SC Freiburg - 1.FC Köln (17.30 Uhr):Mehr als eine Kultfigur

1. FSV Mainz 05 v 1. FC Koeln - Bundesliga

Sicherer Rückhalt und Identifikationsfigur: Thomas Kessler.

(Foto: Simon Hofmann/Getty Images)

Timo Horn ist einer der wichtigsten Spieler beim 1. FC Köln. Doch seit er verletzt ist, genießt Ersatztorwart und Fan-Liebling Thomas Kessler das Vertrauen auf Zeit - so lange wie noch nie zuvor.

Von Sebastian Fischer, Köln

Hätte er den Ball gehalten, stünde der 1. FC Köln jetzt vielleicht im Viertelfinale des DFB-Pokals, doch so hat in der Stadt in dieser Woche niemand gedacht. Thomas Kessler ist der Ball aus den Händen gerutscht, er konnte den Schuss von Luca Waldschmitt am Dienstag nicht kontrollieren, Gideon Jung traf im Nachschuss schon nach fünf Minuten zum 1:0 für den Hamburger SV, der FC verlor in Hamburg mit 0:2. Doch die Fans des Klubs haben Kessler am Freitag trotzdem zum Spieler des Monats gewählt. Warum? Das erzählt die Geschichte des Torwarts Kessler, die in dieser Saison beim FC eine der schönsten ist.

Es ist jetzt genau eine halbe Spielzeit her, dass Köln erstmals seit mehr als 20 Jahren die Bundesliga-Tabelle anführte, immerhin für eine Nacht. Am dritten Spieltag schlug der FC den SC Freiburg, Gegner am Sonntag (17.30 Uhr), mit 3:0. Thomas Kessler war damals noch verletzt, er twitterte: "Zum ersten Mal, seit ich denken kann, passt die Platzierung des FC zu unserer wundervollen Stadt und ihren Menschen." Der Tweet wurde viel zitiert. Und er zeigte die Rolle, die Kessler für diese Spielzeit zugedacht war: Kessler, der loyale Ersatztorwart, der Fan-Versteher und Köln-Liebhaber, die gute Seele der Mannschaft. Es kam dann aber anders.

Kessler ist in Köln eine Kultfigur

In Timo Horn haben die Kölner einen Keeper, der im vergangenen Sommer bei den Olympischen Spielen die Silbermedaille gewann, mit 23 Jahren immer noch eines der größten Talente in Deutschland ist und zudem wie Kessler gebürtiger Kölner. Mit anderen Worten: Er ist der natürliche Stammtorwart des Klubs. Im Herbst verletzte sich Horn dann jedoch beim Schusstraining am Geißbockheim, musste am Meniskus operiert werden. Im Derby bei Borussia Mönchengladbach bestritt Kessler, selbst nach einem Außenbandanriss erst seit drei Wochen wieder im Kader, sein erstes Pflichtspiel der Saison.

Kessler, 31, kennt den Verein wie kein anderer Kölner Spieler. Spätestens seit er über seine Liebe zum Klub twittert, eigentlich schon seit er sich zu Karneval einmal als Tim Wiese verkleidete, ist er in der Stadt eine Kultfigur. Er kam als 14-Jähriger zum Klub und hat ihn seitdem nur von 2010 bis 2012 für zwei Jahre als Leihspieler verlassen, für den FC St. Pauli und Eintracht Frankfurt. Er hat die Krisenzeiten des Klubs erlebt, kam nach der Abstiegssaison 2012 zurück, als "die Fahne auf Halbmast hing", so hat er das mal beschrieben, "die Mitarbeiter kamen mir mit Tränen in den Augen entgegen". Seitdem hat er aber auch den Aufstieg miterlebt, die Ankunft von Trainer Peter Stöger und Manager Jörg Schmadtke, die neuen Ambitionen - und wie sie gerade realistisch werden. Das Pokalaus in Hamburg war zwar ein Dämpfer, am Sonntag in Freiburg geht es aber wieder um ein anderes Ziel. "Noch 100 Tage bis Europa", titelte der Express trotzig nach dem Pokal-Aus.

Kessler lobt bei jeder Gelegenheit Trainer, Kollegen und Teamgeist. Inzwischen, sagt er, würden mehr Menschen im Verein "verstehen, was den 1. FC Köln ausmacht". Und inzwischen macht er selbst einen so großen Teil des 1. FC Köln aus wie noch nie. Als der FC im Januar das Training wiederaufnahm, sagte Torwarttrainer Alexander Bade über Horns Reha, der Stammkeeper müsse "das Laufen neu lernen". Und Vize-Präsident Toni Schumacher, früher selbst Torwart, riet Horn zur Geduld. Er sagte: "Wir haben mit Thomas Kessler einen guten Vertreter. Ich mache mir auf der Tribüne null Sorgen, dass da etwas schieflaufen könnte."

Kessler hat mehr Schüsse abgewehrt als Manuel Neuer

Er startete beim FC einst mit großen Ambitionen, aber in einer schweren Zeit für junge Torhüter. Es war die Zeit, in der Oliver Kahn im Tor der Nationalmannschaft stand und mit Erfahrung und Gestus Vorbild war. Fußballerische Fähigkeiten waren noch nicht so wichtig, Ruhe und Autorität umso mehr. Junge Torhüter mussten erst mal reifen, bevor sie Ambitionen anmelden durften. Kessler hat das Paradoxe an seiner Laufbahn einmal im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger beschrieben: "Als ich mit 21 meinen Vertrag unterschrieb, hat man gesagt: Das beste Torwartalter kommt mit 27, 28. Als ich 27 war, hat man mir gesagt. Wenn Du jetzt 21 wärst, würdest Du spielen." Ein Jahr in St. Pauli ausgenommen, blieb Kessler eine Karriere lang Reservist.

Und nun? Zehn Spiele hat er in dieser Saison bestritten, so viele wie noch nie in Köln. Er hat solide gehalten, acht Gegentreffer kassiert, von denen er die wenigsten hätte verhindern können. In der Statistik der abgewehrten Torschüsse ist er mit 77,5 Prozent einer der Besten der Liga, besser zum Beispiel als Manuel Neuer. Wenn der Klub sich in dieser Saison tatsächlich den Europapokalplätzen nähern sollte, dann ist das auch Kesslers Verdienst. Doch wenn Timo Horn bald zurückkommt, dann steht außer Frage, dass Kessler bald wieder auf der Bank sitzen wird.

Ob ihm das schwerfalle, darüber hat er neulich in einem Interview gesprochen. Früher sei das schon der Fall gewesen. Doch nun? "Ich liebe diesen Fußballverein, seit ich denken kann", sagte Kessler, er habe kein Problem mehr damit, in der zweiten Reihe zu stehen, solange er ein Teil des Vereins sein darf. Timo Horn, als hätte er diese Geschichte liebevoll geplant, will übrigens in der Woche nach Aschermittwoch ins Kölner Tor zurückkehren.

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