Schweiz:"Wir alle geben dem Land sehr viel"

Switzerland vs Belgium

Sieht die Nati auf einem guten Weg: der Schweizer Nationalspieler Johan Djourou.

(Foto: Cyril Zingaro/dpa)

Abwehrchef Johan Djourou über die Besonderheiten einer multikulturellen Schweizer Nati.

Interview Von Peter M. Birrer, Hamburg

Die "Nati", die Nationalmannschaft der Schweiz, ist ein Schmelztiegel der Kulturen. Der Trainer Vladimir Petkovic ist Bosnier, sechs Profis haben ihre Wurzeln im Land des Gruppengegners Albanien, im gesamten EM-Kader sind zwölf Nationen vertreten. Für die einen ist die Mannschaft ein Musterbeispiel für Integration, andere werfen den Spielern mangelnde Identifikation vor.

Abwehrchef Johan Djourou, 29, vom Hamburger SV, stammt gebürtig von der Elfenbeinküste. Er ist einer der Spieler, die für die Besonderheit der Mannschaft stehen, die in Frankreich zu den Überraschungs-Kandidaten gehört. Djourou verließ seine Geburtsstadt Abidjan im ­Alter von 17 Monaten mit seinem Vater, der eine Krankenschwester aus Genf kennen gelernt hatte. Djourou wuchs in der Westschweiz auf, und er hatte einen Traum: Er wollte Profifußballer werden. Djourou ging beharrlich seinen Weg, wurde Verteidiger beim FC Arsenal, wurde Nationalspieler, wurde Kapitän beim Hamburger SV. Und er wurde: Botschafter der Schweiz.

Herr Djourou, was ist für Sie typisch Schweiz?

Schokolade. Zusammen mit der belgischen ist die Schweizer Schokolade die beste der Welt. Typisch ist die Pünktlichkeit, das wurde mir früh bei­gebracht. Und die Berge prägen das Bild des Landes, die Gipfel mit dem Schnee, die Fernsicht - großartig! In punkto Lebensqualität und Umgebung ist es hier paradiesisch. Wer seine Ruhe will, ist hier richtig. Wer mehr Trubel sucht, ist in London schon eher am richtigen Ort.

Welchen Ruf hat das Land zum Beispiel in Hamburg, wo Sie leben?

Einen sehr guten. Man sagt, es sei sauber, die Mentalität sei vergleichbar mit jener in Deutschland, wobei sich die Leute vor allem auf die Deutschschweiz beziehen. Sie kennen Zürich oder Bern, Genf hingegen höchstens am Rand. Nur mit der Sprache haben sie Mühe, die können sie nicht lernen.

Gibt es den typischen Schweizer?

Das glaube ich schon. Er ist jemand, der die Schweiz verteidigt und unter seiner Kontrolle haben will, der sich eher ­abgrenzt, weil er befürchtet, sein Land zu verlieren, dass Arbeitsstellen ver­loren gehen oder von Ausländern ­besetzt werden. Aber die Anzahl dieser Leute nimmt immer mehr ab. Es gibt in der Schweiz inzwischen so viele verschiedene Kulturen, so viele Mentalitäten, die ­automatisch zu einer Veränderung und einer Durchmischung geführt haben. Der ­moderne Schweizer hat Freunde mit fremden Wurzeln, er ist weltoffen geworden und bereit, Neues anzunehmen.

Gibt es auch Grenzen?

Natürlich. Aber Grenzen und Regeln gelten für alle, unabhängig davon, welchen Pass man besitzt. Und Regeln einhalten, das ist auch eine Frage des Respekts.

Macht Ihnen die Welt von heute manchmal Angst?

Ich sorge mich vor allem darum, dass meine drei Töchter eine gute Zukunft haben und ein sicheres Leben führen können. Wenn ich sehe, wie die Welt manchmal verrücktspielt, wie sie von Terror erfasst wird, macht mir das schon Angst. Aber wie können wir diese Probleme anpacken, wie können wir sie ­lösen? Ich weiß es nicht.

Erlebten Sie als Kind rassistische Anfeindungen?

