Schalke 04 - 1. FC Köln (15.30 Uhr):Zupackender Landarzt

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Nah am Patienten: Trainer André Breitenreiter klatscht Joel Matip nach dem Spiel gegen Asteras Tripolis am vergangenen Donnerstag ab. (Foto: Guido Kirchner/dpa)

Der neue Trainer André Breitenreiter hat Schalke binnen weniger Wochen gefestigt und mental umgekrempelt. Gegen Köln visiert er den siebten Pflichtspiel-Sieg binnen 22 Tagen an.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Auch ohne Tore hat sich Franco di Santo bereits sehr verdient gemacht um das Ansehen des FC Schalke 04, dem der argentinische Angreifer seit diesem Sommer angehört. Mehrfach war di Santo Urheber und Absender von Fotos aus der Teamkabine, auf denen sich halbnackte Schalker jubelnd und lachend mit Wasser begießen oder anderen Blödsinn machen. Er hat damit der Welt Dokumente vorgelegt, die beweisen, dass in der Schalker Mannschaft gute Stimmung herrscht. Das ist zwar nicht allzu verwunderlich nach sechs Siegen hintereinander. Aber es ist trotzdem bemerkenswert, nachdem die Schalker Belegschaft noch vor wenigen Monaten bei ihren Zusammenkünften so viel Lebensfreude ausstrahlte wie eine sizilianische Begräbnisgesellschaft.

Peter Stöger kann sich bestens an den trostlosen Auftritt der Gäste aus Gelsenkirchen erinnern, als sie am 32. Spieltag der Vorsaison in Köln-Müngersdorf vorspielten. Das Spiel endete 2:0 für den FC, aber das Resultat war gar nicht mal das größte Ärgernis für die Schalker Anhänger. Mehr zu denken gab ihnen die chronische Apathie der hochbezahlten Fußballer. Dass die Fans den zerrütteten Zustand der Mannschaft mit Beschimpfungen und organisierter Verachtung quittierten, trug allerdings nicht zur Therapie der Betroffenen bei.

Fußball mit Verstand und Überbau, aber ohne überzogene akademische Note

Am Sonntag jedoch, so prophezeit Trainer Stöger, werden es die Spieler des 1. FC Köln bei ihrer Visite in Gelsenkirchen mit ganz anderen Schalkern zu tun bekommen. Schalke werde diesmal nicht bloß elf Spieler auf den Platz schicken, sondern eine richtige Mannschaft. In der Logik des Sports stellt eine Mannschaft im Sinne einer starken Gemeinschaft mehr dar als die Summe der einzelnen Akteure. "Sehr geschlossen und homogen" nennt Stöger das gegnerische Teamgebilde. "Es wird schwer werden für uns, die Schalker spielen guten Fußball", sagt der FC-Coach, "so wie man sich's als Schalker Fan wünscht." Und dann hat Stöger natürlich noch erklärt, wen er für den Schöpfer dieses Aufschwungs hält, nämlich den neuen Schalker Trainer André Breitenreiter. "Mein Kollege macht dort einen sehr guten Job", findet der Österreicher.

Den Schalkern erzählt Stöger damit nichts Neues. Überall auf dem Planeten gibt es Anhänger des rätselhaften Vereins aus Gelsenkirchen, aber nirgendwo auf der Erde wird man derzeit jemanden finden, der André Breitenreiter nicht für einen tollen Mann hält - geschweige denn jemanden, der Kritik an ihm übt. Breitenreiter, am Freitag 42 Jahre alt geworden, kam im Sommer zunächst gar nicht als Fußballtrainer nach Gelsenkirchen. Stattdessen hatte er die Rolle des einfachen Landarztes, der sich bereit erklärte, den schwierigen Patienten zu übernehmen, nachdem andere Koryphäen bereits versagt, aufgegeben oder abgewunken hatten.

International diesmal nur zweitklassig, aber dafür glücklich

Mancher Schalker hatte ihn mit Skepsis empfangen, aber Breitenreiter schaffte es mit seiner direkten und zupackenden Art schnell, Vertrauen im Klub, im Team und im Publikum herzustellen. Auch seine sportliche Lehre fand schnell Sympathien. Schalke 04 spielt nun einen Fußball, der zu diesem Klub passt und den Anhängern gefällt: leidenschaftlich, kämpferisch und angriffslustig. Es ist ein Fußball mit Verstand und Überbau, aber ohne überzogene akademische Note. Breitenreiters Fachwissen basiert auf der Praxis und seinen Erfahrungen als Profi.

Das Schalker Glück war lange nicht mehr so vollkommen wie in diesen Tagen, jahrelang hat der Klub an seinem unsteten Seelenleben und seinen Ansprüchen gelitten, er hat sich selbst dann noch bedroht gefühlt, wenn er in der Champions League Erfolge feierte oder sich gerade wieder für die europäische Eliteliga qualifizierte. Jetzt spielt Schalke international zweitklassig und kommt sich auf einmal wie ein Champion vor. Beim souverän ausgespielten 4:0 gegen den griechischen Tabellenfünften Asteras Tripolis hätte Ralf Fährmann zugunsten der persönlichen Bequemlichkeit ein Sofa in sein Tor stellen können, der Torwart wurde kein einziges Mal beschäftigt.

Befreiungsschlag für di Santo, wichtiges Tor für Huntelaars inneren Frieden

Die wichtigen Dinge spielten sich im Schalker Angriff ab, in dem Franco di Santo ein Hattrick gelang. Mehrfach gab Breitenreiter daraufhin seiner Hoffnung Ausdruck, dass nun "der Knoten geplatzt" sein möge, denn der für sechs Millionen Euro aus Bremen importierte Stürmer hatte sich bisher nicht als Torschütze hervortun können. Seine relative Erfolglosigkeit war eines der wenigen kritischen Themen am Schalker Markt. "Für Franco freut's mich ganz enorm, ich habe ja immer wieder gesagt: Er hat unheimlich viel fürs Team gearbeitet, ihm war kein Weg zu weit", lobte der Trainer. Di Santo brauchte nicht zu sprechen, um sein Befinden zu erläutern, sein Lachen und Lächeln genügten. Stürmer, die Tore schießen, unterscheiden sich emotional grundlegend von Stürmern, die keine Tore schießen. Breitenreiter war deshalb froh, dass am Donnerstag auch für Klaas-Jan Huntelaar noch ein Treffer heraussprang - Grundnahrung für Geist und Seele, nach einer feinen Vorlage des jungen Leroy Sané.

Für Schalke steht am Sonntag gegen Köln das siebte Spiel binnen 22 Tagen an. "Wir wollen diese wahnsinnigen drei Wochen erfolgreich abschließen", sagt André Breitenreiter. Der Wahnsinn hat derzeit in Schalke ein anderes Aussehen als üblich.

© SZ vom 04.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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