Schach:Bohemien und Pokerspieler

Blitzschach-WM

Es kann ihm nicht schnell genug gehen: Der russische Schachgroßmeister Alexander Grischuk holte in Berlin den Titel des Blitz-Weltmeisters.

(Foto: Gregor Fischer/dpa)

Der Russe Alexander Grischuk holt sich dank einer enormen Leistungssteigerung in Berlin zum dritten Mal den Weltmeister-Titel im Blitzschach. Danach lobt er den Konkurrenten Carlsen.

Von Martin Breutigam

Fünf Tage nacheinander trafen sich Alexander Grischuk und Wladimir Kramnik draußen an der Straße Alt-Moabit, bei Straßenlärm und kaltem Wind. Während andere Großmeister in den Spielpausen der Schnell- und Blitzschach-WM lieber oben in der Berliner Bolle-Meierei zur Spieler-Lounge schlenderten, um sich dort in Ledersesseln mit Bananen, Nüssen und Kaffee auf die nächste Partie einzustimmen, sah man Grischuk und Kramnik, die beiden groß gewachsenen Russen, häufig unten, rauchend ins Gespräch vertieft.

Am Mittwochabend, vor der 21. und letzten Runde der Blitz-WM, waren die Freunde plötzlich Konkurrenten: Sie führten die Tabelle an. Hätte Kramnik seine letzte Partie gewonnen (gegen Wassili Iwantschuk), wäre ihm das Gold umgehängt worden, dank besserer Feinwertung; er kam aber nur zu einem Remis. Grischuk hingegen bezwang Boris Gelfand, damit war der 32 Jahre alte Moskowiter Blitz-Weltmeister.

Es ist nach 2006 und 2012 bereits sein dritter Blitztitel. "Dieser war der schwierigste", sagt Grischuk. Die ersten beiden habe er in kleineren Rundenturnieren gewonnen, doch in Berlin waren mehr als 160 Großmeister am Start, darunter fast die komplette Weltelite. Sie spielten im zweiten Stock in einem hohen, neu gestalteten Festsaal mit terrakottafarbigen Backsteinwänden. Da war das urbane Industrie-Ambiente des frühen 20. Jahrhunderts zu spüren, ein in kreativer Hinsicht idealer Spielort. Gedämpfte Akustik, angenehmes Licht, gute Luft.

Dennoch hatte es für Grischuk, den Bohemien mit Fünf-Tage-Bart, im Schnellschach nur zu Platz 32 gereicht. Auch im Blitzen kam er zunächst nicht in Schwung. Seinen Formanstieg am zweiten Blitz-Tag erklärte er mit einer neuen Einstellung: "Ich habe mich konzentriert, mit niemandem mehr geredet." Bei nur drei Minuten Bedenkzeit für die gesamte Partie (plus zwei Sekunden Aufschlag pro Zug) spielen neben Können auch Glück und vor allem Nervenstärke eine größere Rolle als sonst.

Laut Magnus Carlsen, Nummer eins der Welt, waren es "fünf spannende Tage mit hohem Stress-Level". Der Stress spiegelte sich in den Führungswechseln: Zunächst lief für Carlsen, der an den ersten drei Tagen seinen Titel als Schnellschach-Weltmeister überzeugend verteidigt hatte, auch beim Blitzen alles nach Plan. Mit neun Punkten aus zehn Runden schien er der Konkurrenz wieder davonzuziehen, bevor er in der elften Runde gegen den Weltcup-Sieger Sergej Karjakin verlor. Nach fünf weiteren sieglosen Partien am Mittwochnachmittag fiel der 25 Jahre alte Norweger zurück. Am Ende wurde er Neunter.

Auch der lange führende Franzose Maxime Vachier-Lagrave zeigte Nerven, so dass zwei Runden vor Schluss plötzlich ein kaum bekannter Ukrainer an der Spitze lag: Großmeister Juri Wowk, 113. der Setzliste. In der vorletzten Runde gelang es Wowk jedoch nicht, die Eröffnungsprobleme zu lösen, die ihm Kramnik gestellt hatte. Und weil zugleich Grischuk gewann, führten vor der Schlussrunde die beiden Russen gleichauf.

Seine Nervenstärke macht Grischuk, der auch ein guter Pokerspieler ist, nicht nur zu einem außergewöhnlichen Blitzspieler; im klassischen Schach mit langer Bedenkzeit gehört er ebenfalls seit vielen Jahren zur Weltspitze. Doch im Vergleich zum ehemaligen Weltmeister Kramnik bleibt er medial lieber im Schatten. Grischuk, verheiratet mit der ukrainischen Großmeisterin Natalja Schuhkowa, vermittelt gern den Eindruck, es sei nicht groß von Bedeutung, was er sagt und denkt. Durchaus typisch, dass er in seinem Schlusswort nicht die eigene Leistung hervorhob, sondern die von Magnus Carlsen. Wie dieser nach dem Doppelsieg 2014 den Schnellschach-Titel in Berlin verteidigte, hatte Grischuk beeindruckt: "Solche Turniere dreimal in Serie gewonnen zu haben, ist aus meiner Sicht eine der größten Leistungen in der Schachgeschichte."

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