Saisonfinale im Tennis:Murray bleibt die Nummer eins

Great Britain's Andy Murray celebrates winning the final against Serbia's Novak Djokovic with the ATP World Tour Finals trophy

Umjubelt: Andy Murray gewinnt auch das Finale des ATP-Finales.

(Foto: Toby Melville/Reuters)

Im Finale des Abschlussturniers der ATP-Saison 2016 deklassiert der Schotte Novak Djokovic 6:3, 6:4 und krönt damit sein herausragendes Jahr - die Tennisszene sucht derweil bereits die nächsten Attraktionen.

Von Philipp Schneider, London

Andy Murray begann zu laufen, ein letztes Mal stürmte er zum Netz an diesem Abend, der ihn überraschend wenig Kraft gekostet hatte, noch einmal rannte Murray los an einen Ort, an dem Novak Djokovic auf ihn wartete. Schon wieder Djokovic. Wie im Mai nach dem Finale der French Open fielen sich zwei Tennisprofis in die Arme, deren Jahresbilanzen in diesem Jahr so eng beieinander gelegen waren wie ihre Geburtstage. Sieben Tage nur ist Murray älter, beide kamen sie im Mai 1987 zur Welt, der Schotte in Glasgow, der Serbe in Belgrad. In Paris hatte Djokovic gewonnen und den Höhepunkt seiner Karriere erreicht, indem er sich den letzten Grand-Slam-Titel erspielt hatte, der ihm noch fehlte. Diesmal aber hatte Murray gewonnen, das Finale der ATP Tour in London. Mit 6:3, 6:4 nach nur 102 Minuten, in denen Djokovic 30 unerzwungene Fehler unterlaufen waren. Zum ersten Mal in der Geschichte hatte das letzte Match des Jahres darüber entschieden, wer als Weltranglistenerster in das neue Jahr gehen würde: Andy Murray, der Djokovic an der Spitze des Rankings Anfang November nach 122 Wochen abgelöst hatte und der nun seinerseits auf dem Höhepunkt angekommen ist.

"Er ist der beste Spieler der Welt und er verdient es, diesen Titel zu gewinnen", sagte Djokovic. Ein kleiner Satz. Und doch beschrieb er eine plattentektonische Verschiebung der Tenniswelten.

Jahrelang hingen beim Saisonfinale in London riesige Plakate mit Djokovic im Zentrum. Direkt neben ihm standen Roger Federer und Rafael Nadal. Und etwas weiter außen war irgendwo Murray zu sehen. The Big Four. Die großen vier. Ein Bild, das es möglicherweise nie wieder zu sehen geben wird. Am Ende des Jahres 2016 gibt es ja eher die Big Two, die großen zwei. Und es gibt eine Frage, die das Saisonfinale überdauern wird: Wie lange bleiben Murray und Djokovic allein an der Spitze?

Am Samstag hat Chris Kermode, der Chef der Spielergewerkschaft ATP, zu einer Pressekonferenz geladen, um ein neues Format zu präsentieren. Ab der kommenden Saison wird es ein Saisonfinale der besten Tennis-Spieler unter 21 Jahren geben. Im November 2017 wird in Mailand die Premiere des "Next Gen ATP Finals" ausgetragen, ähnlich wie die Profis bei den ATP Tour Finals sollen sich die Spieler auch beim Ableger für die Junioren sportlich qualifizieren. Es soll ein Format sein, von dem sich die ATP (obwohl sie dort keine Weltranglistenpunkte vergibt) erhofft, dass es für all die Talente interessant ist, deren Köpfe eines Tages auf große Plakate in London gedruckt werden könnten: für den Deutschen Alexander Zverev zum Beispiel, den Kroaten Borna Coric, den Australier Thanasi Kokkinakis und die Amerikaner Taylor Fritz und Frances Tiafoe.

Es gehe um die Frage, sagte Kermode: "Wie kann unser Produkt in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren noch relevant sein?" In den vergangenen Jahren habe die ATP mit den Medien vor allem die Big Four "heftig beworben", sagte Kermode. Nun aber stehe an der Spitze des Tennis ein "Wachwechsel" an, und die ATP sehe die "Verpflichtung, viel mehr Spieler zu vermarkten für ein größeres Publikum". Das war eine schöne Umschreibung für: Die ATP fürchtet eine Verflüchtigung der "großen vier". Und in der Folge: ein Vermarktungsvakuum.

Es hat immer wieder Umbrüche gegeben im Tennis. Meistens vollzog sich der Übergang von einer Generation zur nächsten sanft fließend. Die Ära Connors, McEnroe, Lendl ging nahtlos über in die von Becker und Edberg - und diese wiederum führte zu Agassi, Courier und Sampras. Und doch ist der Bruch, der gerade spürbar wird, vergleichsweise heftig: Federer und Nadal wurden in London sehnsüchtig vermisst am Ende einer Saison, in der sie sich erstmals in ihren glanzvollen Karrieren sehr rar gemacht haben.

Als Federer letztmals nicht beim Saisonabschlussfinale spielte, war er 20 Jahre alt und das Turnier hieß noch Masters Cup. 2001 war das. Erst zwei Jahre später gewann er seinen ersten Grand-Slam-Titel und stieg auf zur Nummer eins der Welt. In der an diesem Montag erscheinenden Weltrangliste wird der Schweizer, der das Ranking einst 302 Wochen anführte, auf Platz 16 gefallen sein. Es ist die Folge einer Saison, in der der 35-Jährige nur sieben Turniere spielte und die er bereits nach Wimbledon verletzt beenden musste. Auch Nadal muss sich erst an die neuen Nachbarn gewöhnen in den Niederungen der Top 10, wo er sich als Neunter hinter dem 23 Jahre alten Dominic Thiem einsortieren wird. Im Gegensatz zu Federer hatte Nadal genug Weltranglistenpunkte gesammelt, um an den ATP Tour Finals teilzunehmen. Aber Probleme am linken Handgelenk zwangen ihn im Oktober zum Saisonabbruch.

31 wird der Spanier im kommenden Jahr, im Grunde ist das kein Alter, um ans Karriereende zu denken. Zumal er, leidgeprüft von Problemen an Schulter, Hand- und Fußgelenken sowie immer wieder am Knie, Comebacks gewohnt ist wie ein Berufspendler den Stau zur Rush Hour. Seit 2003 verpasste Nadal acht Major-Turniere, Federer dagegen schmerzte zwar immer wieder der Rücken, seine erste längere Auszeit von der Tour nahm er aber erstmals in diesem Jahr. Ob die Batterie noch geladen ist, wenn der Maestro wieder anspringen muss wie ein aus der Scheune geschobener Oldtimer, muss sich zeigen.

Ob sich der Verlust der Weltranglistenführung motivierend auf sein Spiel auswirken werde, wurde Djokovic nach dem Finale gefragt. "Ganz ehrlich", antwortete Djokovic: "Wir sollten Andy jetzt alles ein wenig genießen lassen. Stellt besser keine Fragen zur kommenden Saison." Dann lächelte Djokovic. Die Ansage war sehr deutlich. Er hatte sie lediglich in ungewöhnlich höflichen Worten verpackt.

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