Nein, zum Glück nicht, und ich fühlte mich auch nie als Fremder. Das hat einerseits wohl damit zu tun, dass ich in Genf groß geworden bin, einer inter­nationalen Stadt. Und anderseits glaube ich, dass es auch mit dem Charakter zu tun hat. Ich war immer nett zu den ­Leuten, sie merkten, wie respektvoll ich mit ­ihnen umging. Wäre das nicht der Fall gewesen und hätte ich mir Dummheiten erlaubt, hätten vielleicht einige gesagt: Sieh nur, der Schwarze, typisch!

Worüber regen Sie sich in der Schweiz auf?

Über Dinge wie die Kampagne der SVP (Die rechtspopulistische Schweizerische Volkspartei, die größte Fraktion im Schweizer Parlament, Anm.), die auf Plakaten Ausländer als schwarze Schafe darstellt. Das ist unnötig und geht mir auch nahe. Wir alle geben diesem Land doch sehr viel. Im Ausland repräsentiere ich die Schweiz zu hundert ­Prozent, ich bemühe mich, ein guter Botschafter zu sein.

Sie sind jemand, der meistens mit guter Laune durchs Leben geht.

Es gibt doch Grund dazu. Ich habe Glück, mein Leben so führen zu dürfen, und dann zeige ich das auch. Ich bin glücklich, also zeige ich das. Warum also den Kopf hängen lassen? Nein, das ­Leben ist zu schön dafür.

Sie haben ivorische Wurzeln, ­entschieden sich aber früh, für die Schweiz zu spielen. Haben Sie nie gezögert?

Nein. Ich kam mit 17 Monaten nach Genf und bekam eine Schweizer Adoptiv­mutter. Ich besuchte hier die Schulen, auch die fußballerische. Ich bekam so viel, dass es klar war, mich nicht für die Elfenbeinküste entscheiden zu können. Auch hier geht es wieder um den Respekt. Meine biologische Mutter lebt zwar noch da, aber viel mehr Bezug habe ich nicht zu ­meinem Geburtsland.

Es gibt viele Doppelbürger, die auch betonen, wie dankbar sie für die Ausbildung hier sind. Aber dann spielen sie doch nicht für die Schweiz.

Ich sehe zwischen mir und vielen anderen Beispielen einen Unterschied. Ich habe auch einen Schweizer Elternteil, der mich großzog. Die andern aber ­haben Mütter und Väter, die beide aus dem jeweiligen Land stammen. Also spricht in Entscheidungen, für welches Land man spielen soll, auch das Herz mit. Und die Eltern haben entsprechenden Einfluss. Die Beziehung zu ihrem Herkunftsland ist sehr stark.

In Albanien genießen die Fußballer der Gegenwart Heldenstatus, weil sie die EM erreicht haben. Warum ist das in der Schweiz nicht so?

Weil die Voraussetzungen ganz anders sind. Wir haben in der Schweiz alles, was das Leben angenehm macht. Der Zuschauer geht zum Fußball, schaut, ist zufrieden, wenn er Gutes sieht. Wenn er sich langweilt, geht er halt zum Tennis oder zum Golf. In Albanien aber oder in der Elfenbeinküste haben die Leute nicht im Ansatz diesen Komfort, den wir haben. Aber sie haben den Fußball, sie klammern sich mit Leidenschaft an Ikonen wie Lorik Cana oder Didier Drogba. ­Gewinnen sie, gewinnen auch die Leute. Das gibt ihnen Selbstbewusstsein.

Wie ließe sich mehr Leidenschaft entfachen?

Das ist schwierig. Wir haben einen ­hohen Lebensstandard, dafür braucht man den Fußball nicht unbedingt. ­Natürlich freuen sich die Zuschauer über Siege von uns, aber der Stellenwert ist nicht derselbe. Als die Elfenbeinküste den Afrika-Cup gewann, herrschte im ganzen Land der Ausnahmezustand. ­Wochenlang. Monatelang. Nehmen wir unser Spiel gegen Bosnien im März. In Albanien oder der Elfenbeinküste wäre es undenkbar, dass das Stadion nicht voll ist. Und dass die eigenen Zuschauer in der Minderheit sind. Das ist eine ­andere Mentalität, eine andere Kultur.

Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn der Mannschaft vorgeworfen wird, sie identifiziere sich zu wenig mit dem Land?

