Schweinsteiger und Khedira bei der Fußball-WM:Mit praller Energie aus dem Wartestand

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Mit oberbayerischer Urwucht: Bastian Schweinsteiger gegen Ghana. (Foto: AFP)

Als Sami Khedira nicht mehr kann, betritt Bastian Schweinsteiger mit Urwucht den Platz und hilft entscheidend, die Partie gegen Ghana zu drehen. Auch künftig könnte Bundestrainer Löw auf diese Arbeitsteilung setzen. Halber Khedira plus halber Schweinsteiger = ein Weltmeister. Geht das so einfach?

Von Thomas Hummel, Fortaleza

Die Formel klingt logisch: Zwei halbe Fußballer ergeben einen Ganzen. Im Fall der deutschen Nationalmannschaft: ein halber Khedira plus ein halber Schweinsteiger = ein Weltmeister.

Wenn das nur so einfach wäre.

Bastian Schweinsteiger zog seinen Rollkoffer zum Mannschaftsbus. Nach so einem WM-Spiel warten die Mikrofone und Kameras dieser Fußballwelt, um Helden und Versager ins Bild zu setzen. Der 29-Jährige gehörte im Keller des Estadio Castelão in Fortaleza eindeutig in die Kategorie Held. Er hätte sich also hinstellen können, hätte sagen können, wie es ihm ergeht als Ersatzspieler hier in Brasilien. Den anderen beim Spielen zuschauen, das ist ein Schweinsteiger schließlich nicht gewohnt. Er hätte erzählen können, wie er es schaffte, seine Mannschaft aufzuwecken. Ihr seine oberbayerische Urkraft zu schenken. Und damit eine Niederlage gegen Ghana abzuwenden.

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Müller blutet, Özil wankt, doch der Bundestrainer lobt: Die Fußball-WM ist für das deutsche Team erst zwei Spiele alt. Trotzdem verlassen die Nationalspieler nach dem 2:2 gegen Ghana gezeichnet den Platz. Die Erlebnisse in der Hitze von Fortaleza könnten im Turnier noch wichtig werden.

Von Thomas Hummel

Doch Schweinsteiger sah die Fragenden an, winkte mit der freien Hand, drehte den Kopf hin und her und teilte mit: Nein, ich sage nichts. Das ist gute Tradition bei Bastian Schweinsteiger, ob nun beim FC Bayern oder bei der Nationalmannschaft. Seit Jahren spricht er nur noch live am Fernseher, und das auch nicht immer. Es ist also nichts hinein zu interpretieren in sein Winken und Kopfdrehen, seine Gemütslage bleibt ungewiss.

Die Gemütslage des Mittelfeldspielers zuvor auf dem Feld war indes unschwer zu entziffern gewesen. Schweinsteiger war nach 69 Minuten mit praller Energie hineingelaufen mit dem energischen Willen, dieses 1:2 noch zu drehen. Er ließ sich im Zentrum sofort jeden Ball geben, reckte den muskelbepackten Afrikanern seinen muskelbepackten Oberaudorfer Körper entgegen und gab keinen Ball verloren. Plötzlich drehte sich die ganze Stimmung im Stadion wieder zugunsten der Deutschen. Miroslav Klose erzielte das schnelle 2:2 und am Ende fehlte nicht viel, und die DFB-Elf hätte sogar noch gewonnen.

Sami Khedira saß da schon draußen, er verließ den Platz für Schweinsteiger. Was eine notwendige Maßnahme des Bundestrainers war, weil Khediras Energiezustand bedenklich Richtung Notstromaggregat lief. "Wenn man das Spiel über 90 Minuten sieht, war es ein Kampf", sagte er später. Ein Kampf, der bei ihm schon während der ersten Hälfte erhebliche Spuren hinterlassen hatte. Ging er zu Beginn noch eifrig in die Duelle, ließen Kraft und Konzentration in der Hitze von Fortaleza ständig nach. Als das Spiel nach der Pause Fahrt aufnahm, konnte Khedira nicht mehr mitfahren.

