Schach-WM in Sotschi:Chamäleon trifft auf Mozart

Schach-WM in Sotschi: Das Chamäleon und der Mozart des Schachbretts: Viswanathan Anand (links) und Magnus Carlsen (rechts) kämpfen wieder um den WM-Titel.

Das Chamäleon und der Mozart des Schachbretts: Viswanathan Anand (links) und Magnus Carlsen (rechts) kämpfen wieder um den WM-Titel.

(Foto: AFP)

In Sotschi beginnt die Revanche zwischen dem Norweger Magnus Carlsen und dem Inder Viswanathan Anand um den WM-Titel im Schach. Rechtzeitig vor dem großen Duell der aktuellen Schach-Generation hat der Titelverteidiger seinen Spaß wiederentdeckt.

Von Johannes Aumüller und Martin Breutigam

Große Schach-Duelle waren oft auch Politik. Der WM-Kampf Fischer gegen Spasskij 1972 war die Fortsetzung des West-Ost-Konfliktes als "Krieg auf dem Brett". Das Duell Karpow versus Kortschnoi 1978 lief unter "Kreml-Günstling gegen Dissident", die Dauer-Fehde Karpow gegen Kasparow unter "Kreml-Günstling gegen Oppositioneller".

Große Schach-Duelle waren oft auch Irrsinn. Wilhelm Steinitz, der erste Weltmeister, landete in einer Nervenheilanstalt und wollte gegen Gott spielen. Der große Theoretiker Aaron Nimzowitsch soll neben dem Brett einen Kopfstand gemacht haben. Bobby Fischer attestierten Wissenschaftler eine Geisteskrankheit.

Und große Schach-Duelle waren oft auch Flegeleien. "Ihnen habe ich nur drei Worte zu sagen: Schach und Matt!", zischte Tarrasch zu seinem deutschen Landsmann Lasker. Aljechin und Capablanca, die WM-Protagonisten anno 1927, wechselten später kein Wort mehr miteinander. Kasparow machte nach vermeintlich schwachen Zügen des Gegners Grimassen.

An diesem Wochenende beginnt in Sotschi das große Duell der aktuellen Schach-Generation. Magnus Carlsen versus Viswanathan Anand, Teil II. 2013 kämpften sie schon mal um den WM-Titel, Carlsen deklassierte den Kontrahenten. Jetzt steht die Revanche an. Und dieses Duell unterscheidet sich von vielen anderen großen Schach-Kämpfen der Geschichte: Politisch interessant ist nur der Austragungsort, kein Kandidat.

Niemand wird gegen Gott spielen wollen - und sie werden sich auch artig die Hand reichen. Der Norweger Carlsen, 23, gegen den Inder Anand, 44, das soll und das dürfte vor allem ein ungemein hochklassiges Match werden. Doch es ist ein Duell, dessen Protagonisten unterschiedlicher kaum sein könnten.

Die Biografien

Carlsen war schon als kleines Kind sehr aufgeweckt, legte schwierige Puzzles und konnte sich vieles merken - doch als er mit fünf von seinem Vater erstmals die Schachregeln erklärt bekam, hatte er kein Interesse. Der Vater ließ es gut sein, antiautoritäre Erziehung lautete das Credo. Doch mit acht fand der kleine Magnus von alleine Gefallen. Dass er in wenigen Zügen gegen die ältere Schwester verlor, blieb nur eine Episode.

Fast aus dem Nichts begann ein erstaunlicher Aufstieg: Sehr viel brachte Magnus sich selbst bei, manches der Vater, und bald trainierte ihn Simen Agdestein, Norwegens spielstärkster Großmeister. Mit 13 war Carlsen Großmeister, mit 17 gewann er sein erstes bedeutendes Turnier, mit 19 übernahm er den ersten Platz der Weltrangliste, mit nicht einmal 23 holte er den WM-Titel. Niemand hat jemals eine so hohe Wertungszahl erreicht wie er.

Die Typen, die Spieler

Anand lernte mit sechs die Schachregeln von der Mutter. Eigentlich ist Anand sein Vorname, aber er hat sich damit abgefunden, dass es sein Medien-Nachname geworden ist, als Folge einer konsequenten jahrzehntelangen Verwechslung. Er verlebte eine wohlbehütete Kindheit in einer gut situierten Familie aus der privilegierten Brahmanen-Kaste, er brauchte für nichts schwer zu kämpfen, und auch am Brett sollte ihm bald alles verblüffend leichtfallen.

Der kleine Anand war anders als der kleine Magnus sofort fasziniert von dem Spiel. Als er acht war, zog sein Vater aus beruflichen Gründen auf die Philippinen. Hier erlebte Anand den Kampf Karpow vs. Kortschnoi aus der Nähe - und Schach wurde endgültig seine Leidenschaft. Er war ein Autodidakt, ausgestattet mit einer außergewöhnlichen Gabe und ein paar Schachbüchern. Mit 18 wurde er Indiens erster Großmeister, mit 37 holte er den WM-Titel, den er sechs Jahre lang behielt.

Die Typen

Popstar, das ist ein Wort, das Carlsen oft über sich lesen muss. Aber ist er das wirklich? Es gibt keine Skandale, keine Affären, Carlsen ist eher medienscheu und gibt wenig von sich preis. Aber er hat Schach populär gemacht. Weil er so ganz anders ist als der übliche Spieler. Er schafft es unter die 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Time-Rankings ebenso wie in die Liste der attraktivsten Männer, die das Frauenmagazin Cosmopolitan wählte, er hat eine Reihe Sponsoren, Fanklubs, und er betreibt so viel Sport wie kaum ein anderer, Fußball, Tennis, Ski.

