Schweden:Zlatan ist nie schuld

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Hiergeblieben! Der junge aufstrebende John Guidetti beim Versuch, mit dem etablierten Zlatan Ibrahimovic den Ausgleich Schwedens zu bejubeln. (Foto: imago)

Die skandinavische Mannschaft baut zu sehr auf Zlatan Ibrahimovic, dabei rücken hoffnungsvolle Talente auf.

Von Thomas Hummel, Saint-Denis

Schlechten Geschmack kann dem Svenska Fotbollförbundet niemand vorwerfen. Wäre gutes Aussehen und schicke Kleidung ein Kriterium bei der Vergabe eines Finalplatzes bei dieser Europameisterschaft, der Verband hätte mit seinen Fußballern beste Chancen. Die Schweden traten am Montagabend in perfekt sitzenden blauen Anzügen, weißem Hemd, Krawatte und Einstecktuch aus der Kabine des Stade de France. Akkurat frisiert zog jeder ein Rollköfferchen hinter sich her. Sie erinnerten an die Abschlussklasse einer Piloten-Schule.

Auch Zlatan Ibrahimovic unterwarf sich dem Dress-Code seiner Mannschaft. Oder hat er ihn selbst entworfen? Vor dem Stadion wurden jedenfalls Proben seines Parfüms "Zlatan" verteilt. Und war er nicht ohnehin wieder der schillerndste von allen? Tumulte entstanden, als sich der 34-Jährige der Öffentlichkeit zeigte, Kameras, Mikrofone, Aufnahmegeräte flogen ihm fast entgegen. Als er dem Ausgang entgegen schritt, bettelte ihn noch jemand um eine Antwort an. "Okay, eine Frage." Wie er das nur angestellt habe, dass der Verteidiger den Ball ins eigene Tor köpfte? Ibrahimovic lächelte leicht amüsiert, legte den Kopf schief. "Ist das wirklich die Frage?" Doch der Mann legte nach: "War es Magie?"

Zwar kann man Ibrahimovic keinesfalls ein minderes Selbstbewusstsein unterstellen. Abwechselnd nennt er sich gerne König, Legende oder Gott. In diesem Fall war es ihm jedoch zu viel. "Das müssen sie ihn fragen", antwortete er und ging durch eine graue Tür zum Mannschaftsbus.

Vor einem Jahr wurde die U21 sogar Europameister

Eine seiner ganz wenigen guten Aktionen hatte seiner Nationalmannschaft geholfen, zum Auftakt der EM-Mission wenigstens eine Niederlage zu verhindern. Nach 71 Minuten kam er einmal am Gegenspieler vorbei, flankte nach innen, wo der Ire Cirian Clarke den Ball ins eigene Tor köpfelte. Magisch daran war allenfalls, dass dies schon der Ausgleich war, obwohl die Schweden davor lange Zeit recht deutlich unterlegen gewesen waren gegen ebenfalls limitierte Iren.

Trainer Erik Hamrén beklagte die schwache Leistung, nahm Ibrahimovic aber ausdrücklich von der Kritik aus. "Wir waren grob gesehen nur ein Spieler", sagte er allen Ernstes, forderte mehr Unterstützung für den Stürmer, "aber wenn unser Offensivspiel so schlecht wie in den ersten 50 Minuten ..." Er vollendete den Satz nicht, aber jeder wusste, was er meinte. Dann kann eben auch ein Zlatan nichts mehr ausrichten. Der erklärte: "Ich habe getan, was ich konnte, wenn man bedenkt, wie viel Pässe ich bekommen habe."

Hamrén liefert sich offenbar voll und ganz dem großen Ibrahimovic aus. Er hat ihn zum Kapitän gemacht, lobt und preist ihn, wo er kann. Diese Strategie hatte er auch bei der EM vor vier Jahren verfolgt, schon damals ohne Erfolg. In der Halbzeit gegen die Iren ließ er einen Streit zu, als einige ältere Spieler um Ibrahimovic die jüngeren zu mehr Einsatz aufgerufen haben. Dabei hätte der Nationaltrainer jetzt einige Gründe, offensiv den Generationenwechsel einzuläuten.

Vor fast genau einem Jahr in Prag hatte der Svenska Fotbollförbundet sogar einen EM-Titelgewinn gefeiert, die U21 des Landes besiegte Portugal im Elfmeterschießen des Finals. Für das kleine Fußballland war das eine große Sache, und so stehen nun sechs Spieler von damals im Kader. Allerdings setzte Hamrén zu Beginn nur zwei davon ein: Victor Lindelöf, Abwehrmann von Benfica Lissabon, der in der Champions League selbst den Angreifern des FC Bayern Probleme bereitete. Und Oscar Lewicki, der einst einige Jahre als Jugendspieler beim FC Bayern verbracht hatte.

Erst als Hamrén den Angreifer John Guidetti einwechselte, hatten die Schweden vorne die nötige Präsenz, um die Iren in Bedrängnis zu bringen. Der in Kenia aufgewachsene Stürmer gilt in punkto Exzentrik bereits als Nachfolger des großen Zlatan, die Statur und Spielweise erinnert eher an Wayne Rooney. Die Band Badpujken schrieb ein Lied über ihn, der Song Johnny G landete prompt auf Platz eins der schwedischen Musik-Charts. Er ist ein Grund für die famose Saison des Provinzklubs Celta Vigo mit Platz sechs in der Primera División. Vor dem 1:1 legte er den Ball per Hacke weiter auf Ibrahimovic. Guidetti, 22, brachte zusammen mit Lindelöf, 21, Lewicki, 23, und dem Leipziger Emil Forsberg, 24, eine Art Spielkultur in die schwedische Mannschaft. In der Phase hatte auch Ibrahimovic seine besten Szenen.

Lindelöf wäre anschließend mit seinen auf ein paar Millimetern abrasierten Haaren trotz Anzug mit Einstecktuch fast unerkannt zum Mannschaftsbus gekommen. Auf die Frage, ob es für die Mitspieler kein Problem sei, wenn sich alles auf einen Mann fokussiert, antwortete er: "Er ist ein großer Spieler, und es ist großartig, ihn im Team zu haben."

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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