SC Freiburg:Zwischen Bächle und Glasgow

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Euro-Skeptiker: SC-Trainer Christian Streich. (Foto: Simon Hofmann/Bongarts/Getty Images)

Meister der Effizienz und mit niedrigem Etat auf dem Weg in die Europa League: Der SC Freiburg verblüfft wieder einmal die Liga.

Von Christoph Ruf, Freiburg

Ein paar Minuten vor Anpfiff wird auch am Sonntag ein Lied aus den Boxen kommen, in dem "Bächle, Münschder" und "Taaaannen" besungen werden - die langen Vokale sind normal, schließlich wird der Vorname Jan in Freiburg auch wie Turnvater Jahn ausgesprochen. Danach folgt das "Badner-Lied", in dem noch "schöne Mädchen", "Wein" und "Gottes Hand" dazu gerührt werden. Im Vergleich zur Vehemenz, mit der in Freiburg provinzielle Klischees besungen werden, wirkt Lotto King Karls "Hamburch, meine Perle" beim HSV fast leidenschaftslos.

Dabei geht es am Sonntag nicht um die Stadtmeisterschaft, sondern darum, ob der SC Freiburg in der nächsten Saison dort spielt, wohin es Wolfsburg und Leverkusen garantiert nicht mehr schaffen werden: in der Europa League. Sollte gegen Schalke und danach erneut zu Hause gegen Ingolstadt gewonnen werden, könnte sich der SC sogar eine Niederlage bei den Meisterfeierlichkeiten der Bayern am letzten Spieltag in München leisten - und wäre wohl trotzdem international dabei.

Er würde "am liebsten nächste Saison nach Glasgow reisen und gegen Celtic spielen", sagte Trainer Christian Streich am Freitag - aber nur unter der Bedingung, dass trotz dieser Doppelbelastung der Bundesliga-Klassenerhalt in der kommenden Saison garantiert sei. Streich sagt das aus gutem Grund: 2013/14 nahm Freiburg schon mal an der Europa League teilt. Der SC schied schnell aus - und stieg im Jahr darauf aus der Bundesliga ab.

Aber selbst wenn die Qualifikation nicht gelingt, hätte der Sportclub eine fantastische Saison gespielt - und zweifelsohne das beste Verhältnis von Aufwand und Ertrag in der Bundesliga. Denn vor den Schlusslichtern Ingolstadt und Darmstadt verfügt Aufsteiger Freiburg über den drittkleinsten Etat. Wer damit vor Kalibern wie Gladbach, Leverkusen, Schalke oder Wolfsburg liegt, darf sich Effizienz-Meister nennen - eine Feststellung, die auch für die Art und Weise gilt, wie der SC 44 Punkte zusammengeklaubt hat.

Elf der 13 Saisonsiege kamen mit nur einem Tor Unterschied zustande, die Niederlagen fallen dagegen meist recht deftig aus. Allein fünf Mal verlor Freiburg 0:3. So erklärt sich die für einen Tabellensiebten fast groteske Tordifferenz von minus 17.

"Wenn wir verlieren, gibt's immer ordentlich Gegentore", sagte Streich zuletzt nach dem niederschmetternden 0:3 in Darmstadt. Für den Coach, der in der Kabine laut geworden sein soll, war dies ein Beweis für seine These, wonach sein Team noch nicht gefestigt genug für das obere Tabellendrittel sei. Dieses Gefühl und vielleicht auch die Sorge, dass eine tolle Saison nicht genug gewürdigt wird, falls Freiburg Siebter oder Achter wird, machen Streich zum Euro-Skeptiker: "Dass hier gerade alle im Umfeld von Europa reden ...", hat er nach dem Darmstadt-Spiel mit hochgezogenen Augenbrauen gesagt. Den Satz vollendet hat er nicht.

Oder doch? "Wir haben 44 Punkte geholt, in dieser Saison ist richtig viel gut gelaufen für uns", hat Streich betont.

Auch Stürmer Nils Petersen klang skeptisch: "So etwas darf uns als Aufsteiger nicht passieren, weil wir eigentlich eine Mannschaft sind, die weiß, dass sie ans Limit gehen muss, um die Punkte einzufahren." Eine Frage des Willens also? Oder eher der Physis? Freiburg läuft schließlich in fast jedem Spiel mehr als der Gegner. Wenn jetzt auf der Zielgeraden die Luft ausgeht, gäbe es dafür wohl Gründe.

Streich und Sportdirektor Jochen Saier haben auch den Abstieg 2015 nicht vergessen. Und doch kommentieren sie die Chance auf den internationalen Wettbewerb im Mai 2017 in Nuancen unterschiedlich. Während Saier betont, der SC sei "ein Verein mit Ambitionen", merkte man Streich bisher an, dass ihm die Europa-Diskussionen nicht willkommen sind. Wenn man den Trainer richtig verstand zuletzt, dann traut er dem Team den ganz großen Wurf offenbar nicht uneingeschränkt zu.

Für die Freiburger Spieler hat die Historie der Jahre 2012 bis 2015 mit Europa League und Abstieg hingegen keine größere Aussagekraft. Bis auf Karim Guédé, Julian Schuster und Christian Günter ist kein Profi mehr im Kader, der sich damals für Europa qualifiziert hatte. Und wer Verteidiger Günter in Darmstadt vom "großen Ziel" reden hörte, der ahnt, dass diese Mannschaft bis zuletzt alles versuchen wird, um sich international zu qualifizieren. Das gilt auch für Streich. Allein schon deshalb, weil man die zusätzlichen Einnahmen aus dem europäischen Geschäft im Hinblick auf die damaligen Negativ-Erfahrungen gut gebrauchen könnte.

Denn zum Abstieg kam es nicht nur wegen der Mehrfachbelastung, sondern auch, weil Leistungsträger wie Daniel Caligiuri oder Max Kruse den Verein nach der geglückten Qualifikation verließen - vor der Abstiegssaison gingen dann Matthias Ginter und Torwart Oliver Baumann.

Leistungsträger wie Grifo und Philipp könnten gehen, Söyüncü soll unbedingt bleiben

Ein solch dramatischer Aderlass steht im Sommer allerdings nicht an. Die Offensiv-Größen Maximilian Philipp, 23, und Vincenzo Grifo, 24, sowie Innenverteidiger Caglar Söyüncü, 20, dürften nicht mehr lange zu halten sein, zumindest bei Grifo und Philipp droht ein Wechsel schon zum Saisonende. Söyüncü soll unbedingt bleiben, und der SC muss inzwischen auch nicht mehr jeden Wechselwunsch erfüllen. Denn der Klub hat Reserven aufgebaut. Auch die Leihspieler Florian Niederlechner und Pascal Stenzel, die der SC gerade gekauft hat, waren nicht günstig. Allein für Stenzel zahlt man vier Millionen Euro an den BVB

© SZ vom 06.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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