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Deutschland und Ghana duellieren sich wie zwei Schwergewichtsboxer, beide fallen erst, als der Schiedsrichter abpfeift. So hält die DFB-Elf das Publikum bei Laune, gewinnt aber kein Turnier. Andererseits entkräftet Löws Mannschaft einen oft erhobenen Vorwurf.

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Ein Umstand, der kaum verwunderlich ist. War Sami Khedira doch zwischen November und Anfang Mai damit beschäftigt gewesen, seinen Kreuzbandriss aus dem Test-Länderspiel in Italien auszukurieren. Er schuftete täglich im Fitnessraum und tat auch sonst alles, um fit zu bleiben. Aber ein intensives Fußballspiel gegen körperlich bärenstarke Ghanaer nahe am Äquator ist eine spezielle Belastung. Noch dazu fünf Tage nach dem vorangegangenen Spiel.

Gegen Portugal war Khedira noch wie alle Deutschen schnell, fit, engagiert gewesen. Allerdings war das Spiel nach 45 Minuten entschieden, danach folgte der Schongang. Gegen Ghana nun ging es an die Grenzen der Belastung, Khedira wirkte kurz nach der Pause platt.

Formschwankungen sind nach langen Verletzungspausen üblich. Insofern war es stets fraglich, ob Khedira in Brasilien mehrere Partien hintereinander mit vier bis fünf Tagen Abstand auf höchstem Niveau spielen kann. Das gleiche gilt für Bastian Schweinsteiger. Der Bayern-Profi hatte während der vergangenen Saison immer wieder Probleme mit seinem Körper, musste mehrfach aussetzen. Zum Schluss verpasste er das Pokalfinale mit Knieproblemen, er nahm eine entzündete Patella-Sehne mit zur WM. Auch er hat lange nicht mehr über einen längeren Zeitraum seine Bestform gezeigt. Respektive zeigen können.

Was also tun im Mittelfeld des deutschen Teams? Wo nun auch Toni Kroos in der Zweikampfmaschinerie der Afrikaner verschüchtert reagierte. Und wo Philipp Lahm urplötzlich anfängt, das zu tun, was er nie gelernt hat: Fehlpässe spielen. "Wir hatten Probleme mit unserem Aufbauspiel. Das haben wir nicht so gut gemacht wie sonst. Dann kriegt man gegen eine so aggressive Mannschaft Probleme", sagte Lahm. Die Kritik ging direkt an ihn selbst und die Kollegen Kroos und Khedira.

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Bis Schweinsteiger kam, konnte die Mannschaft im Mittelfeld kaum einmal den Gegnern Angst einjagen. Dieser brachte allerdings gleich so viel Energie und Siegeswillen mit, dass es danach wild hin und herging und am Ende beide Mannschaften noch gute Chancen auf den Siegtreffer hatten.

Es könnte darauf hinauslaufen, dass Löw und sein Trainerteam eine Planstelle im Mittelfeld an zwei Spieler vergibt. Dass diese sich Khedira und Schweinsteiger teilen. Denn beide gleichzeitig aufzustellen, erscheint angesichts der Vorgeschichten und der Belastungen in Brasilien sehr gewagt. Der nächste Gegner USA hat vor allem physische Vorzüge, um 13 Uhr in Recife wird es nicht anders als in Fortaleza, wo Miroslav Klose sagte: "Ich hab mit Basti gesprochen: Du machst zwei Sprints, dann suchst du das Sauerstoffzelt. Das ist nicht einfach."

Auf beide verzichten will der Bundestrainer wohl auch nicht. Und so muss Joachim Löw genau hinspüren, welcher von beiden gerade ein Hoch, und welcher gerade ein Tief erlebt. Mit Sicherheit wird auch Bastian Schweinsteiger darüber Auskunft geben, aber nur dem Bundestrainer.

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