Carlsen will nicht jedem gefallen, sondern Erfolg haben - und vor allem Spaß. Wenn er sagt, Schach sei "ein Spaßspiel", nimmt man es ihm ab. Und wenn er keine Lust hat auf ein Interview oder ein Turnier, dann macht er eben nicht mit: Schon 2011 wäre er ein WM-Kandidat gewesen; er sagte aber ab, weil ihm der Modus nicht gefiel.

Anand ist ein völlig anderer Typ. Kein Popstar, sondern eher ein typischer, biederer Vertreter des Schachs. Man hat ihn nie in der Top-100-Liste eines Frauenmagazins und nicht mal beim Fußballspielen gesehen, er geht allenfalls ins Fitnessstudio. Er ist ein höflicher Mensch mit guten Manieren, der nirgends anecken möchte. Anand spricht mehrere Sprachen, hört neben indischer Musik auch gerne Rammstein und Coldplay, ist Monthy-Python-Fan. Dass Schach in Indien boomt und ein Schulfach geworden ist, hat sicher mit ihm und seinen Erfolgen zu tun.

Die Spieler

Carlsen war 13, da bezeichnete ihn Großmeister Lubomir Kavalek als "Mozart des Schachs". Dieser Spitzname hat sich gehalten, und das Wunderkindhafte, das ihn umgab, mag es erklären. Aber das Etikett passt nicht ganz. Carlsens Partien versprühen keine Leichtigkeit. Klar, er zeigt auf seinem Gebiet oft Geniales, er ist aber auch eine Kampfmaschine, ein robuster Duellant, er ist: ein Spieler.

Seine großen Momente hat er nicht in den ausgetretenen Pfaden der Eröffnungen, in denen es die dritte Untervariante zu wissen gilt, sondern in fortgeschrittenen Stadien der Partien. Wenn die Rechner nur noch minimale Unterschiede feststellen, wenn Partien scheinbar klar remis sind, tüftelt Carlsen immer noch und findet Züge, die sonst niemand sieht. Er kann auch mal auf der Stelle treten, Züge finden, mit denen sich scheinbar nichts verändert, aber die ihn doch voranbringen. Sein Mentor war Kasparow, aber sein Stil ähnelt eher Karpow.

Die Vorbereitung, das Match

Anand hat sich oft gewandelt. Nicht zuletzt deshalb zählt er schon seit einem Vierteljahrhundert zur Weltspitze. Zu Beginn seiner Karriere brauchte er für seine Partien oft nur 15 Minuten Bedenkzeit, er nutzte die zwei, drei Stunden nicht annähernd aus. Meist sah er den richtigen Zug sofort und zog ihn a tempo, Spitzname: "Lightning Kid". Das setzte die Gegner unter Druck und klappte häufig gut, aber nicht immer.

Anfang der 1990er begann er, sich mehr Zeit zu nehmen. Und er ist immer noch enorm lern- und anpassungsfähig, hält mühelos mit den neusten Entwicklungen mit. Von jeher gilt Anand als ein brillanter Taktiker mit scharfem Blick auch für versteckte Kombinationen. Anders als bei vielen früheren Weltmeistern fällt es aber schwer, bei ihm klare stilistische Konturen auszumachen. Anand pflegt einen universellen, chamäleonartigen Stil.

Die Vorbereitung

Seit seinem WM-Sieg im Vorjahr erging es Carlsen so, wie es schon manch anderem Weltmeister ergangen war: Er ließ etwas nach. Manche machten ein Motivationsproblem aus, bei der Schach-Olympiade im August verlor er sogar zwei Spiele gegen deutlich schwächer eingestufte Konkurrenten.

Viel Zeit zur Vorbereitung blieb nicht. Dennoch dürften Peter Heine Nielsen und andere Sekundanten für ihren Chef wieder neue Eröffnungswege ausgearbeitet haben. Carlsen sagt, er habe vor Sotschi viele ältere Partien studiert: "Was frühere Weltmeister so gemacht haben."

Anand bereitete sich wie immer in Bad Soden vor, wo er einen Zweitwohnsitz hat. Seit der Niederlage gegen Carlsen wirkt sein Spiel wieder frischer und inspirierter. Im Frühjahr setzte er sich etwas überraschend beim Kandidatenturnier durch, im September gewann er das Grand-Slam-Finale in Bilbao. Und er hat dabei den Spaß wiederentdeckt: "Ich spiele immer noch, als wäre ich sechs", sagte er in einem Interview kurz vor dem Start.

Das Match

Es hat ein bisschen gedauert, bis der Rückkampf perfekt war. Carlsen passte der Austragungsort nicht so recht, ebenso der finanzielle Rahmen. Seine Bitte, den Kampf zu verlegen, lehnte der Weltschachbund ab. Dennoch setzte Carlsen schließlich seine Unterschrift unter den Vertrag. Über die Höhe des Preisgeldes gibt es noch keine offiziellen Angaben. Zunächst werden zwölf klassische Partien über bis zu sieben Stunden gespielt. Sollte es danach 6:6 unentschieden stehen, fiele am 27. November in Tiebreak-Partien mit verkürzter Bedenkzeit die Entscheidung.

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