Schweiz:Guter Witz

Die Eidgenossen stehen nach dem 0:0 gegen Frankreich erstmals in der K.-o.-Runde - aber die Welt spottet über sieben in Fetzen gerissene Trikots. Hersteller Puma ermittelt.

Von Claudio Catuogno, Lille

Xherdan Shaqiri sieht ein bisschen zerstört aus, als er im Stade Pierre Mauroy nach dem Duschen durch die Katakomben läuft. Ein blutiger Riss unter dem rechten Auge. Wie hat er sich den zugezogen? "Kriegsverletzung", sagt Shaqiri; der ehemalige FC-Bayern-Profi wirft einem auf Fragen aller Art gerne ein paar zusammenhanglose Wortfetzen hin, schaut genussvoll in die ratlosen Gesichter - und wirft einen weiteren Wortfetzen hinterher: "Nö, Zweikampf." Dann zuckt er mit den Schultern, kann passieren, soll das wohl heißen, es reißt schon mal was beim Fußball, ein bisschen Schwund ist immer, und während Shaqiri so mit der Schulter zuckt, fällt mal wieder auf, dass der Liebe Gott bei der Produktion dieses kompakten Schweizers vergessen hat, einen Hals zwischen seinen Kopf und seinen Oberkörper zu montieren. Ein bisschen Schwund ist immer.

Der Cut unter Xherdan Shaqiris Auge - das hätte jetzt die Materialermüdung des Abends sein können nach diesem 0:0 der Schweizer "Nati" gegen Frankreich. Der sichtbare Beweis dafür, dass es eine Partie der robusteren Sorte war, an deren Ende die Alpenrepublik erstmals in die K.-o.-Runde einer Fußball-Europameisterschaft eingezogen ist, als Zweiter der Gruppe A.

Löcher im Käse, Löcher in den Trikots: Spott-Vorlagen gibt es viele

Aber für Shaqiris Gesichtsblessur interessierte sich dann bald niemand mehr. Was ist schon eine gerissene Epidermis an einem Abend, an dem auch so vieles andere zerrissen bzw. gerissen wurde. Nämlich, in dieser Reihenfolge: sieben Schweizer Trikots (zerrissen) - und ungefähr eine Million Trikot-Witze (gerissen).

Nein, keine andere Zahl hatte nach diesem Spiel eine Chance gegen die skurrile Fetzenshow, für die in den sozialen Fetzwerken, äh: Netzwerken, bald der Hashtag #trikotgate erfunden war. Nicht die 59 Prozent Ballbesitz, mit denen die Schweizer den Franzosen ihr reifes Kombinationsspiel aufgezwungen hatten, dem nur die letzte Zuspitzung fehlte vor dem Tor. Nicht die 94 Pässe von Granit Xhaka, von denen 91,4 Prozent ankamen - kein Franzose schaffte die Hälfte dieser Zahl. Stattdessen: sieben Trikots in 90 Minuten!

Shaqiri hat auch dazu ein paar Worte ausgespuckt (sechs): "Ich hoffe, Puma macht keine Pariser." Kondome, Fetzen, großartig, all die anderen Versuche, die Lumpenparade von Lille zu ironisieren, wirkten da gleich sehr bemüht. Etwa Xhakas Einwurf, wonach man "uns Schweizer halt nur so stoppen" könne. Oder die Vermutung des ZDF-Experten Oliver Kahn, vielleicht hätten die Schweizer "Fake-Trikots erwischt", Plagiate sind ja gerade wieder sehr en vogue. Oder all die anderen Twitter-Gags, wonach die Uefa jetzt ein Verfahren gegen Bangladesch eröffnen werde, sowie Sprüche über die Vorliebe des Schweizers zum Loch als solchem, das er ja schon aus seinem Käse kennt.

Zuerst riss Bacary Sagna das Hemd von Admir Mehmedi entzwei. Danach hielt Xhakas Dress einem kräftigen Zupfer von Paul Pogba nicht stand. Dann mussten Fabian Schär, Valon Behrami, Blerim Dzemaili und Breel Embolo sich umziehen. Und kurz vor dem Abpfiff riss auch noch Xhakas Ersatztrikot. Und dieses Problem war für die Schweizer nicht neu: Bereits nach dem EM-Test kürzlich gegen Moldau (2:1) war das Dress von Embolo nur noch zum Feucht-Aufwischen zu gebrauchen, das von Mehmedi hatte ein Loch. Ein Fakt, den die Firma Puma unterschlagen hat, als sie schon am Morgen ein Kommuniqué herausgab: "Unsere fünf Puma-Teams haben zuvor zehn Spiele bei der EM gespielt, ohne dass dieses Problem auftrat. Unsere Produktexperten untersuchen derzeit das Trikotmaterial. Sobald wir die Ursache wissen, werden wir darüber informieren."

Über Probleme berichten die Sportartikelhersteller nicht so gerne. Lieber informieren sie über Erfindungen, denen sie Namen geben wie "ACTV Thermo-R". Möglich, dass es da jetzt einen Zusammenhang gibt. Im November jedenfalls hatte sich der Ausrüster damit gebrüstet, den Teams von Italien, Österreich, Tschechien, der Slowakei und eben der Schweiz eine ganz neue Bekleidung kreiert zu haben, "die neue Technologie Puma ACTV Thermo-R" nämlich, die den Spielern helfen solle, "eine optimale Körpertemperatur beizubehalten". Mikrokapseln würden die "überschüssige Wärme absorbieren und, falls nötig, an den Körper zurückführen". Das Trikot ermögliche durch "Mikro-Massage der Haut" eine "schnellere, effektivere Energiezufuhr zu den beanspruchten Muskeln". Auch von diesem Marketingdeutsch sind jetzt eher nur noch Fetzen übrig.

Am Montagnachmittag hatten die Produktexperten dann allerdings tatsächlich fertig untersucht, Ergebnis: "Es hat eine fehlerhafte Materialcharge gegeben, in der Garne während der Produktion beschädigt wurden", heißt es in einer Mitteilung. Dies sei auf eine falsche Kontrolle der Hitze, des Drucks und der Produktionszeit im Herstellungsprozess zurückzuführen. Und: "Das defekte Material wurde ausschließlich in einer kleinen Stückzahl der Schweizer Heimtrikots verwendet." Viel spricht also dafür, dass es im Achtelfinale weniger zu lachen gibt.

Beim Konkurrenten Adidas, der in Herzogenaurach auf der anderen Seite der Straße residiert, hat man sich mit Spott zurückgehalten. Was daran liegen könnte, dass auch ein von Adidas gefertigter EM-Spielball namens "Beau Jeu" den Abend von Lille nicht überlebt hat. Nach einem Zweikampf riss er an der Naht auf. Schöne Bescherung statt schönes Spiel.

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