Schottlands Scheitern:Folklore und Häme

Scotland v Poland - UEFA EURO 2016 Qualifier; Scotland

Fast die ganze Insel qualifiziert sich, aber Schottland muss bei der EM zuschauen. Der Frust ist groß, die Häme auch.

(Foto: Mark Runnacles/Getty Images)

Seit 1998 war Schottland bei keinem großen Turnier mehr dabei. Auch die EM in Frankreich haben sie verpasst. Besondere Aussicht auf Besserung besteht nicht.

Von Sven Haist, Glasgow/München

In Großbritannien zieht gerade eine Witzelei durchs Land. Demnach laden die Engländer ihre atlantischen Nachbarn auf eine Fußballtour zur Europameisterschaft nach Frankreich ein. Sofort sagen die Isländer zu, dann die Nordiren - und schließlich, trotz einer Niederlage am vorletzten Spieltag, auch die Waliser. Auch von den Iren gab es bereits positive Signale für die Reise nächsten Sommer. Sie stoßen direkt dazu, wenn ihnen am Sonntag in Polen ein Unentschieden mit mindestens zwei eigenen Toren gelingt. Doch schon jetzt ist die Delegation aus dem Nordwesten Europas so groß wie nie zuvor bei einem Großereignis. Als letztes, so erzählen es sich die Engländer, rufen sie bei ihren schottischen Rivalen an. "Hey, ihr Schotten! Die gesamte Gang plant einen dreiwöchigen Urlaub. Kommt ihr auch mit?" - "Nein, wir dürfen nicht", sagen die Schotten. - "Warum?" - "Na, weil wir Schotten sind."

Schottland hat Platz vier sicher

Mit dieser Art von Spott muss Schottland seit dem vergangenen Donnerstag umgehen. Die Bravehearts warten seit 1998 darauf, mal wieder an einer Welt-oder Europameisterschaft teilnehmen zu dürfen. In Serie rissen sie zuletzt die Qualifikationsnormen. Nun ist auch der neunte Versuch ein ungültiger - das steht schon vor dem abschließenden Auftritt am Sonntag in Gibraltar fest.

Die Mannschaft von Nationaltrainer Gordon Strachan wird die Gruppe D mit Weltmeister Deutschland auf Rang vier beenden. Selbst die gelockerten Anforderungen des europäischen Fußballverbandes für eine Endrundenteilnahme haben den Schotten nicht geholfen. Das 2:2 gegen Polen im Nationalstadion in Glasgow war der Herzensbrecher.

Die erneute Schmach lässt sich am besten mit Gefühlen beschreiben, weil der schottische Fußball eben vorrangig auf Emotionen basiert, weniger auf Technik und Taktik. Die aus der Zeit geratene Spielweise setzt sich aus Idealismus und Hilflosigkeit zusammen. Die meisten Profis in Strachans Startelf verdienen ihr Geld bei abstiegsgefährdeten Vereinen in der englischen Premier League.

Sie kämpfen Fußball - ihre Waffe ist die angeborene körperliche Urkraft. Im besten Fall schlagen Weitschüsse von Matt Ritchie und Steven Fletcher ein. Die Tore gegen Polen waren diesmal sogar derartig sehenswert, dass sie eine wichtige Tatsache kaschierten: Die schottische Elf erarbeitete sich sonst in der entscheidenden Begegnung in 90 Minuten Spielzeit keine Torchance.

Zu viel hängt von den Fans ab

Die Zukunftshoffnungen sind rar gesät im Land der Hügel und Täler. Innenverteidiger Grant Hanley vom englischen Zweitligisten Blackburn Rovers war mit seinen 23 Jahren mit Abstand der jüngste Spieler in der Anfangsformation gegen Polen. Die anderen im Team haben die 30 überschritten oder stehen kurz davor. 30, 30, 29, 23, 31, 30, 31, 28, 29, 26, 29, so lautete die Alterszahlenformel der Startelf gegen Polen. Hat diese Nationalelf von Strachan eine Perspektive?

Der überalterten Elf schien es zuletzt an eigener Antriebskraft zu mangeln, sie hing zu oft von den Emotionen der "Tartan Army" ab, den 52 036 Zuschauern im Hampden Park. Bei der Nationalhymne suhlt sich Schottland regelmäßig in der eigenen Folklore - nach Schlusspfiff zu oft in der Häme der anderen. Nach dem Zwangsabstieg der Glasgow Rangers fehlt dem Stadtrivalen Celtic zudem ein Konkurrent, der sie zur Verbesserung antreibt. Zum wiederholten Mal scheiterte Celtic im Sommer knapp an der Qualifikation zur Champions League. Ein Zustand, der sich auf die Nationalmannschaft überträgt. Die Zahl der sportlichen Unglücke steigt an.

Zum Zyklus des Fußballs gehört es aber, dass die Schotten irgendwann im Herbst nächsten Jahres wieder auftauchen werden. Dann beginnt die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2018 in Russland. Vielleicht würde es dem Wohlbefinden des Landes gut tun, mal eine Runde auszusetzen. Ein verwegener Gedanke, die Gruppen sind schließlich schon ausgelost. Schottland trifft auf England. Auch das ist: typisch schottisch.

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