Saubere Olympische Spiele:Wie die Doping-Problematik vernebelt wird

5500 Dopingkontrollen, neun Sperren für Sportler kurz vor Wettkampfbeginn: Die Verantwortlichen tun so, als wären die Olympischen Spiele in London besonders sauber. Die Wirklichkeit jenseits der Propaganda sieht anders aus.

Thomas Kistner

Noch haben die Spiele nicht begonnen, fast 700 Dopingproben aber sind genommen und die Propaganda-Maschine läuft. Das Internationale Olympische Komitee stellt mit Verweis auf seine rund 5500 Kontrollen die bisher saubersten Spiele in Aussicht. So wie die britischen Veranstalter, die vor ein paar Tagen im landesweiten Glücksrausch über ihren Tour-de-France-Helden Bradley Wiggins nirgendwo die Frage aufgerührt hatten: Kann man diese Ochsentour noch mit der Kraft von Weißbrot und Wasser gewinnen?

London 2012 - Vorbereitungen

Hier geht's zur Doping-Kontrolle: Wegweiser für die Athleten in der ExCel-Arena in London.

(Foto: dpa)

Richard Pound lächelt dazu nur maliziös. Die Parole von den sauberen Spielen aber treibt ihn aus dem Sessel. "Ich will das nicht hören", sagt der Mann, der die Welt-Anti-Doping-Agentur Wada mitbegründete und acht Jahre führte. Pound, Anwalt und bis 2001 Kronprinz des früheren IOC-Bosses Juan Antonio Samaranch, kennt die schmutzige Seite des Geschäfts mit der Sauberkeit. Er weiß, wie Samaranch Tests ablehnte ("Dann ruinieren die Skandale unser Image") - und dass sie zum wertvollsten PR-Instrument für Funktionäre und Sportindustrie wurden. Denn 5500 Olympia-Proben bedeuten: Sie vernebeln dem Publikum die Sicht auf das, was hinter der Hochglanzkulisse abgeht.

Die Labore hinken weit hinter den Betrügern her; so weit, dass Pound die Bremse zieht. "Warum spürt heute nicht einmal eine Organisation wie die Wada mehr Fälle auf als früher? Die Resultate sind ein Witz. Wenn wir die Marihuana-Fälle rausrechnen, ist es sogar weniger als früher." Deshalb forderte er bei der jüngsten Sitzung des Wada-Boards: "Wir brauchen eine interne Arbeitsgruppe, die klärt, woran es liegt, dass wir nichts finden." Im November soll die Gruppe loslegen, Pound hofft, "dass ich sie selber leite".

Wie der Dopingkampf ist auch die Wada längst Teil der PR-Maschine von Verbänden und Politik. Diese finanzieren die Agentur und bestücken sie mit Aufsichtspersonal. Der Blick auf London, wo die Wada nur Beobachterstatus hat, zeigt eine entlarvende Perfektion: 48 Stunden vor Beginn sperrt der Leichtathletik-Weltverband neun Athleten, unter großem Hurra der Funktionäre. Insgesamt gab es in der vergangenen Woche fast 20 neue Dopingfälle.

Wada-Chef John Fahey feiert das als Warnschuss für alle Betrüger. Ist es so? Ein Warnschuss ist es für alle, die solche Betrugsvarianten jetzt noch korrigieren, niemand geht gern als Spiele-Sünder hoch. Zugleich drängt sich die Frage auf, warum es immer zu Punktlandungen kommt. Wieso gab es solche Erfolgsmeldungen auch schon kurz vor den Peking-Spielen 2008, als eine Reihe russischer Läufer geschnappt wurde?

"Wir warnen die Verbände, es ist besser, wenn Athleten vor und nicht während der Spiele überführt werden", räumt Arne Ljungqvist ein. Ljungqvist ist 81, der wackere Schwede leitet noch immer die IOC-Medizinkommission und ist aus Pounds Sicht eher Teil des Problems. Dieses Problem sieht nun sogar so aus, dass die London-Spiele fünf Torpedos bergen, die jederzeit hochgehen können. Verschuldet durch bürokratische Bräsigkeit, mit der das IOC seine von den Athen-Spielen 2004 eingefrorenen 3000 Proben bis kurz vor Ende der achtjährigen Aufbewahrungsfrist ignoriert hat.

Signal für die Fahnder

Als das publik wurde, entstand ein Mediendruck, der, wie Ljungqvist zugibt, dazu führte, dass einige Athen-Proben nachgetestet wurden. "Ich glaubte nicht, dass wir etwas finden", sagt der Schwede am Rande der IOC-Session, "wir hatten die Proben ja schon auf diese Substanzen getestet, und sie waren negativ."

Aber siehe da: Im Zweitversuch, mit stark verbesserter Analysetechnik, sind nun fünf Proben "verdächtig". Fünf von nur 100, die gezielt ausgesucht wurden. Das sind fünf Prozent - und das wären, auf London umgerechnet, etwa 270 Fälle. Eine ganz neue olympische Betrugsdimension.

Ljungqvist deutet an, dass es sich um Hochkaräter handelt - für Nachermittlungen gegen nepalesische Bogenschützen, sagt er, "wäre der Aufwand nicht zu rechtfertigen". Vermutlich geht es um Medaillengewinner, aus Sportarten, wo der Einsatz von Epo oder Steroiden lohnt. Laborkreise tippen auf letztere. Der Nachweiszeitraum für Steroide hat sich seit 2004 auf vier Wochen fast verdoppelt, sagt einer im Londoner Labor, auch sei man bei Designer-Substanzen vorangekommen. Ljungqvist schweigt, "bevor die B-Proben geöffnet sind".

Derzeit würden die Proben en detail abgeprüft: "Ob ärztliche Attests vorlagen, ob die Lagerung korrekt war, ob die Beweiskette hält." Dann werden die Betroffenen informiert. "Ich hoffe, wir kriegen es während der Spiele hin, das wäre ein gutes Zeichen", sagt er. "Ein Zeichen wofür", wettert Pound, "dass man nach sieben Jahren und elf Monaten noch die Kurve kriegt?"

Ein Signal könnte es dennoch sein, für die Fahnder. Dass sie den Betrügern stets nachjagen, ist eingedenk rasantester Pharma-Fortschritte logisch. Rückwirkende Tests aber drehen die Verhältnisse um: Den Doper schützt nicht mehr, aktuell vor Entlarvung sicher zu sein - er muss Gewissheit haben, dass das auch in acht oder zehn Jahren noch so ist. Daneben helfen intelligente Zielkontrollen, auch für solche gibt es im Dunstkreis dieser Spiele erste Anzeichen.

Muss man sich in der heißen Trainingsphase vor Olympia nicht alle Mitglieder einer Trainingsgruppe anschauen, in der ein Athlet auffliegt - zumal, wenn dort Spitzenleute zugange sind? Weltklasse- Doper kriegt man nicht mit Test-Bombardements, sondern mit kluger Strategie.

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