Sabine Lisicki vor Wimbledon:Weit weg von der Kirsche auf der Torte

Sabine Lisicki vor Wimbledon: Größter Erfolg und bitterste Niederlage zugleich - Sabine Lisicki weint nach dem verlorenen Wimbledon-Endspiel 2013.

Größter Erfolg und bitterste Niederlage zugleich - Sabine Lisicki weint nach dem verlorenen Wimbledon-Endspiel 2013.

(Foto: AFP)

Das Wimbledon-Turnier 2013 hat Sabine Lisickis Leben verändert: Seit ihrer Finalniederlage plagen sie körperliche Probleme und sie gewinnt selten. Diesmal hat in London eine andere Deutsche bessere Chancen.

Von Michael Neudecker, London

Marion Bartoli zeigte am Sonntag ihre Schulter her, "schauen Sie", dann zog sie ihr Jäckchen etwas tiefer, frei wurde der Blick auf eine Schulter, die aussah, als hielten sie nur die großen, neonfarbenen Tape-Bänder zusammen. "Nein", sagte Bartoli charmant schmunzelnd, und das war schon die Antwort auf diese Frage: Ob sie es bereue, nach ihrem Wimbledon-Sieg vor einem Jahr aufgehört zu haben? Es hätte kein besseres Ende geben können, sagte Bartoli, sie hat damals etwas geschafft, das sie noch immer "Wunder" nennt, manchmal "Märchen": eine in die Jahre gekommene Außenseiterin, die beim wichtigsten Tennisturnier der Welt keinen Satz verlor, auch nicht gegen die blonde Deutsche, die sich in jenen zwei Wochen zum Publikumsliebling hochgelächelt hatte.

Come on, Sabeen, come on Lasickey, das waren die Rufe der Zuschauer im Finale damals, lange her.

Bartoli kommt mit Schmuck und ohne Tennis-Shirt

Wimbledon hat viele Traditionen, eine ist, dass der Titelverteidiger am Tag vor Beginn zur Pressekonferenz erscheint, die ein grauhaariger Brite mit den britisch gesprochenen Worten eröffnet: "Ladies and Gentlemen, es ist mir eine große Ehre, den aktuellen Champion vorzustellen." Marion Bartoli kam nicht im Tennis-Shirt, sie kam ohne Sponsorenaufdruck, sie trug glitzernden Schmuck, und dann sprach sie wie eine, die keine Tennisspielerin mehr ist, über das, was hinter ihr liegt, das, was sie gerade macht und fühlt und denkt. Und, auch das, über ihre Gegnerin in ihrem letzten großen Match, Sabine Lisicki.

Ob sie glaube, dass Lisicki dieses Jahr gewinnen könne? Naja, sagt Bartoli, ihr Jahr sei ja nicht so gut gewesen, aber: Sie liebe Wimbledon so sehr, "sie kann hierher kommen und eine vollkommen andere Spielerin sein als das restliche Jahr". Viel hänge wohl davon ab, wie es Lisicki in den ersten zwei, drei Runden ergehe, wie ihr der Start in die zweite Woche gelinge.

Stimmt schon, Wimbledon kann Sabine Lisicki verwandeln, und ob eine es ins Finale schafft, hängt immer davon ab, ob sie in den Turnier-Rhythmus kommt. Nach Lage der Dinge ist es nur so, dass für Sabine Lisicki schon die erste Runde eine Hürde ist. Sie spielt gegen Julia Glushko aus Israel, Weltranglistenplatz 82.

Wimbledon 2013 war ihr Turnier, Lisickis Wimbledon, erst im Finale änderte das Bartoli, aber 2013 ist vorbei. "Ich hatte zwei phantastische Wochen", sagt Lisicki, "auch wenn ich die Kirsche auf der Torte nicht bekommen habe." Sie weiß wohl, dass sie lange nicht mehr so weit von der Kirsche entfernt war wie diesmal.

