch ermittelt werden. "Die Szene muss wissen, dass uns immer mehr Informationen zur Verfügung stehen", sagt Kind. Er ist der Erste, der vor Gericht erreicht hat, dass Schuldige dem Klub zumindest einen Teil der Strafe ersetzen müssen.

Vergangene Woche hat sich Kind mit zwei Tätern nach einem Zivilprozess am Landgericht Hannover auf einen Vergleich geeinigt. Die beiden erstatten 8500 Euro zurück, nachdem der Klub 2011 nach dem Europa-League-Spiel in Kopenhagen von der Uefa 15 000 Euro Buße aufgebrummt bekam - wegen Feuerwerkskörpern und einem aufs Feld gelaufenen Fan. Auf einem Video, das im Gerichtssaal gezeigt wurde, war die Bengalo-Attacke bestens zu erkennen.

Der stark alkoholisierte Mann zündete den Feuerwerkskörper und schleuderte die grell leuchtende Fackel nach ein paar Sekunden weg. Das Wurfgeschoss, mehr als 2000 Grad heiß, landete nur wenige Zentimeter vor den Füßen von Zuschauern im Unterrang. 22 Bengalo-Feuer und vier Fackelwürfe registrierte die Uefa an jenem Abend im 96-Block. Die 6000 Euro, die der Täter nun zahlen muss, kann er in Monatsraten zu je 100 Euro abstottern.

Die Bundespolizeigewerkschaft lobte das konsequente Vorgehen von 96: "Wer für den von ihm angerichteten Schaden finanziell aufkommen muss, fängt hoffentlich an, nachzudenken, bevor Unschuldige bedroht oder verletzt werden", sagte der stellvertretende Vorsitzende Horst Pawlik. Die Polizei-Gewerkschaft hofft, dass der Weg von 96 "eine abschreckende Wirkung auf alle Fußball-Störer hat". Man forderte "den DFB, die DFL und alle Vereine auf, diesem positiven Beispiel von Hannover zu folgen und effektiver gegen Gewalttäter vorzugehen".

Auch der Täter von Wolfsburg muss mit Gerichtsverfahren rechnen. Gegen ihn wird wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Dazu kommt, wie die Lebensgefährtin des Opfers andeutete, eine Zivil-Klage um Schmerzensgeld und Verdienstausfall.

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