Was ist Identifikation? Wie misst man das? Behrami, Shaqiri, Xhaka und alle anderen respektieren die Schweiz, sie respektieren den Fußball, sie setzen sich dafür ein, dass wir Erfolg haben, ­ihnen kann niemand vorwerfen, sich zu wenig mit der Schweiz zu identifizieren. Das ist doch entscheidend. Wenn die Leute nun nach lauter Müllers und Meiers rufen - wäre die Mannschaft dann auch so stark? Unsere Mannschaft ist der Spiegel einer Gesellschaft, die sich entwickelt und geöffnet hat.

Was sagen Teamkollegen in ­Hamburg über die Schweizer ­Nationalmannschaft?

Dass es keine Schweizer Nationalmannschaft ist (lacht).

Sondern?

Es sei mit diesen vielen unschweizerischen Namen eher eine Weltauswahl.

Seit 2006 sind Sie Nationalspieler. Was hat sich in diesen zehn Jahren verändert?

Damals gab es eine andere Struktur, eine andere Hierarchie. Wer als Junger zum Team stiess, musste sich als Erstes einordnen. Heute ist das anders, heute sitzen alle im gleichen Boot, und mit­reden darf jeder, unabhängig von ­seinem Alter. Ich finde, wir sind qualitativ besser geworden und auch stärker zusammengewachsen.

Sind die Jungen mutiger?

Ich glaube schon, ja. Aber das ist auch normal. Viele Junge spielen bereits in einem großen Club im Ausland, das war 2006 noch nicht so ausgeprägt der Fall. Sie zeigen ihr Selbstbewusstsein auf und neben dem Platz, und das ist doch gut. Wir haben ein enormes Potenzial. Jetzt geht es darum, das auch abzurufen. Wir wissen, dass die Testspiele gegen Irland und Bosnien nicht gut waren. Aber vielleicht ist das auch ein Vorteil: Wir wissen, dass es so nicht geht bei der EM . . .

. . . und dass die Mannschaft als Mannschaft funktionieren muss.

Das ist der entscheidende Punkt. Wir ­haben keinen Messi, wir haben keinen Ronaldo und auch keinen Iniesta oder Drogba. Der eine muss für den andern arbeiten, das ist unser Los, aber auch unsere Qualität. Wir können das. Uns bietet sich eine große Chance in Frankreich. Aber wir können sie nur packen, wenn wir ein Team sind.

Spielt es keine Rolle, wer Kapitän ist?

Nein. Jetzt ist es Lichtsteiner (Stephan Lichtsteiner, Abwehrspieler von Juventus Turin, Anm.), das ist gut so und auch verdient, wenn man seine Erfahrung und seinen Leistungsausweis anschaut. Aber wir müssen alle Leader sein, einer mit Binde, alle andern ohne. Und wenn wir das hinbekommen, sehe ich keine Grenzen. Ich erinnere mich oft an unser Spiel bei der WM gegen Argentinien. Unser Gegner gewann gegen uns mit sehr wenigen Chancen und viel Glück, zog danach bis ins ­Finale und hätte dort gegen Deutschland siegen müssen. Wir haben da gezeigt, was in uns steckt.

Worin besteht für Sie der Reiz Ihrer Rolle im Abwehrzentrum?

Wenn ich mit einem Tackling in einer Extremsituation ein Tor verhindern kann, gibt mir das ein großartiges ­Gefühl, dann hat für mich dieser eine Moment den gleichen Wert wie ein selber erzieltes Tor.

Kennen Sie als Spieler nie Zweifel?

Wenn ich hundertprozentig gesund bin und so mein bestes Niveau erreichen kann, kenne ich keine Zweifel. Anders war das nun in diesem Frühling, als ich gegen ein Virus zu kämpfen hatte und ich mich fragte: Was ist nur los? Die ­Unsicherheit war ein ziemlich unangenehmes Gefühl. Der Körper signalisierte mir etwas, aber ich verstand es nicht ­sofort. Ich glaubte, ich würde das dann schon in den Griff kriegen.

Verstehen Sie die Signale jetzt?

Es war auch eine Warnung. Ich will nicht gleich von Burn-out sprechen, aber es ging vermutlich in diese Richtung. Die Belastung, der mentale Stress, das ist schon nicht zu unterschätzen.

Die lange Saison wird mit der EM noch länger. Ist die Lust darauf ungebrochen?

O ja!

Welche Bilanz werden Sie in den Sommerferien ziehen?

Ich hoffe, dass ich sagen kann: Wir ­haben Außergewöhnliches zustande ­gebracht.

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