Schulden der Fußballklubs:"Barça ist ein Sklave der sportlichen Euphorie"

Fußball-Finanzexperte José Maria Gay über die Schulden der spanischen Spitzenklubs und einen Transfermarkt, der dem Tausch von Fußballbildchen gleicht.

Interview: Javier Cáceres

José Maria Gay, 57, ist Spaniens führender Fußball-Finanzexperte. Der frühere Berater des Erstligisten Espanyol Barcelona und Professor für Finanzwirtschaft und Buchhaltung der CEU Barcelona legt periodische Berichte zur Finanzlage vor, in denen er vor der gravierenden Lage der spanischen Erstligisten warnt.

Schulden der Fußballklubs: Überschwang nach dem WM-Titel: David Villa (links, beim Feiern in Südafrika) war einer der Juwelen, die vom FC Valencia an den FC Barcelona weiterverkauft wurden.

Überschwang nach dem WM-Titel: David Villa (links, beim Feiern in Südafrika) war einer der Juwelen, die vom FC Valencia an den FC Barcelona weiterverkauft wurden.

(Foto: afp)

SZ: Herr Gay, die neue Führung des spanischen Meisters FC Barcelona hat soeben erklärt, dass der Klub vergangene Saison 77 Millionen Euro Verlust gemacht habe - und nicht etwa, wie vom Vorgänger-Vorstand behauptet, elf Millionen Gewinn. Wie ist es um die Finanzsituation Barcelonas bestellt?

Gay: Ohne die Zahlen im Detail zu kennen: Es wurden Einnahmen für ein Grundstück verbucht, die nicht oder noch nicht erzielt worden sind (14,9 Millionen Euro/d. Red.). Zudem wurden offenbar TV-Einnahmen vorweggenommen (mehr als 50 Millionen Euro). Allein diese beiden Manöver haben den Klub in die roten Zahlen rutschen lassen. Mich überrascht, dass so wenig Strenge gewaltet haben soll, nicht der Umstand an sich.

SZ: Warum nicht?

Gay: Weil in der Saison 2009/2010 zu beobachten war, wie Barça zum Sklaven der sportlichen Euphorie wurde und anfing, Geld auszugeben, als wäre es eine Ode an die Freude. Vor ein paar Jahren noch gab es eine Figur wie Ferran Soriano (heutiger Chef der Fluggesellschaft Spanair/d. Red.), der in Wirtschaftsdingen knallhart war. Seit er weg ist, hat Barça die Zügel schleifen lassen und mehr ausgegeben, als eingenommen wurde. Barça hat die Bodenhaftung verloren. Technisch gesprochen - ich betone: technisch gesprochen - bedeutet die Bilanz: Barça ist bankrott. Aber Barça ist ein sportlich beeindruckend positionierter Klub, mit monumentalem Potenzial. Es ist kein vulgärer Verein der Primera División. Er kann monumentale Einnahmen generieren und die Bilanz korrigieren.

SZ: Es ist also kein Wahnsinn, zur neuen Saison Transfers wie den 40-Millionen-Einkauf von David Villa vom FC Valencia zu tätigen - oder einen ähnlichen Betrag in die Hand zu nehmen, um Cesc Fàbregas vom FC Arsenal zu holen?

Gay: Das sind Spieler, die sportliche Erfolge stützen, die dem Klub größere Einnahmen und damit wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten bieten. Es sind Investitionen. Ein Beispiel: In der Saison 2008/09 hat Manchester United durch ordentliche Einnahmen einen Gewinn von 56 Millionen Euro erzielt. Zudem hat der Klub durch den Verkauf von Cristiano Ronaldo 94 Millionen Euro eingenommen. Was sagt uns das? Wenn man Einnahmen und Ausgaben vernünftig verwaltet, kann ein Klub wie Barça in einer einzigen Saison ein Defizit abbauen. Ein solches Modell gilt natürlich nicht für andere Klubs, etwa meinen geliebten RCD Espanyol Barcelona, der Spieler nicht kauft, um Titel zu gewinnen, sondern um die Klasse zu halten.

