Schach:Wenn der Daumen im Mundwinkel wackelt

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Wird beim Schach falsch gespielt? Beobachtungen um den Weltranglisten-Ersten Wesselin Topalow

Martin Breutigam

Seit über einem Jahr halten sich Gerüchte, der Bulgare Wesselin Topalow sei bei der WM 2005 in San Luis/Argentinien womöglich mit unerlaubten Mitteln Schachweltmeister geworden. Sein Manager Silvio Danailow könnte ihm mit heimlicher Zeichengabe computergeprüfte Züge übermittelt haben, lautet der unter anderem von WM-Teilnehmern, die nicht zitiert werden wollten, geäußerte Verdacht.

Bloß eine Verschwörungstheorie von schlechten Verlierern? Oder erhält der 31-jährige, inzwischen wieder entthronte Weltmeister während mancher Partien tatsächlich unbemerkt Tipps? Und falls ja, wie?

Beim an diesem Sonntag zu Ende gehenden Turnier in Wijk aan Zee/Niederlande haben Topalow und Danailow mit ihrem Verhalten neue Spekulationen genährt: Wer die beiden während der Runden zwei und drei beobachtete, konnte durchaus den Eindruck bekommen, dass eine nonverbale Kommunikation zwischen ihnen stattfand - nur von jenen bemerkt, die genauer hinschauten in der mit vielen hundert Menschen gefüllten "De Moriaan"-Halle, wo Weltklasse- und Hobbyspieler in verschiedenen Turnieren unter einem Dach spielten.

Der Manager geht telefonieren

In der zweiten Runde führte Topalow gegen den sechsmaligen niederländischen Meister Loek van Wely die weißen Steine. Er rochierte lang, van Wely kurz. Bis zur Mittelspielphase verlief die Partie ohne Besonderheiten. Dies änderte sich, als Manager Danailow die Halle betrat.

In der folgenden Stunde wiederholte sich ein seltsames Ritual: Sobald van Wely einen Zug ausführte, eilte Danailow aus der Halle und holte sein Handy aus dem Jackett. Wollte er vielleicht bloß Geburtstagsgrüße loswerden? Börsenkurse abfragen? Er könnte aber auch alle paar Minuten mit jemandem telefoniert haben, der die Partie irgendwo auf der Welt live übers Internet verfolgte.

Wie dem auch sei, Danailow betrat nach kurzer Zeit wieder die Halle, strebte immer in dieselbe Ecke des Zuschauerbereichs und zog sich - obwohl bislang nicht als Brillenträger in Erscheinung getreten - eine Brille auf. Topalow saß links aus Sicht der Zuschauer, Danailow stand rechts hinter einer Absperrung in der Anonymität der Masse, etwa 15 Meter von Topalow entfernt.

Zwar sah er von dort nichts vom Spiel, auch nicht den Monitor, der die Figurenstellung zeigte; allerdings ließ sich von der Ecke aus ein direkter Blickkontakt herstellen, ohne dass Topalow seinen Kopf drehen musste. Der schaute auch auf, wenn er am Zug war; und sobald er Danailow in der Ecke erkannte, stellte er zumeist seine Ellenbogen auf den Tisch und faltete die Hände vor der Stirn.

In dieser Denkerpose sah es so aus, als habe er seine Augen aufs Brett gerichtet, doch er hätte zwischen den Fingern hindurch auch zu Danailow blinzeln können, der mitunter seltsame Bewegungen vollführte.

Im 26.Zug beispielsweise biss er auf seinen Daumen und wackelte damit am rechten Mundwinkel hin und her; anschließend schlug Topalow mit seinem Läufer einen Springer auf dem Feld c5. Meistens nahm Danailow die Brille gleich wieder ab und verschwand aus der Ecke. Das Ritual wiederholte sich, sobald van Wely gezogen hatte:

Danailow eilte hinaus, telefonierte, kam meistens schon nach ein bis drei Minuten wieder herein, ging in besagte Ecke, setzte die Brille auf. Und während Topalow die Denkerpose einnahm, kratzte sich sein Manager drei- bis sechsmal hinter dem Ohr, tippte mit dem Zeigefinger an die Brille oder vollführte andere merkwürdig anmutende Bewegungen.

