Schiebung im Eiskunstlauf?:"Das war vorher schon klargemacht"

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Savchenko und Szolkowy unterliegen im Kampf um EM-Gold einem russischen Duo. Ihr Trainer wittert Betrug und verhöhnt das Siegerpaar.

René Hofmann, Tallinn

Spät am Abend, kurz vor dem Abschied, als sich der Rummel in der Saku Suurhall schon gelegt hatte, bekam Aljona Savchenko noch eine spannende Frage gestellt. "Zweihundertelfkommasiebenzwei Punkte. Das ist eine ganz tolle, neue persönliche Bestleistung", hob eine Frau vom Fernsehen an: "Freuen Sie sich, Aljona?" Zur Antwort der 26-Jährigen muss man sich eine graue Stadt vorstellen, in der es minus 15 Grad hat, und durch die ein scharfer Ostwind fegt. "Natürlich nicht", gab Savchenko zurück.

Aljona Savchenko und Robin Szolkowy erreichten bei der EM nur den zweiten Platz. (Foto: Foto: dpa)

211,72 Zähler sind im Paarlauf nicht schlecht. Aber sie reichen eben nicht zum Sieg, wenn ein anderes Duo 213,15 Punkte sammelt. Und so war es bei dieser Europameisterschaft in Estland. Die russisch-und-einst-japanische Kombination Yuko Kawaguchi/Alexander Smirnow errang den Sieg. Zum ersten Mal seit vier Wintern mussten sich Savchenko und ihr Partner Robin Szolkowy bei Europameisterschaften wieder einmal geschlagen geben. Mussten - so empfanden sie das.

"Mit der Leistung bin ich zufrieden, von der Platzierung bin ich enttäuscht", fasste Trainer Ingo Steuer die Erlebnisse in der Suurhall zusammen. Savchenko war vor der Meisterschaft krank gewesen, Steuer hatte die Schweinegrippe sogar ins Krankenhaus gebracht. Zuvor schon hatte das Trio nach einem enttäuschenden Saisonstart die als Olympia-Kür ausgesuchte Musik "You'll never walk alone" wieder verworfen und auf die Schnelle eine neue Nummer gestrickt zum Thema "Jenseits von Afrika".

Angesichts dieser Turbulenzen war es beachtlich, was Savchenko und Szolkowy in Estland zeigten. Ihr Kurzprogramm war fehlerfrei, wunderschön, elektrisierend. Jenseits von Afrika blieben sie dann zwar nicht ganz fehlerfrei - beim Wurf-Flip landete Savchenko auf beiden Füßen, den Salchow drehte sie als Einzelsprung kurz darauf nur doppelt -, aber das war letztlich egal, glaubte Steuer. "Auch wenn wir heute alles gestanden hätten, hätten wir die Wertung nicht bekommen. Das war vorher schon klargemacht", sagte der Weltmeister von 1997: "Es sollte so entschieden werden."

Kawaguchi und Smirnow waren vor Savchenko und Szolkowy gelaufen, und als die Punkte für die Russen ausgerufen wurden, hatte Szolkowy zu Steuer gesagt: "Jetzt ist es egal, was wir machen." Für die russischen Meister war bisher ein Bestwert von 193,05 geführt worden, errungen beim Grand Prix in Japan am 7. November vergangenen Jahres. In Tallinn gingen sie mit satten 20 Zählern mehr vom Eis. "Die haben in zwei Monaten das Eislaufen revolutioniert", höhnte Steuer, "das geht nicht".

Schon nach der Kurzkür hatten er, Savchenko und Szolkowy gemerkt, dass sie in der kalten Stadt mit Gegenwind zu kämpfen hatten. Nach dem ersten Wettbewerbsteil hatten sie die Wertung zwar angeführt, allerdings mit einem lächerlich geringen Vorsprung, der vor allem dadurch zustande gekommen war, dass ihren Pirouetten vom Preisgericht nicht der übliche Schwierigkeitsgrad zugesprochen worden war und Kawaguchi und Smirnow bei den Punkten, die es für den künstlerischen Ausdruck und die Eislauf-Fähigkeiten gibt, außergewöhnliche Werte bekommen hatten.

Seit es im Eiskunstlauf Punkte gibt und nicht mehr Noten bis 6.0, bewerten die Preisrichter jedes Element einzeln. Sie werten anonym und nicht jedes Votum fließt letztlich auch ins Resultat ein, wirklich unmöglich geworden sind Schiebereien damit aber nicht. Über die Punkte, die sie für das vergeben, was früher die B-Note war, können die Frauen und Männer an der Bande die Läufer in den Ergebnislisten immer noch ziemlich punktgenau dorthin schieben, wo sie sie haben wollen. Und bei der EM, so sah es zumindest aus, wollten die meisten die Russen vor der Kür eben in Schlagdistanz zu den favorisierten Deutschen sehen.

Eiskunstlauf im Sechziger-Jahre-Stil

Das einstige Zarenreich ist in dem Sport immer noch eine Großmacht, in einer Olympia-Saison ist das besonders deutlich zu spüren: Vor dem wichtigsten Wettbewerb des Sports, der nur alle vier Jahre wirklich Aufsehen erregt, versucht jede Nation, ihre Aushängeschilder zu polieren. Bei den nationalen Meisterschaften werden dann irrwitzig hohe Punktzahlen vergeben, die Bestmarken sollen die Konkurrenten beeindrucken. Und wer als Meister seines Kontinents kommt, hat bei Olympia vermeintlich die besten Chancen.

Die Saison der Eisläufer ist kurz. Neben den sechs Grand Prixs und deren Finale gibt es vor Olympia nur die EM als internationalen Vergleich. "Die Russen mussten halt einen Wettbewerb gewinnen in dieser Saison", kommentierte Savchenko das Ergebnis vielsagend. In diesem Winter hatten Kawaguchi und Smirnow noch nicht von der höchsten Stufe des Siegertreppchens gegrüßt, und auch in Vancouver wird das nicht so kommen. Die 28-Jährige und der 25-Jährige bieten solide und saubere Eiskunst, allerdings in einer Art, wie sie auch ihre Trainerin Tamara Moskwina in den sechziger Jahren schon vorführte. In Tallinn reichte das, weil die beiden im langen Programm ohne Patzer blieben.

Ein echter Skandal wäre die Reihung gewesen, wenn das auch den Deutschen gelungen wäre. Spät am Abend, zum Abschied aus der Suurhall, sagte dann auch noch Robin Szolkowy, der sich zuvor aus der Ergebnisdiskussion vornehm herausgehalten hatte, einen interessanten Satz: "Ich gratuliere den neuen Europameistern schon zu ihrem Titel. Das sehe ich sportlich", sagte der 30-Jährige: "Als Sportler kann man hier ja am wenigstens was für irgendetwas."

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