Lisicki ist oft ohne Tennisschläger zu sehen

Sie ist noch Nummer 19 der Welt, aber sie hat seitdem bei fünf Matches aufgeben müssen, so oft wie keine andere Spielerin der Top 20, Magen, Schulter, Hüfte, oft tat irgendetwas weh, und wenn sie schmerzfrei war, verlor sie meist. Gegen die Rumänin Monica Niculescu in Melbourne, Weltranglisten-64., die Kanadierin Aleksandra Wozniak in Indian Wells, Nummer 241, in Charleston musste sie gar die heftigste Niederlage ihrer Karriere hinnehmen, 1:6, 0:6, gegen Andrea Petkovic, ausgerechnet. Andrea Petkovic ist auch in Wimbledon, sie war gerade im Halbfinale der French Open, und wenn die Deutschen hoffen, dass Petkovic die Lisicki von Wimbledon 2014 werden kann, liegt das auch an Pektovic selbst.

Dass Sabine Lisicki in den kommenden zwei Wochen wieder die Lisicki von 2013 wird, die Hoffnung gibt es auch, aber wenn es so käme, wäre die Geschichte noch märchenhafter als die von Marion Bartoli.

Michael Stich, der frühere Wimbledon-Sieger, hat neulich dem Tennismagazin ein Interview gegeben, er kennt sich immer noch aus in der Szene, und als es dann um Sabine Lisicki ging, sagte Stich: Er glaube, "dass Sabine und ihr Umfeld die Konsequenzen unterschätzt haben, die ein gesteigertes allgemeines Interesse mit sich bringen". Es scheine, als habe sie "es neben den ganzen Terminen abseits des Platzes nicht geschafft, den Fokus auf das Tennis zu legen". Ob das wirklich so ist, kann auch Stich nicht beurteilen, Sabine Lisicki aber wäre nicht die erste Sportlerin, die auf einmal so viel Zeit im Rampenlicht verbringt, dass ihre Augen danach zu lange brauchen, um sich wieder an das normale Licht zu gewöhnen. Eine Wimbledon-Finalistin hatte Deutschland 14 Jahre nicht mehr, und weil eine unentwegt lächelnde Blondine gut vermarktbar ist, war Sabine Lisicki nun oft ohne Tennisschläger zu sehen, auf roten Teppichen, mit ihrem Freund, dem Fernsehgesicht Oliver Pocher.

Bartoli wird Lisickis Eröffnungsmatch live verfolgen

Lisicki selbst sagt, sie habe ihren Fokus nicht verloren, kann sein, dass sie Recht hat, als alleinige Erklärung für ihre unheimliche Niederlagenserie seit Wimbledon 2013 wäre das ohnehin zu plump. Sportliche Leistung entsteht immer in der Addition vieler Faktoren, auch deshalb hat Lisicki schon im September ihren Trainer Wim Fissette entlassen und im Januar Martina Hingis engagiert. Die frühere Nummer eins und die Deutsche, die sie an guten Tagen "Bum-Bum-Bine" nennen, das klang vielversprechend, aber die Verbindung hielt nicht lange. Am Wochenende gab Lisicki die Trennung von Hingis bekannt, es ist nicht ganz klar, ob sich Lisicki von Hingis getrennt hat oder Hingis von Lisicki. In Lisickis Mitteilung steht, die Trennung sei "einvernehmlich" erfolgt, aber in der Sprache offizieller Mitteilungen heißt "einvernehmlich" fast immer, dass es zwei Meinungen gab. Lisicki wird jetzt wieder von ihrem Vater Richard trainiert.

Am Dienstag darf Sabine Lisicki das Frauen-Turnier auf dem Centre Court eröffnen, in Wimbledon ist das eine Ehre, die eigentlich dem Titelverteidiger zukommt. Marion Bartoli wird auch da sein, sie wird oben in der Royal Box sitzen, bei den Adligen, von keinem Platz ist die Sicht besser.

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