Im 31. Zug steckte wieder der Daumen im Mund - und Topalow schlug mit dem Turm einen Bauern auf d3. Nach 35 Zügen gab van Wely in hoffnungsloser Lage auf. Später zeigte sich, dass alle Züge, die Topalow in der entscheidenden Phase ausgeführt hatte, auch die Favoritenzüge von üblichen Computerprogrammen sind. "Während der Partie hatte ich überhaupt nicht das Gefühl, dass irgendetwas faul ist, aber es wurde mir auch gesagt, dass sich der Danailow sehr verdächtig benimmt", sagte van Wely.

Auch der Oberschiedsrichter hatte nichts Verdächtiges bemerkt, kündigte aber an, im nächsten Spiel von Topalow auf auffälliges Verhalten zu achten. Am nächsten Tag - in der Partie gegen den Russen Sergej Karjakin - saß Topalow weiter rechts im Spielerareal. Ab dem 20. Zug war es wieder soweit: Danailow marschierte. Bloß diesmal ging er in die gegenüberliegende, linke Ecke. Von hier aus konnte er wiederum nicht das Spiel verfolgen, aber zu Topalow Blickkontakt aufnehmen. Dessen Stellung sah zu diesem Zeitpunkt bereits bedenklich aus; Karjakin besaß Vorteil.

Mit genauen Zügen zum Remis

Im 23. Zug, als Danailow mit Brille dastand, stellte sich plötzlich der Schiedsrichter direkt ins Blickfeld und schaute den Manager prüfend an. Auch im 26. Zug wurde das Ritual für einen Moment unterbrochen, als jemand Danailow um ein spontanes Fernseh-Interview bat. Beide verließen die Halle.

Als Danailow wiederkam, hatte Topalow schon zwei Züge ausgeführt. Danach folgte wieder das bekannte Spiel: Danailow lief raus, kam wieder, ging in die Ecke, Brille auf, Brille ab und so weiter. Bei fast jedem Zug, insgesamt über zwanzig Mal. Schließlich erreichte Topalow nach einer Serie genauer Züge noch ein Remis. Kurz vor der Zeitkontrolle (jeder Spieler hat bis zum 40. Zug zwei Stunden Bedenkzeit) war es hektisch geworden.

"Ich konnte es nicht glauben, Danailow ist im Sturmschritt hereinmarschiert, an den Ort, wo er Topalow sehen konnte, und hat die Leute an der Stelle fast weggeschubst. Es ging auch um Geschwindigkeit", sagte einer der Zuschauer, die das Treiben über zwei Stunden lang beobachtet hatten.

Weder Danailow noch Topalow waren in der vergangenen Woche trotz wiederholter Anfrage für eine Stellungnahme zu erreichen. War es nur ein Zufall, wenn der Daumen im Mund wackelte, oder Teil einer heimlichen Kommunikation?

Die wäre in der folgenden Runde durch die Sitzordnung erschwert gewesen, denn in der vierten Partie saß Topalow nahe an der Hallenwand, mit Blickrichtung zur selbigen: Und er gewann gegen Großmeister Alexej Schirow. Danailow ließ sich an diesem Tag kaum in der Halle blicken. Auch an den folgenden Tagen wiederholte sich das Ritual der Runden zwei und drei nicht.

Die Organisatoren erwägen, im kommenden Jahr erstmals gründliche Kontrollen einzuführen, unter anderem mit Metall-Detektoren. Hintergrund: In der jüngsten Vergangenheit waren in Indien und den USA schwächere Spieler bei Betrügereien mittels Funksignalen erwischt worden. Die Empfänger waren am Körper oder unter einem Käppi der Schachspieler versteckt. Diesmal sei in Wijk aan Zee für die Anschaffung zuverlässiger Detektoren zu wenig Zeit gewesen, hieß es.

(SZ vom 27. Januar 2007)

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