Schiedsrichtertagung zur WM:Für mehr Frieden auf dem Platz

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Der deutsche WM-Schiedsrichter: Felix Brych zückt Rot. (Foto: Michael Steele/Getty)

Die deutschen Schiedsrichter ziehen bei einem Lehrgang in Grassau ihre Lehren aus der WM. Die Alles-schön-laufen-lassen-Haltung der Schiedsrichter in Brasilien könnte in der Bundesliga-Saison zum Problem werden.

Von Philipp Schneider, Grassau

Hellmut Krug steht neben einem kleinen Fernseher, auf dem Display sind einige Videodateien zu sehen, der Moderator dieser Presseveranstaltung sagt: "Hellmut Krug hat ein paar Szenen mitgebracht. Er hat 18 von 400 möglichen Szenen ausgewählt." Krug drückt auf play, dann geht es los. Auf dem Bildschirm beginnen Fußballer zu laufen, es spielt Costa Rica gegen Griechenland, ein Achtelfinale der am vergangenen Sonntag zu Ende gegangenen Fußball-Weltmeisterschaft.

Costa Rica wird das Spiel erst im Elfmeterschießen gewinnen, aber der ehemalige Schiedsrichter Hellmut Krug hat eine Szene aus der 71. Minute mitgebracht. Es läuft ein schöner flinker Konter der Costa Ricaner, den die Griechen mit einigen Grätschen aufzuhalten gedenken. "Stopp, erstes Foul", sagt Krug, ein Costa Ricaner liegt am Boden, der Ball läuft weiter, das Video auch. "Stopp, zweites Foul", der nächste Mittelamerikaner krümmt sich am Boden, der Ball läuft weiter. "Jetzt liegen schon mal zwei am Boden, da fragt man sich natürlich: Warum macht er nichts? Es wird nicht besser, und das weiß der Schiedsrichter eigentlich auch." Der Clip endet erst, als der dritte Costa Ricaner zu Boden geht, Krug sagt: "Laufen lassen ist ja gut, aber bitte nicht so!"

Am Donnerstag haben sich die Schiedsrichter der zwei höchsten deutschen Fußball-Ligen gemeinsam mit ihren Assistenten zum viertägigen Saisonvorbereitungslehrgang in Grassau eingefunden, einem Luftkurort am Chiemsee. Das hat Tradition, nur diesmal ist alles ein bisschen anders. Diesmal haben die Vorgänge während der Weltmeisterschaft die deutschen Schiedsrichter nachdenklich gestimmt.

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So nachdenklich, dass die sogenannte "DFB-Schiedsrichterkommission Elite", der außer Krug auch Herbert Fandel und Lutz-Michael Fröhlich angehören, sich genötigt sah, eine Stellungnahme an die Öffentlichkeit zu senden. Fandel sagte: "Die Leistung der Schiedsrichter bei der WM war nicht zufriedenstellend. Wir müssen klar machen, dass so etwas bei uns nicht passieren wird: Leute, diese Linie werden wir nicht übernehmen."

Dass diese WM eine überaus ruppige war, das belegen allein die Daten der Statistiker. In der Partie Brasilien gegen Chile zählten sie 51 Vergehen. Schlimmer war nur das Viertelfinale zwischen Brasilien und Kolumbien mit 54 Fouls, das seinen traurigen Höhepunkt erreichte, als der Kolumbianer Juan Zúñiga mit dem Knie voran in den Rücken von Neymar sprang. Neymar wurde ein Wirbel gebrochen - er fiel für den Rest des Turniers aus.

"Die Szene sah für den Schiedsrichter so aus, als wäre Neymar umgestoßen worden", relativierte Krug, "auch gab es sicher noch deutlich brutalere Fouls bei diesem Turnier." Das Problem sei aber: "In diesem Spiel hat eine Entwicklung stattgefunden, die nicht unterbunden wurde. Das Foul an Neymar war das Ergebnis einer mangelhaften Spielkontrolle durch den Schiedsrichter." Tatsächlich war die Partie dem Spanier Carlos Velasco zu diesem Zeitpunkt längst entglitten.

Die Schiedsrichterkommission Elite umriss zudem, was es in der nächsten Bundesligasaison zu verhindern gilt: "Rücksichtslose Arm-Einsätze, rücksichtslose Tritte müssen wir weiterhin ahnden", sagte Fandel. Auch mit Verwarnungen. Kryptisch äußerten sich Fandel und Krug hingegen über mögliche Ursachen der laxen Handhabung des Kartenwesens in Brasilien. Es war ja spekuliert worden, dass der Fußball-Weltverband Fifa bewusst eine lockere Linie ausgegeben hatte, um das an Härte gewöhnte südamerikanische Publikum nicht um die gewohnte Show zu bringen.

"Wo es herkommt, dazu kann ich nichts sagen. Ich müsste spekulieren, das will ich nicht", sagte Fandel. Kollege Krug aber räumte ein: "Wir wissen nicht, was intern besprochen wurde. Aber es wurde in jedem Fall nicht nachgesteuert." Heißt: Es erging nach den ersten brutalen Partien zumindest kein Aufruf der Fifa an die Schiedsrichter, härter durchzugreifen.

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Fandel wiederum ließ kurz seine größte Sorge für den anstehenden Betrieb der Liga durchblicken. Dass nämlich diese Alles-schön-laufen-lassen-Haltung der WM-Schiedsrichter eine Erwartungshaltung beim Publikum geschaffen haben könnte: "Das Problem wird sein: Fans und Vereine haben diese WM auch gesehen."

Natürlich blieb noch kurz Zeit, die zwei Innovationen des Turniers zu diskutieren: die Torlinientechnik und das Schiedsrichterspray. Man einigte sich darauf, dass das Spray zwar nützlich sein kann ("Um Konflikte über den richtigen Abstand im Voraus zu unterbinden"), eigentlich aber noch nie notwendig war ("Das kriegen wir auch so hin").

Die Torlinientechnik wiederum erhielt erwartungsgemäß großen Applaus der Schiedsrichter-Elite. Vor allem jene Szene im Spiel zwischen Honduras und Frankreich. Als mit dem Auge nicht zu erkennen war, dass der Ball die honduranische Torgrenze passiert hatte, sei das ja wohl der Moment gewesen, in dem alle Freunde der Torlinientechnik "die Korken knallen ließen", wie Krug jubilierte. "Wir Schiedsrichter wollen die Technik, aber wir müssen sie ja auch nicht bezahlen." Zuletzt war die Einführung des aufwendigen Systems am Widerstand einiger Klubs gescheitert, die die Anschaffung finanzieren müssten. Ende des Jahres soll erneut abgestimmt werden, übrigens möglicherweise auch über Ligaeinsätze des Sprays.

Dann ging diese Tagung der Mahnung vom Chiemsee zu Ende, allerdings nicht ohne eine schlechte Nachricht für alle Freunde der Fußball-Weltmeister. Manuel Neuers wilder Lauf im Finale, als er Gonzalo Higuain am Strafraumrand umrempelte, um den Ball wegzufausten, hätte "einen Strafstoß und Gelb" für Neuer nach sich ziehen müssen, urteilte Hellmut Krug. Aber diese Szene hatte er anstandshalber lieber nicht mitgebracht.

© SZ vom 18.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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