Schalke 04:Ein Trainer, der den Unterschied macht

Schalke 04: Auf dem Sprung in die Champions League? Schalke-Trainer Domenico Tedesco.

Auf dem Sprung in die Champions League? Schalke-Trainer Domenico Tedesco.

(Foto: AFP)

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Der beste Mann auf Schalke, so viel ist klar, bleibt das Maskottchen Erwin. Keiner ballte nach dem 2:0-Sieg gegen den Hamburger SV eindrucksvoller die Siegerfaust, und mit ebenso viel Stolz und Charakter trug der knollennasige Riese den hässlichen Winterpullover aus dem aktuellen Merchandising- Angebot, für den neulich auch Guido Burgstaller Werbung gemacht hat. Unter Schalkern löste jener Werbespot Zwiespalt aus. Sie fragten sich, ob er entweder ein großes Filmkunstwerk oder ein schockierendes Beispiel für Dilettantismus darstellte. Am Sonntag jedenfalls war Burgstaller in seiner Stammrolle als Torjäger und Schwerarbeiter wesentlich überzeugender, wobei der Hahnenkampf mit Kyriakos Papadopoulos fast sehenswerter war als sein Treffer zum 2:0 eine Viertelstunde vor Schluss.

Schalkes Pressechef Thomas Spiegel hatte danach viel zu tun. Nicht mit heißen Fragen der Journalisten, sondern mit dem Verlesen der Namen der Tippspielgewinner. So viele Tipper wie niemals vorher hatten das Ergebnis vorhergesagt, und das war kein Zufall, sondern Ausdruck von Berechenbarkeit. Jahrelang war Schalke der Liga und sich selbst ein Rätsel, weil niemand wusste, ob die Mannschaft im nächsten Spiel ihr Potenzial nutzen oder verschwenden würde.

Die aktuelle Spielergeneration hingegen ist zwar deutlich weniger talentiert, macht aber ihre Arbeit so akkurat und zuverlässig, dass manche Spiele gar nicht mehr ausgetragen werden müssten, weil die Ergebnisse quasi schon vorher feststehen. Dass sich die Hamburger Verlierer später empörten, sie seien gar nicht schlechter gewesen, war auch typisch für die neuen Schalker: Sie verstehen ihre Effektivität und Spielkontrolle zu tarnen. Manche bekommen es daher, wie nun die Hamburger, gar nicht mit, dass sie (weitgehend) unter fremder Fuchtel standen.

Tedesco ist gerade sehr populär in Gelsenkirchen

Nun rangiert Schalke auf Platz zwei der Liga, drei Punkte vor dem Nachbarn Borussia Dortmund, der am nächsten Samstag der Gegner ist, und die Leute suchen nach Erklärungen. Der Erfolg der Königsblauen beruhe auf dem mangelnden Niveau der Bundesliga, sagen die einen, während die anderen glauben, dass dahinter der Trainer und sein Fußball-Großhirn stecken.

Domenico Tedesco, 32, ist derzeit sehr populär in Gelsenkirchen, Maskottchen Erwin muss achtgeben, dass ihn der Trainer nicht bald überholt. "Tedesco wird für uns von Jahr zu Jahr wertvoller", hat Vereinsoberhaupt Clemens Tönnies jetzt dem Kicker versichert, als ob er vom Heraufziehen einer langjährigen Ära wüsste. Tönnies ist als echter Schalker in glücklichen Phasen leicht entflammbar, aber es ist schon interessant, wie im Betrieb über den Trainer geredet wird. Der Torwart Ralf Fährmann zum Beispiel sagte am Sonntag, es sei nicht möglich, Tedescos Besonderheiten in ein paar Sätzen zu schildern, "darauf muss man eine umfassende Antwort geben". Schon vor ein paar Wochen hatte Fährmann seinen jungen Chef zu "einem der komplexesten Trainer, denen ich jemals begegnet bin", ernannt. Nun stellte er fest: "Er hat es im Gen, die Leute in den Bann zu ziehen."

Tedesco gelingt das, woran seine Vorgänger alle gescheitert sind

Man muss bloß auf Fährmanns Torwartspiel schauen, um den Einfluss des Trainers zu erkennen. All die Jahre hat der Schalker Schlussmann die Leute mit seinen fantastischen Reaktionen auf der Linie und seinen Vier-Augen-Duellen mit gegnerischen Stürmern begeistert. Womit er sie nicht begeistert hat, das waren die Pässe, die er zum Aufbauspiel beisteuerte. Meistens sahen sie aus wie Befreiungsschläge, was sie in Wahrheit auch waren. Noch schlimmer aber war, dass ihn seine Vorderleute trotzdem ständig anspielten. Diesem Problem hat kein Trainer entgegenwirken können, ob er Keller, Stevens, di Matteo, Breitenreiter oder Weinzierl hieß. Tedesco hat es irgendwie hinbekommen, und wenn Fährmann jetzt darüber schwärmte, "dass der Trainer in so kurzer Zeit so viele Spieler entwickelt hat", dann meint der 29-Jährige damit auch sich selbst.

Es gibt einige solcher Reform-Fälle im Schalker Team: Benjamin Stambouli, vormals als Mitläufer verrufen, ist durch seinen Umzug aus dem Mittelfeld in die Dreierkette in Ansehen und Wert gestiegen; Jewgeni Konopljanka galt als Riesenflop und ist jetzt ein sehr passabler Flügelflitzer; und aus dem undefinierten Talent Max Meyer hat Tedesco einen schneidigen Aufräumer und Strategen gemacht, indem er ihn aus dem offensiven ins defensive Mittelfeld versetzte, wo er nun vor der Abwehrlinie für Ordnung und Ballsicherheit sorgt. Meyer spielt noch nicht so gut, dass er nun gleich zum FC Barcelona wechseln müsste, aber der Einfluss seines Spiels wächst kontinuierlich. Vieles hat man dem 22-Jährigen bisher nachgesagt - Konstanz gehörte nicht dazu.

"Sehr viel Ahnung von Fußball"

Linksverteidiger Bastian Oczipka fühlt sich durch Tedesco an den Trainer erinnert, den er im Vorjahr bei Eintracht Frankfurt hatte. Auch Niko Kovac habe "diese gewisse Energie" eines jungen Mannes, sagt er, "einen Tatendrang, etwas leisten zu wollen". Tedesco habe "sehr viel Ahnung von Fußball", betont Oczipka eine Eigenschaft, die man von Absolventen des Fußball- Lehrer-Kurses erwarten darf. Aber es gehört zur speziellen Fachkompetenz dieses Diplominhabers, dass er auf Schalke die Vorzüge kultiviert, die seinem Kader innewohnen. "Gas geben, laufen, Mentalität zeigen", zählt Oczipka auf, "die Grundtugenden". Wenn jetzt alle darauf hinweisen, dass Schalkes Erfolgsserie sogar ohne den besten Spieler, Leon Goretzka, gelungen sei, dann liegt da wahrscheinlich ein Irrtum vor. So gut Goretzka ist: Der wichtigste Mann ist zurzeit der Abwehrchef Naldo. Er garantiert Schalkes Null, die so stabil steht wie einst in Huub Stevens' Zeiten.

Tedesco hält sich aus solchen Wertungen natürlich raus. Erst recht, wenn es um seine eigenen Verdienste geht. "Die Spieler ziehen gut mit", sagt er, "die Jungs sind das Wichtigste, nicht der Trainer."

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