Schach-WM:Putin auf dem T-Shirt

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Meist unscheinbar, aber ungemein nett wirkend: Sergej Karjakin kämpft um die Schach-WM - und spielt dabei auch auf politischen Feldern. (Foto: Oleg Nikishin/Getty)
  • Sergej Karjakin gilt im WM-Kampf gegen Schachweltmeister Magnus Carlsen als Außenseiter.
  • Aber auch er hat erstaunliche Fähigkeiten - und steht für eine Rückkehr des Politischen.
  • Den Liveticker zur ersten Partie finden Sie hier.

Von Johannes Aumüller

Einmal ist Sergej Karjakin ausgebrochen aus den üblichen Mühen einer WM-Vorbereitung. Schon vor ein paar Wochen hat sich der Russe mit seinem Betreuerstab sowie seinen Sekundanten nach Miami zurückgezogen und die Öffentlichkeit weitgehend gemieden. An einem Tag ging er dort tatsächlich in die Halle, um sich ein Basketballspiel des örtlichen NBA-Teams anzuschauen. Aber ansonsten "arbeiten wir 25 Stunden täglich", sagte Karjakin der SZ kurz vor dem Kampf.

An diesem Freitag beginnt in New York die Schach-WM, es ist ein ungewöhnliches Duell. Da der Norweger Magnus Carlsen, 25, längst mehr als nur Schachspieler, auch Popstar, Model und Marke; dort der meist unscheinbar, aber ungemein nett wirkende Sergej Karjakin, 26, der schon eher das Klischee eines Schachspielers erfüllt. Dass zwei Mittzwanziger um den Titel streiten, gab es noch nie in fast 130 Jahren Schach-WM-Geschichte. Und daneben birgt der Zweikampf auch eine Rückkehr des Politischen.

Mit zwölf stieg Karjakin zum jüngsten Großmeister der Geschichte auf

Der Schachsport hatte oft eine politische Komponente. Das WM-Duell zwischen Bobby Fischer und Boris Spasski 1972 geriet mitten im Kalten Krieg zum Kampf der Systeme auf dem Brett. Später hing den Duellen zwischen Anatoli Karpow und Garri Kasparow stets das Label an, da messe sich ein Günstling des sowjetischen Polit-Establishments mit einem rebellischen Kopf. Zuletzt galten die WM-Titelkämpfe als eher unpolitisch, aber nun sind da dieser Sergej Karjakin und seine ungewöhnliche Biografie.

Karjakin kam in Simferopol auf die Welt, der Hauptstadt der Krim, und als Mitglied des ukrainischen Schach-Nachwuchses startete er seine steile Karriere: Mit gerade mal elf war er schon Sekundant des damaligen WM-Anwärters Ruslan Ponomarjow, mit zwölf stieg er zum jüngsten Großmeister der Geschichte auf - Carlsen war sieben Monate älter, als er den Titel erhielt. Aber danach gab es, so stellt es Karjakin dar, kaum noch Förderung und keine gescheiten Trainer, und so wechselte er mit 19 den Verband. In Russland erhielt er eine Wohnung in der Moskauer City geschenkt, die er wegen der besseren Luft gegen ein Landhaus eintauschte; auch ansonsten sei die Unterstützung besser gewesen.

So weit ließe sich die Geschichte noch als das übliche Bemühen eines großen Schachtalentes um die besten Rahmenbedingungen werten. Doch dann kamen das Jahr 2014 sowie die völkerrechtswidrige Annektierung der Halbinsel Krim durch Russland, und Karjakin stellte ein Foto in die sozialen Netzwerke. Im Hintergrund thront das Schwalbennest, eine der touristischen Attraktionen der Krim, unten steht Karjakin mit gestrecktem Daumen, und dabei trägt er ein T-Shirt mit einem Foto von Russlands Staatspräsident Wladimir Putin und der sinngemäßen Zeile: Wir lassen die Unsrigen nicht im Stich.

Es sollte ein Glückwunschgruß für eine Jugendfreundin sein, die just an diesem Tag die russische Staatsbürgerschaft bekommen habe. Aber auch später, nach seinem Sieg im Kandidatenturnier im Frühjahr 2016 und der Qualifikation für den WM-Kampf gegen Carlsen, gab sich Karjakin als Unterstützer Putins und dessen Vorgehen auf der Krim. Aktuell teilt er zu diesem Thema der SZ mit: "Ich bin vor allem Sportler, ich will nicht viel über Politik reden. Und zu Putin kann ich sagen, dass ich ihn wertschätze."

Die Bedeutung des WM-Kampfes in Russland ist immens, dort mischt sich der Anspruch alter Schachtradition mit dem modernen Ansatz, den Sport als Mittel der Machtdemonstration zu sehen. Zum letzten Mal war 2007 ein Russe Weltmeister (Wladimir Kramnik). Neun Jahre ohne WM-Titel, das hat es in Russland seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben, und das soll sich nun ändern.

Karjakins Trainingslager in Miami zahlte Andrej Filatow, Chef des russischen Schachverbandes und Kreml-naher Milliardär, der sein Geld im Infrastruktursektor verdient hat. Die Finanzierung des Kampfes wiederum obliegt vor allem Andrej Gurjew, Generaldirektor des Düngemittelherstellers Phosagro. Karjakin selbst stellte kürzlich begeistert fest, dass sich Putin vermehrt für den Schachsport interessiere.

Aber ob der Mann aus Simferopol die russischen Hoffnungen auch erfüllen kann? Er ist ob Carlsens seit Jahren dokumentierter Spielstärke zweifelsohne der Außenseiter, andererseits verfügt er über einige beachtliche Fähigkeiten, die all jene zu unterschätzen scheinen, die mit einem deutlichen Sieg des Norwegers rechnen. Karjakin ist bekannt für seine gute und zähe Verteidigung; nicht zuletzt beim Kandidatenturnier zeigte er, dass er in schwierigen Situationen kaum einen Fehler macht - und einen einmal errungenen Vorsprung nicht mehr hergibt. An die Physis des Sportallrounders Carlsen mag er nicht heranreichen, aber er steht diesbezüglich auch nicht so weit zurück wie etwa dessen letztmaliger Kontrahent Viswanathan Anand.

Er wolle jetzt "200 Prozent" hineinlegen, um Carlsen zu besiegen, sagt Karjakin. Und vielleicht hegt er dabei auch die Hoffnung, dass der Norweger ob all seiner Aktivitäten und Auftritte abseits des schachlichen Kernthemas ein wenig abgelenkt war - während er selbst nur einmal bei Miamis Basketballern vorbeischaute.

© SZ vom 11.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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