SZ: Sie veröffentlichen seit Jahren regelmäßig Studien zur Lage der spanischen Fußballklubs, die...

Gay: ...von niemandem hier beachtet werden. Obwohl sich am Ende immer herausstellt, dass ich Recht habe.

SZ: In Ihrer jüngsten Studie sprachen Sie davon, dass sich die Schulden der spanischen Erstligisten zum Stichtag 30. Juni 2009 auf mehr als 3,5 Milliarden Euro summierten. Wie ist die Lage jetzt?

Gay: Barcelona hatte damals Schulden von 489 Millionen, nun liegen sie bei ungefähr 550 Millionen Euro. Ich habe noch nicht alle Zahlen, und die andere große Referenz fehlt: Real Madrid. Aber grob überschlagen, denke ich, dass sich der Schuldenstand der Primera División auf dem Niveau der Premier League bewegt, also bei 3,8 oder 3,9 Milliarden Euro liegt.

"Wir lesen keine Geschichtsbücher"

SZ: Wie viele spanische Klubs waren 2009, wie Barça jetzt, in einer Situation des technischen Bankrotts?

Gay: Ein halbes Dutzend. Wir sprechen von Vereinen wie Malaga, Mallorca, Racing Santander, oder auch dem FC Valencia, der einen Plan umsetzt, um sich wirtschaftlich neu aufzustellen. Nachdem Valencia Dritter geworden war und die Champions-League-Qualifikation erreicht hatte, haben sie sofort die Juwelen verkauft (David Villa an Barcelona, David Silva an Manchester City/d. Red.), um Kasse zu machen. Das Problem sind aber auch Klubs, die zwar ein positives, aber sehr schwaches Nettovermögen haben. Das ist wie bei den Stress-Tests der Banken, die wir gerade erlebt haben. Die Frage, die sich bei diesen Klubs stellt, lautet: Wie groß ist ihre Widerstandsfähigkeit im Fall von wirtschaftlichen Verwerfungen? Barça hatte ein schwaches Nettovermögen, es war also denkbar, dass der Klub in eine Lage gerät wie die jetzige. Aber anders als bescheidenere Klubs hat Barça eine gute Stressresistenz, eine ausgeprägte Fähigkeit, sich zu erholen.

SZ: Wie hat sich die spanische Wirtschaftskrise auf den Fußball ausgewirkt?

Gay: Enorm. Als ich von den 3,5 Miiliarden Euro sprach, flossen die Einnahmen längst nicht mehr wie in den Jahren der Euphorie. Gleichzeitig stellten die Ausgaben eine Hypothek dar. Die Klubs hatten sich verpflichtet, über Zeiträume von drei, vier Jahren gigantische Löhne zu zahlen, aber wenn du dein sportliches Ziel verfehlt hast, hattest du eben geringere Einnahmen. Dazu kommt ein gigantisches Problem: die Fernseheinnahmen. Alles hat auf Mediapro (Sportrechtehändler, d. Red.) als einzigen Anbieter vertraut, nun hat Mediapro ein Gläubigerverfahren eingeleitet. Die Mehrheit der Klubs schlackert jetzt mit den Ohren.

SZ: Das Gläubigerverfahren von Mediapro gilt vor allem als ein politischer Schachzug, weniger als ein Akt, der wirtschaftlich dringend notwendig war. Aber sollte sich herausstellen, dass Mediapro pleite geht: Kann man dann in der Liga das Licht ausmachen?

Gay: Real Madrid hat immerhin eine Bürgschaft über sechs Monate erhalten. Barcelona schon nicht mehr, Barça bekommt sein Geld in Monatsraten. Aber wir sind wieder bei derselben Überlegung: Barça hätte selbst in so einem Szenario eine Widerstandskraft. Die Frage lautet: Was ist mit Malaga, Villarreal oder Mallorca? Wenn der Fernsehanbieter nicht mehr zahlt, wären einige Klubs regelrecht stranguliert.

SZ: Wie kann es sein, dass die Liga weiterhin funktioniert, dass weiterhin Spieler verpflichtet werden?

