Schachtjor Donezk in der Champions League:Klub aller Ukrainer - für eine Nacht

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Stark gegen die Bayern: der Brasilianer Taison. (Foto: dpa)

Ausdruck eines besonderen Nationalgefühls: Die Ukraine ist im Krieg, doch das gute Spiel gegen den FC Bayern lässt die Fans für 90 Minuten vergessen, dass Schachtjor Donezk eigentlich Russland nahe steht. Nur einmal wird es derb.

Von Jonas Beckenkamp, Lwiw

Im stickigen Gang zwischen Kabine und Stadionausgang kam es zu einem Menschenstau. Die deutschen Reporter hatten noch ein paar Fragen, hielten den Bayern-Spielern ihre Mikros unter die Nase. Das klappte trotz Gedränge halbwegs, immerhin spricht man die gleiche Sprache. Die ukrainischen Journalisten hatten es schwerer. Bei Schachtjor Donezk spielen fast nur Brasilianer - und die Adrianos, Taisons und Freds, die da vorbeischlenderten, wirkten nicht so, als seien sie des Ukrainischen mächtig.

Ein wenig skurril war das schon, aber es passte zu diesem Abend. Schachtjor Donezk bestritt ein Auswärtsspiel im eigenen Land. Einem Land, das sich im Krieg befindet, in dem der Klub keine richtige Heimat mehr hat. Das Publikum im vollen Lwiwer Stadion hat diesmal auf Unmutsbekundungen gegen den russlandnahen Verein aus dem Osten verzichtet. Stattdessen sind offenbar viele Fans aus der Krisenregion angereist. Die politische Lage in der Ukraine gestaltet sich nach den erneuten Gefechten um Debalzewe immer drastischer - aber die 90 Minuten gegen den FC Bayern sollten identitätsstiftend wirken.

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In die Choreografie vor Anpfiff mischten sich zwischen die Schachtjor-Farben auf den Rängen zahlreiche ukrainische Flaggen. Gelb-blau, orange-schwarz, ein bunter Mix, aber eine einige Besucherschaft. Als Manuel Neuer nach zehn Sekunden den ersten Rückpass weiterleitete, plärrte hinter ihm die ganze Kurve "Ukra-i-na, Ukra-i-na". Die Bühne war einfach zu groß, das Nationalgefühl musste Kanäle finden. Später sangen Teile des Publikums die ukrainische Nationalhymne. Es waren dezente, fast schon konzentriert formulierte Verweise auf das aktuelle Geschehen - aber kein offener Hass.

"Wir waren hier zum Fußballspielen"

Schachtjor war für diese eine eiskalte Nacht der Klub aller Ukrainer. Eine Besonderheit, der Rahmen machte es möglich. Nur einmal wurde es derb: Als die Kurve eine Art "Wer nicht hüpft, der ist ein Russe" anstimmte - und viele der 40.000 Fans zu Sprungmännchen mutierten.

Dass über dem Geschehen auf dem Platz eine politische Schwere schwebte, blendeten die Bayern offenbar aus. Er habe "davon nichts mitbekommen", sagte Torwart Neuer. Auch Bastian Schweinsteiger wollte nichts mitgekriegt haben. "Wir waren hier zum Fußballspielen, alles andere können wir nicht beeinflussen."

So ging es dann auch hinterher größtenteils um Sport. Mircea Lucescu, der rumänische Trainer der Donezker, berichtete bestens gelaunt von einer "sehr guten Stimmung im Stadion" und einem "guten Spiel" seiner Elf. Die Mannschaft habe "es geschafft, die Angriffe der Bayern abzuwehren" - das trifft durchaus zu. Dass Schachtjor so gut wie gar nicht selbst initiativ wurde, vergaß der Coach lieber schnell. Das 0:0 ist für Schachtjor ein durchaus brauchbares Ergebnis, schließlich reicht im Rückspiel schon ein 1:1 zum Weiterkommen.

Am Ende gab es trotz aller Biestigkeiten auf dem Platz sogar Komplimente von Pep Guardiola. "Meine Meinung über Schachtjor ist auch nach heute die gleiche: Super Trainer, super Mannschaft", sagte der Bayern-Trainer. Da hörten auch die ukrainischen Reporter aufmerksam zu. Sie hatten ja sonst kaum Gesprächspartner.

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