Schweden:Ende einer Ära

Italy v Sweden - Group E: UEFA Euro 2016

Bislang war es eine enttäuschende EM für Zlatan Ibrahimovic. Das Spiel gegen Belgien könnte das letzte Spiel von Schwedens Fußballhelden im Nationaltrikot sein.

(Foto: Dennis Grombkowski/Getty Images)

Stürmergröße Zlatan Ibrahimovic kündigt seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft nach dieser EM an.

Von Ulrich Hartmann

Der schwedische Nationalstolz hängt jetzt von einem 34-jährigen Flüchtlingssohn aus dem Malmöer Problemviertel Rosengård ab. Seine Fußabdrücke in Beton zieren den Bolzplatz. Dort ist Zlatan Ibrahimovic groß geworden. Dort hat alles angefangen, und im 1400 Kilometer südlich gelegenen Nizza geht an diesem Mittwoch womöglich etwas Bedeutsames zu Ende. Die finale Gruppenpartie gegen Belgien könnte Ibrahimovics letztes Spiel im Trikot der schwedischen Nationalmannschaft sein. "Unser letztes Spiel bei dieser Europameisterschaft wird auch mein letztes für die Nationalmannschaft sein", sagte Ibrahimovic am Dienstag. Die Schweden müssen gewinnen. Sollte ihnen das nicht gelingen, wäre die EM für sie vorbei. Und im schwedischen Fußball wäre eine Ära zu Ende.

In Nizza gegen Belgien ist Ibrahimovic wieder Therapeut

Wenn die Fans der Franzosen und der Engländer ihre Fußballer anstacheln wollen, singen sie die Marseillaise und "God save the Queen". Die Schweden singen "Zla-tan, Zla-tan, Zla-tan". Der größte Fußballheld Schwedens, als Sohn eines Bosniers und einer Kroatin in Malmö geboren, erhebt sich sogar über die nationalen Aristokraten - zumindest während der EM. Dabei ist Ibrahimovic kein Charmebolzen. Nach der 0:1-Niederlage im zweiten Spiel gegen Italien hat er die zu Tausenden nach Toulouse gepilgerten Sverige-Fans nicht mal verabschiedet. Während seine Kollegen in die Kurve gewinkt haben, stapfte Ibrahimovic in die Kabine. Es ist diese Wut, mit der er seinen Snobismus medial aufarbeitet. "Wenn ich wütend bin, werde ich erst richtig gut", sagte er mal. Schweden hofft also auf Ibrahimovics Aggression, wenn er in Nizza gegen Belgien aufläuft. Ibrahimovic ist Schwedens Therapeut - bloß dass er die Wut nicht bekämpfen, sondern vielmehr anheizen will.

Es ist seine vierte EM. Ibrahimovic hat bis jetzt bei jedem Turnier getroffen: 2004 in Portugal, 2008 in Österreich und der Schweiz sowie 2012 in Polen und der Ukraine. Er hat bei diesen drei Turnieren insgesamt sechs Tore geschossen, drei weniger als der EM-Tor-Rekordhalter Michel Platini, eines weniger als Alan Shearer. Er will der erste Spieler werden, der bei vier EM-Turnieren nacheinander trifft. Allerdings: Portugals Cristiano Ronaldo probiert parallel und bislang ebenfalls erfolglos das gleiche Kunststück. Also benötigt Ibrahimovic in seinem 116. Länderspiel aus zweierlei Gründen seinen 63. Nationalmannschafts-Treffer: damit er als Erster diesen EM-Rekord aufstellt - und damit seine letzte EM für ihn noch weitergeht.

"Große Spieler wachen spätestens im dritten Spiel auf", sagt Belgiens Trainer Marc Wilmots halb tröstend, halb provozierend. Obschon Ibrahimovic bei der EM bislang enttäuscht hat, blieb er doch Schwedens Schlüsselspieler. Die Italiener haben ihn während des Spiels zugestellt und vom Rest der Mannschaft getrennt. So kam Schweden in Toulouse zu keinem einzigen Torschuss. Entsprechend wütend marschierte Ibrahimovic vom Feld und erntete dafür das Unverständnis einiger Kollegen, die von ihm als Kapitän eine andere Vorbildrolle erwarten. Ibrahimovic hat da wohl schon gewusst, dass es seine Abschiedstour ist.

"Ich glaube, dass er auf Rache an Guardiola aus ist."

Seine Zeit als Fußballer ist ungeachtet der Ereignisse in Frankreich aber noch nicht vorbei. Er steht vor einem Wechsel zu Manchester United, wo er mit dem Trainer José Mourinho zusammenarbeiten wird. Sein Berater Mino Raiola hat soeben in der spanischen Zeitung Marca behauptet, Ibrahimovics Wechsel zu Mourinho habe auch mit seinem Groll gegen den neuen Trainer des United-Rivalen Manchester City zu tun: Pep Guardiola. Mit ihm hatte sich Ibrahimovic beim FC Barcelona vor einigen Jahren nicht gut vertragen. "Ich glaube, dass er auf Rache an Guardiola aus ist", sagt Raiola. Damit würde deutlich, wie sehr sich der Egozentriker von Rache oder Wut lenken lässt. Bislang hat ihm das in seiner Karriere scheinbar geholfen. Gegen Belgien käme es auf einen weiteren Beweis an. Gelingt es ihm nicht, nimmt Schweden an diesem Mittwoch Abschied von seinem Fußballhelden.

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