Gay: Was Transfers anbelangt, sind wir längst bei einer Form des Tauschs von Fußballbildchen angekommen. Ein Klub, der einen Spieler verkaufen will, verkauft ihn an den, der gerade Geld eingenommen hat. Ansonsten zirkuliert kein Geld. Espanyol hat Callejón an Getafe verkauft, weil Getafe soeben das Geld für den Transfer von Pedro León an Real Madrid eingenommen hatte. Ansonsten fehlen Finanzierungsmöglichkeiten.

SZ: Sie haben das Finanzgebaren der Liga mit den Exzessen verglichen, die für das Spanien im Siglo de Oro prägend waren, dem Goldenen Zeitalter, das auf die Entdeckung Amerikas folgte. Warum?

Gay: Das Siglo de Oro war von fast unzüchtiger Verschwendung geprägt. Es flossen die Einnahmen nur so ins Land, das Silber aus den westindischen Kolonien, fabulöse Gewürze. Und wir fingen an, auszugeben, auszugeben, auszugeben, und das führte zu einer kolossalen Verschuldung des Staates, bis die Staatsfinanzen in den Händen italienischer, niederländischer Banken lagen, bis die große Pleite folgte. In Spanien haben wir ein Problem: Wir lesen keine Geschichtsbücher. Wenn ich über das Siglo der Oro lese, dann denke ich immer, ich lese Nachrichten von gestern, oder vom heutigen Vormittag. Wir lernen aus den Erfahrungen nicht. Anders als die Deutschen.

"Real müsste alles gewinnen"

SZ: Was in Deutschland funktioniert, ist die Kontrolle durch den Verband. Im vergangenen Jahr klagten Sie über die Tatenlosigkeit des Ligaverbandes LFP und der staatlichen Sportbehörden.

Gay: Da hat sich nichts verändert. Wir stehen da, wo wir vor Jahresfrist waren. In Deutschland werden die Daten der Klubs verfolgt, es gibt eine Überprüfung der Bilanzen. In Spanien gibt es das alles nicht. Ich sage: In Spanien müssen wir uns endlich Gedanken darüber machen, was die Rolle des Ligaverbands und des Fußball-Verbandes ist. Ob sie zu irgendwas nutze sein sollen oder nicht. Und was die oberste Sportbehörde CSD machen kann. Sie müsste und könnte intervenieren, weil sie über Präsidentschaftswahlen und solche Dinge erhaben ist. Doch von ihr hört man nichts.

SZ: Wie steht es um den Rekordmeister Real Madrid?

Gay: Real hat mehr Eigenmittel als der FC Barcelona, ist aber sehr verschuldet. Ähnlich wie ACS übrigens, das Bauunternehmen von Real-Präsident Pérez. Real holt einen Spieler nach dem anderen. Wir werden sehen, wie die Zahlen für die vergangene Saison ausgesehen haben. Aber prinzipiell gilt: Um das ganze Ausgabenvolumen tragen zu können, müsste Real Madrid schon alles gewinnen.

SZ: Dafür hat die europäische Fußballunion Uefa gehandelt und Real Mallorca von der Europa League ausgeschlossen.

Gay: Das konnte man kommen sehen. Mallorca war in sehr kompromittierter Lage, mit einem großen Schuldenstand, einem Konkursverfahren, einer, sagen wir: hinkenden Bilanz. Die Uefa hat Ernst gemacht, gedroht hatte sie ja schon länger. Mir tut das um Mallorca leid, der Klub gefällt mir, aber vor allem haben die Spieler in der vergangenen Saison eine grandiose Seite in der Geschichte des Klubs geschrieben, obwohl sie lange ihr Gehalt nicht bekommen haben.

SZ: Glauben Sie, dass die Botschaft des Ausschlusses in Spanien ankommt?

Gay: Wenn die Klubs merken, dass die Uefa ernst macht: dann ja. Was man im Fußball machen muss, ist einfach: weniger Geld auszugeben, als man einnimmt. Dann gibt es keine Krise.

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