Schalker Trübsal :Ab ins Kloster!

Nach der Niederlage in Mainz fürchtet Schalke 04 um einen internationalen Startplatz. Jetzt werden die Spieler kaserniert.

Von Philipp Selldorf, Mainz

Horst Heldt sah aus, als wäre er noch schnell in der Maske gewesen, um für den Bußgang zu den Reportern gerüstet zu sein. Schalkes Manager machte - passend zum Anlass - einen ziemlich derangierten Eindruck. Er formte Sätze, die keinen Anfang und kein Ende hatten, und trug sie mit der tonlosen Stimme des nackten Entsetzens vor, und bald wussten alle: Diese Bedrückung ist kein Schauspiel, dieses Entsetzen ist echt. Wichtigste Botschaft des Sportchefs: "Nein, morgen ist nicht trainingsfrei. Es gibt die ganze Woche nicht trainingsfrei." Sowie: "Wir werden schauen, welche Entscheidungen wir kurzfristig treffen."

So, wie Heldt diese Anmerkungen machte, klang es, als ob die Schalker Profis während der kommenden Tage bei Wasser und Brot in den Keller des Vereinsheims gesperrt werden sollten. Tatsächlich aber teilte Trainer Roberto di Matteo den Spielern am Samstagnachmittag mit, dass es ab Montag für fünf Tage in die 4-Sterne-Plus-Herberge "Klosterpforte" in Marienfeld geht, die auf ihrer Homepage mit dem Motto "Träume erleben!" wirbt. Es hätte also schlimmer kommen können, nachdem sie zuletzt eher Albträume erlebt haben.

1. FSV Mainz 05 v FC Schalke 04 - Bundesliga

Schalker Frust: Nach dem 0:2 in Mainz schleichen die Spieler vom Platz.

(Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Die Schalker schotten sich also ab - das ist angesichts der Wut ihrer Fans vielleicht auch besser so. Die meisten der nach Mainz mitgereisten Anhänger wären bei einer sofortigen Inhaftierung der Profis gern behilflich gewesen. Sie beschimpften ihr Team nach der 0:2-Niederlage so laut und so heftig, wie sie konnten, sogar die in der Profibranche gefürchtete Schmähung "Scheiß Millionäre" wurde angestimmt. Das hatte man in Schalke lange nicht mehr gehört. Dass sich, angeführt vom Torhüter Ralf Fährmann, nach der Partie die gesamte Mannschaft aufreihte, um die gesammelten Beleidigungen entgegenzunehmen, und dass sie in dieser Haltung minutenlang verharrte - das zeugte immerhin von Schuldbewusstsein und einem gewissen Maß an Demut. Torwart Fährmann, ein echter Schalker, äußerte später auf die Frage nach seinem Befinden: "Enttäuscht, traurig . . . richtig down. Wir können nicht ummünzen, was der Verein verdient hat."

Bells erster Doppelpack seit der B-Jugend

Die Niederlage als solche gegen eine entschlossen kämpfende und gut sortierte Mainzer Elf, die das Matchglück auf ihrer Seite hatte, ist vermutlich nicht mal der Grund, warum sich die Schalker Anhänger so außerordentlich aufgeregt haben. Es war eher das Unverständnis über die Art und Weise, wie die hoch gewerteten und hochdotierten Profis plötzlich das Spiel aus der Hand gaben, das sie eben noch fest im Griff hatten. Die ersten zwanzig Minuten seien "sehr schwer" für seine Mannschaft gewesen, sagte der Mainzer Trainer Schmidt später. Schalke spielte überlegen und hatte früh gute, sogar sehr gute Chancen, doch der von der Torloskrankheit befallene Mittelstürmer Huntelaar sowie Matip, Farfán und Sané ließen die Möglichkeiten aus oder scheiterten am starken Torwart Karius. Dann kam Mainz eher nebenbei zu einem Eckstoß, und der 05-Verteidiger Bell nutzte einen Querschläger zur Führung (28.). Keine drei Minuten später ließ Bell, wieder nach einem von Geis getretenen Eckball, per Kopf das 2:0 folgen. Sein vorheriger Doppelpack, erinnerte sich der Abwehrspieler, sei ihm in der B-Jugend gelungen.

Schema & Statistik

Alle Daten und Fakten zum Spiel stehen hier.

Während die Mainzer sich über den Verlauf des Abends wunderten ("Ich weiß auch nicht, wie wir das gemacht haben, mit 2:0 in die Pause zu gehen"), wurden die Schalker von Versagensängsten ergriffen. Daran änderte auch die Besinnungspause in der Halbzeit nichts. In der zweiten Halbzeit schossen die eingewechselten Goretzka und Draxler jeweils gegen die Latte, und Farfán vergab auch noch eine exzellente Chance, in Wahrheit aber waren das nicht die Zeichen von erbittertem Widerstand, sondern unerhebliche Effekte am Rande. Ein konzertiertes Aufbäumen fand nicht statt, die Mainzer waren dem dritten Treffer näher als die Schalker dem ersten. "Die Ruhe und das Vertrauen fehlen. Das ist eine Kopfsache", sagte Trainer Roberto Di Matteo im mitfühlenden Tonfall des behandelnden Arztes.

Mainz' Motto: Mentalität schlägt Qualität

Tatsächlich konnte man zusehen, wie die Schalker Spieler nach den Gegentreffern schlimmes Kopfweh bekamen. "Auf einmal waren wir aus dem Konzept gebracht", so Heldt. Fährmann kritisierte, dass sich die Mitspieler gegen ihren Frust zu wenig auflehnten: "Wenn dir auf einmal Kleinigkeiten nicht gelingen, die selbstverständlich sind, dann musst du noch mehr machen und noch mehr machen. Dann müssen wir einfach mehr kämpfen und mehr laufen." Lediglich Matip, Farfán und der junge Sané konnten ihren guten Einsatzwillen auch mit gehobener Leistung verbinden.

Mehr kämpfen und mehr laufen, das war letztlich die schlichte Erfolgsformel der Mainzer. "Mentalität kann Qualität schlagen", dies sei das Motto der Trainingswoche gewesen, sagte Trainer Schmidt. Und auf dieser Formel beruhte der Sieg der 05er - und der Zorn der Schalker Anhänger.

Während die Mainzer Fußballer sich vom Volk für den mutmaßlichen Klassenerhalt feiern ließen und der Doppel-Torschütze Bell sich auf einen herrlichen Samstag freute ("Endlich mal wie ein ganz normaler Fußballfan die Konferenz gucken"), geht in Schalke die Angst um: Die Angst, im Zuge der dramatischen Tor-Krise sogar den Europa-League-Platz noch zu verspielen. Und dabei auch noch von Borussia Dortmund überholt zu werden. Dann allerdings müssten die Profis nicht mehr zur Buße in den Kerker gesperrt, sondern zu ihrem Schutz in Sicherheitsverwahrung genommen werden.

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