Russland:Das Geheimnis der 17 Kriterien

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Der deutsche Ermittler Günter Younger trug die Belege zusammen, auf die sich die Urteile stützen.

Von Johannes Aumüller

Per Skype hatten sie ihn zugeschaltet für die entscheidenden Gespräche. An Günter Youngers Arbeitsplatz in Montreal ging es auf Mitternacht zu, und in Pyeongchang war es schon Mittag, als das zuständige Panel des Internationalen Sportgerichtshofes (Cas) zur Wochenmitte zu einer Runde bat. Über die Klagen von 47 russischen Sportlern hatte es zu befinden. Und dabei wollte es sich von Younger erklären lassen, wie genau das ablief in der Prüfkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) - und wie das war mit jenen 17 Kriterien, die über Einladung oder Nicht-Einladung der Russen für die Spiele entschieden.

Younger, 50, ist noch nicht lange Teil der Sportwelt. Er war für Interpol und das LKA Bayern tätig, seit knapp eineinhalb Jahren arbeitet er bei der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) als Leiter der Ermittlungsabteilung. Und in dieser Funktion saß er in jener IOC-Prüfkommission, die zuletzt die olympische Welt so beschäftigte. Und um deren Arbeitsweise es bis heute Diskussionen gibt.

Im Dezember hatte das IOC entschieden, Russlands Olympia-Komitee für kurze Zeit zu suspendieren - aber speziell geprüfte russische Athleten dennoch für die Spiele in Pyeongchang zuzulassen. Kurz vor Weihnachten traf sich die vierköpfige Prüf-Gruppe um Younger und Frankreichs Ex-Sportministerin Valérie Fourneyron das erste Mal. Im Januar erhielten sie aus Russland eine Liste mit 500 möglichen Startern. Dann legten sie 17 Kriterien fest, anhand derer sie die Kandidaten bewerten wollten; ein paar Unterkriterien gab es auch noch.

"Wir haben in einer Tabelle vermerkt, welches Kriterium bei welchem der 500 Sportler erfüllt ist. Es ist aber unwahrscheinlich, dass ein Sportler nicht eingeladen wurde, weil er nur in einem Kriterium auffällig war", sagt Younger. In jedem Fall waren nach der Erstellung der Tabelle und der Diskussion in der Gruppe nur noch 369 Athleten übrig - und wurden viele prominente russische Namen von Anton Schipulin (Biathlon) bis Sergej Ustjugow (Langlauf) nicht eingeladen, obwohl gegen sie kein Dopingverfahren läuft.

Nicht nur in Russland fragen sich viele, warum? Die 17 Kriterien als solche sind klar. Die Younger-Gruppe schaute zum Beispiel, bei wessen Proben der Sotschi-Spiele 2014 es Kratzer am Flaschenhals oder sonstige Auffälligkeiten gab. Dies könnte als Indiz für eine mögliche Manipulation gewertet werden. In die Wertung kam aber besonders eine von einem Whistleblower zugespielte Datenbank mit Aufzeichnungen aus dem Moskauer Labor aus den Jahren 2012 bis 2015. Dadurch ließen sich etwa vertuschte Tests oder auffällige Steroid-Profile im Nachhinein feststellen. Aber es gab auch offenere Kriterien, aktuelle Hinweise aus den Fachverbänden zählen dazu oder "vertrauliche Wada-Informationen", etwa die Hinweise von Whistleblowern. In jedem Fall aber bleibt die Kernfrage oft ungeklärt: Was genau wird jedem einzelnen Sportler vorgeworfen? Dieses Argument brachten auch die russischen Anwälte vor dem Cas-Panel vor und sprachen von einem "Mangel an Transparenz" - vergeblich.

Younger sagt, er fühle sich in dem Prozess nicht als Richter, der über eine ausermittelte Beweislage urteilt. Sondern mehr als Polizist, der verdächtigen Dingen nachgehe. Nun tritt die absurde Situation ein, dass Schipulin, Ustjugow & Co. bei Olympia nicht dabei sind, weil sie als nicht sauber gelten, aber beim Weltcup bald wieder starten dürfen. Falls die Ermittler nicht auf Weiteres stoßen. Younger hofft insbesondere aufgrund der Datenbank auf neue Erkenntnisse. "Darin geht es um mehr als 60 000 Proben, die gibt noch viel mehr her. Wir würden gerne an die Rohdaten der Datenbank kommen, aber die gibt uns Russland bisher nicht."

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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