Saisonfinale im Tennis:Die beste Kerber, die es je gab

Kerber of Germany returns a shot against Kvitova of the Czech Republic during their singles final match at the Pan Pacific Open tennis tournament in Tokyo

Will unbedingt zum Saisonabschluss nach Istanbul: Angelique Kerber

(Foto: REUTERS)

Mit einem radikalen Stilwechsel hat sich Angelique Kerber aus ihrem Tief befreit. Nach einer Saison voller Selbstzweifel hat sie den Spaß am Tennis wiederentdeckt. In Linz kämpft sie um einen Platz im Saisonfinale der besten acht Spielerinnen.

Von Matthias Schmid

Peking, Kiel, Linz. Vergangene Woche in China wusste Angelique Kerber noch gar nicht, dass sie in dieser Woche in Oberösterreich sein würde. Aber jetzt, wo sie schon mal da ist, wolle sie sich auch die Stadt anschauen, sagt die 25-Jährige. Vielleicht die Donau entlang schippern. "Linz soll ja sehr schön sein", sagt Kerber.

Nach einem eintägigen Zwischenstopp zu Hause in Kiel hatte sie sich am Montag aufgemacht nach Österreich, um die Saison doch noch ganz woanders beenden zu können: in Istanbul. Dort wird vom 22. bis zum 27. Oktober das Saisonfinale der besten acht Spielerinnen ausgespielt - und Kerber will unbedingt dabei sein.

Was vor ein paar Wochen noch ein ziemlich verwegenes Ziel war, ist nun ein realistisches geworden. Erst nach den US Open Ende August deutete sich an, dass es vielleicht doch noch etwas werden könnte mit einem versöhnlichen Jahresabbschluss. In Tokio erreichte Kerber das Finale, sie schlug auf dem Weg dorthin große Gegnerinnen wie die Weltranglistenvierte Agnieszka Radwanska. "Das hat ihr wieder Halt gegegeben und ihr gezeigt, dass sie sie es noch kann", sagt die Fedcup-Chefin Barbara Rittner.

Selbstverständlich war der Erfolg nicht. Es sei kein leichtes Jahr für sie gewesen, sagt Kerber selbst. Alles war schwieriger als in der Vorsaison. 2012 habe sie "kaum etwas zu verlieren gehabt", formuliert sie. Zwei Turniersiege und die Halbfinalteilnahme in Wimbledon hatten sie damals in die Top Fünf katapultiert, von da an stand sie plötzlich unter besonderer medialer Beobachtung.

Sie musste sich erst einmal daran gewöhnen, die Spielerin zu sein, die die anderen unbedingt schlagen wollen. Die Linkshänderin hat lernen müssen, mit ihrer Bekanntheit und den eigenen Ansprüchen umzugehen. "Ich habe mich selbst zu sehr unter Druck gesetzt", sagt Kerber.

Lange fand sie nicht zur der Form zurück, die sie im vergangenen Jahr an die Weltspitze geführt hatte. Sie verlor mehr Spiele als sie gewann. Nach einer hartnäckigen Rückenverletzung zu Beginn des Jahres begann sie zu zweifeln und viel schlimmer noch: an sich zu zweifeln. Plötzlich waren Fragen nach dem Warum aufgekommen, wenn das erste Match bei einem Turnier gleichzeitig auch das letzte war. In den Jahren davor hatte sich niemand für sie interessiert.

Halbfinale in Linz ist das Ziel

Erst nach Wimbledon, wo es Sabine Lisicki bis ins Finale schaffte und sie selbst überraschend in der zweite Runde ausgeschieden war, "kamen dann Spaß und Leidenschaft am Spiel zurück". Obwohl ihr ein Titel bei zwei Finalteilnahmen verwehrt geblieben ist, hat sie sich dennoch als beste deutsche Spielerin in den Top Ten der Weltrangliste etablieren können, sie steht auf Rang zehn.

Hinter ihren schwächeren Ergebnissen verbarg sich nicht nur ein mentales Problem, sondern auch ein spielerisches. Kerber lebt von ihrer Fitness, sie erläuft Bälle und spielt sie ins Feld zurück, die andere Spielerinnen längst aufgeben haben. Es ist nicht ihr Spiel, die Ballwechsel zu dominieren, die Gegnerinnen mit wuchtigen Schlägen in Bewegung zu halten und, sobald sie die Länge verlieren, auf den direkten Punktgewinn zu gehen. Ihr liegt eher das defensive Spiel, sie wartet lieber auf die Fehler ihrer Gegnerinnen, dabei kann auch sie mit ihrem Ballgefühl tolle Winkel spielen.

Sich aber allein auf die Fehler der anderen zu verlassen, reicht heutzutage nicht mehr aus. Das Frauentennis entwickelt sich stetig voran. Immer mehr Spielerinnen beherrschen es, von überall auf dem Platz direkte Punkte zu erzielen, "den Ball wegzumachen", wie die Tennisspieler sagen. Bei Kerber drängte sich aber eher der Eindruck auf, dass sie stehen geblieben ist in ihrer Entwicklung. Vor allem der zweite Aufschlag ist für die Gegnerinnen eine Einladung, meist ist sie danach in der Defensive und muss an der Grundlinie hin und her laufen.

Die spielerischen Defizite sind auch ihr bekannt. Sie wolle an ihrem zweiten Aufschlag arbeiten, auch aggressiver spielen und die Ballwechsel diktieren, hat sie schon häufiger kundgetan. Doch meistens blieb es bei der Ankündigung. Erst langsam hat sich ein Stilwechsel bei ihr vollzogen, die vergangenen Wochen zeigen es. "Angie steht jetzt viel weiter im Feld drin und spielt mit mehr Risiko", hat Rittner erkannt. Sie macht sich keine Sorgen um ihre Spitzenspielerin, im Gegenteil: "Wir sehen gerade die beste Kerber, die es je gab." Wenn sie so so weiter spiele, dann werde sie in Istanbul dabei sein.

Nach der Absage von Maria Scharapowa sind die Chancen für Angelique Kerber auf eine Teilnahme deutlich gestiegen. Im Race, also der Rangliste, die nur die Ergebnisse in diesem Jahr zählt, liegt sie auf Rang neun. Um sicher in der Türkei dabei zu sein, müsste sie in Linz das Halbfinale erreichen oder in der Woche darauf in Moskau das Viertelfinale. Mit der besonderen Arithmetik beschäftigt sie sich allerdings nicht. "Das würde mich nur verrückt machen", sagt die Linkshänderin vor ihrem ersten Match an diesem Mittwoch gegen die Rumänin Monica Niculescu, welches sie in drei Sätzen gewann (0:6, 6:1, 6:2).

Sie wolle einfach von Runde zu Runde schauen, sagt Kerber zunächst vorsichtig, um dann nach einer Sekunde des Nachdenkens doch noch ungewohnt forsch hinzufügen: "Am besten, ich gewinne das Finale hier, dann reicht es bestimmt." Angelique Kerber will beweisen, dass sie kein One-Year-Wonder ist.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: