Russische Schwimmer bei der EM:Fragezeichen im Wasser

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Nicht immer auf der Höhe: Der russische Schwimmer Wladimir Morosow zeigte in Berlin trotz seiner Favoritenstellung nur eine durchwachsene Leistung.

(Foto: Damien Meyer/AFP)

Russland sorgt sich wegen der vielen Dopingfälle im Land. Es droht eine Kollektivsperre, sollten weitere Schwimmer erwischt werden. Bei der EM in Berlin wirken die russischen Athleten seltsam gebremt, sogar der sonst so starke Wladimir Morosow fliegt in den Vorläufen raus.

Von Johannes Aumüller und Claudio Catuogno, Berlin

Wladimir Morosow hat gerade wenig Grund, zufrieden zu sein. Und auch wenn von seiner Ursachenforschung noch nicht viel nach außen gedrungen ist - einen Schuldigen hat er im Laufe der EM-Woche bereits benannt: das Hallendach. Über dem temporären Pool im Berliner Velodrom hängt die größte freitragende Stahldecke Europas. Wenn man den Blick nach oben richtet, sieht man Kreise. Die Rückenschwimmer, die fürs Geradeausschwimmen Orientierungspunkte brauchen, hätte das Dach "verwirrt", sagte Morosow zu russischen Journalisten. Man hätte "Fähnchen aufhängen sollen".

Vielleicht lag es ja tatsächlich auch daran, an fehlenden Fähnchen, dass die russischen Schwimmer in Berlin mit gebremster Kraft unterwegs waren. Wladimir Morosow flog über 50 und 100 Meter Freistil in den Vorläufen raus, obwohl er jeweils als schnellster Europäer angereist war. Andererseits: Wenn man nicht gerade Rückenschwimmer ist, schaut man sich während eines Rennens selten die Hallendecke an. Und über die 50 Meter Rücken gewann Morosow ja die einzige Goldmedaille für das russische Becken-Team. Die anderen acht EM-Titel brachten Wasserspringer und Synchronschwimmerinnen ein.

"Wir sind auf Messers Schneide"

Das Abschneiden der Russen in Berlin weist schon ins kommende Jahr: Dann findet die WM in Kasan statt, in der russischen Republik Tatarstan. Sie soll ein riesiges Schwimmfest werden, mit nie da gewesenem Begleitprogramm. Doch die Russen machen sich Sorgen. Nicht nur um die Leistungsfähigkeit ihrer Athleten. Sondern auch, ob diese bei ihrer eigenen WM überhaupt an den Start gehen dürfen.

Witali Mutko jedenfalls hat kürzlich einen viel beachteten Satz in die Welt gesetzt, es ging um die große Zahl von Dopingfällen, die in letzter Zeit in Russland in diversen Sportarten aufgeflogen sind: "Wir sind auf Messers Schneide", sagte Mutko, "im Schwimmen fehlen ein oder zwei Fälle, dann wird der Verband suspendiert." Mutko ist russischer Sportminister. Er hat wenig Grund, den heimischen Sport in ein schlechtes Licht zu rücken - es sei denn, die Lage ist ernst.

Die Mahnung des Ministers lenkt den Blick auf einen Absatz im Regelbuch des Schwimm-Weltverbands Fina, Absatz 12.1. Demnach muss die Fina einen Landesverband für 24 Monate sperren, wenn sie innerhalb eines Jahres vier Schwimmer aus diesem Land des Dopings überführt. Viele Verbände sehen solche Kollektivstrafen vor, etwa Skisportler, Leichtathleten und Ruderer. Doch fast immer ist die Komplett-Sperre eine Kann-Vorschrift. Nur bei der Fina ist von Ermessensspielraum keine Rede. Wenn sie ihre Regeln ernst nimmt, muss sie die Sperre beim vierten Dopingfall aussprechen. Zur Anwendung kam die Vorschrift allerdings noch nie.

Fehlt noch ein Fall? Oder zwei?

Nun wurden in den vergangenen drei Jahren mehr als ein Dutzend russischer Schwimmer des Dopings überführt. Doch wenn zum Beispiel lediglich Maskierungsmittel gefunden werden, keine harten Leistungs-Optimierer wie Steroide oder Epo, fällt das nicht unter die Regel. Außerdem ist entscheidend, wer die Doper überführt und sanktioniert. In Russland hat zuletzt die nationale Anti-Doping-Agentur Rusada einige Fahndungserfolge erzielt, doch in Absatz 12.1. heißt es: Fälle, die von "Mitgliedsorganisationen oder deren nationalen Anti-Doping-Agenturen" gemeldet werden, sind ebenfalls ausgenommen.

Stimmt Mutkos Rechnung trotzdem? Fehlt noch ein Fall? Noch zwei? Unstrittig ist, dass im vergangenen Oktober die Weltmeisterin Julia Jefimowa wegen Steroid-Dopings für 16 Monate gesperrt wurde. In zwei weiteren bekannt gewordenen Fällen stehen Sanktionen noch aus, die Fina gibt wegen der laufenden Verfahren keine Kommentare dazu ab.

Eine Kollektivstrafe droht

Wenigstens ein Fina-Fall ist aber darunter: Sergej Makow wurde ebenfalls im Oktober 2013 positiv getestet, beim Fina-Weltcup in Moskau. Kurzbahn-Europameister Witali Melnikow wiederum fiel im Dezember bei der Kurzbahn-EM in Dänemark mit Epo-Doping auf. Der Fall Melnikow wird nach SZ-Informationen vom Europa-Verband Len abgewickelt, das bestätigen russische Quellen. Das macht es kompliziert. Könnte die Fina einen Len-Fall einfach ignorieren? Die Anfrage, ob Len-Fälle unter die 12.1.-Regel fallen, beantwortete die Fina tagelang nicht.

Doch der Minister Mutko liegt in jedem Fall richtig: Ein, zwei Fälle noch - dann droht die Kollektivstrafe. Und dann würde sich zwangsläufig die Frage stellen, ob die Fina mit einem Verband auf operativer Ebene eine WM ausrichten kann, den sie auf sportlicher Ebene suspendiert hat.

Allerdings halten es Sportrechtler für unwahrscheinlich, dass die recht abstrakte formulierte Fina-Regel Bestand hätte, wenn ein gesperrter Verband sie vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas brächte: In einem Riesenland wie Russland kommen ja schneller vier Überführte zusammen als anderswo. Auch die Frage der Verhältnismäßigkeit könnte sich stellen. Wenn es überhaupt so weit kommt. Fina-Exekutivdirektor Cornel Marculescu sagte kürzlich der NZZ, er mache sich "keine Sorgen".

Ab Oktober, ein Jahr nach der Jefimowa-Überführung, wird eh neu gezählt. Bis dahin findet nur noch der Kurzbahn-Weltcup unter Fina-Regie statt. Und so, wie sich die russischen Schwimmer in Berlin präsentierten, besteht ja auch gleich viel weniger Anlass, mal den Kontrolleur vorbeizuschicken.

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