Fußball:Rumänien fängt in Frankreich von vorne an

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Rumäniens Gabriel Torje jubelt über seinen Treffer im Freundschaftsspiel gegen die Ukraine. (Foto: AFP)

Der rumänische Fußball ächzt unter ständigen Skandalen. Der junge Präsident will ihn revolutionieren - und bei der EM soll die Mannschaft als Symbol für den Aufbruch stehen.

Von Peter M. Birrer, Cluj

Bevor Razvan Burleanu sich entschloss, in den Wahlkampf als Präsident des rumänischen Fußballverbandes einzusteigen, fragte er seinen Vater um Rat. Und Gheorghe Burleanu, ein ehemaliger Profi in der ersten Liga, antwortete: "Du hast keine Chance. Das System ist korrupt, also lass' die Finger davon!"

Burleanu, 31, sitzt ein paar Wochen vor dem EM-Start im Grand Hotel Italia von Cluj in einem Sitzungszimmer, schlägt die Beine übereinander und schaut durch eine Brille mit feinen Rändern. Er sagt über das Gespräch mit seinem Vater: "Das wollte ich hören." Anfang März 2014 wurde er mit 29 der jüngste Verbandspräsident der rumänischen Fußballgeschichte. Einer Geschichte, die auf großer Bühne in Frankreich eine entscheidende Wendung nehmen soll.

Burleanu verkörpert den Versuch einer Revolution im rumänischen Fußball. Als Doktor der Politikwissenschaften hätte er auch in die Politik gehen können, aber ihn hat der Sport angezogen. Er hatte selber bis 19 gespielt. Burleanu junior hatte nicht das Talent von Burleanu senior, aber das Auge, und er sah damit auch Spieler in seinem Alter, die trotz Qualitäten nie gefördert wurden, "und da merkte ich erstmals, wie das Ganze lief - und dass noch andere Faktoren einen Einfluss hatten, ob einer gut genug war für eine Nationalmannschaft". Sein Vater hatte Recht.

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Investitionen in den Nachwuchs

Burleanu schaute in die Bücher, entdeckte ein Minus von 5,5 Millionen Euro, stellte fest, dass die Nachwuchsarbeit sträflich vernachlässigt wurde, dass eine Marketingabteilung genauso wenig existierte wie ein Archiv. Schnell kam er zur Einsicht: "Wir müssen alles neu aufbauen und starten nicht bei null. Sondern bei unter null."

Er wechselte die Belegschaft aus, um Seilschaften und Vetternwirtschaft kontinuierlich zu eliminieren. Er stopfte Löcher, in denen jahrelang Unsummen versickert waren, und erreichte Ende 2015 das erste Etappenziel: die Gewinnzone. Der Verband investierte 300 000 Euro in eine neue Jugend-Eliteliga, genauso viel in zwei Nachwuchsakademien und denselben Betrag auch in den Schulfußball. Den Sport, von dem sich die Rumänen kontinuierlich abgewendet haben, "müssen wir wieder zugänglich machen", sagt Burleanu: für die Fans, für die Jugendlichen. 108 000 Menschen in Rumänien spielen im Verein Fußball, bloß 0,5 Prozent der Bevölkerung.

Doch für einen Neustart braucht es nicht nur Geld, sondern Glaubwürdigkeit. Und die ist über die Jahre verschwunden. Burleanu sagt: "Tag für Tag kommt immer mehr zum Vorschein, wie korrupt das Land war und wie viel Zeit wir verloren haben, um nach dem Niedergang der Diktatur die Ordnung wiederherzustellen."

Was in Gesellschaft und Politik schiefging, schlug sich auch im Sport nieder. Die Präsidenten der Klubs scheuten sich nicht, die Grenzen des Erlaubten zu überschreiten. Sie rochen das schnelle Geld, versprachen irrsinnige Löhne und landeten am Ende hinter Gittern. Viele Vereine in Rumänien waren oder sind nicht mehr fähig, die Abmachungen einzuhalten, sind insolvent - und verleihen dem Fußball ihres Landes so einen miserablen Ruf.

Das Vorgehen der Klubs kennt ein wiederkehrendes Muster: Spieler aus dem Ausland holen und auf schnellen Gewinn hoffen - und wenn alles schiefgeht, tauchen die ab, die das Schlamassel zu verantworten haben. Manchmal endet es ganz böse wie mit Unirea Urziceni, dem rumänischen Meister von 2009. In der darauffolgenden Saison nahm der Verein stolz an der Champions League teil, 2011 wurde er aufgelöst.

Geht wieder ein Verein in Konkurs, hält Burleanu das allerdings nicht für einen Rückfall, sondern für ein Zeichen, dass Gaunereien nicht mehr geduldet werden. "Wir stehen immer noch am Anfang", sagt Burleanu, "aber wir können erste Erfolge vorweisen." Seine Erfolge sind klein, aber richtungsweisend.

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Die Mannschaft als Symbol: Sie kommt ohne Stars aus

Der Verband verfügt nun über ein Ressort Kommunikation, über eine medizinische Abteilung, zur Schulung der Unparteiischen ist der frühere Fifa-Schiedsrichter Kyros Vassaras aus Griechenland verpflichtet worden, und Tipps, wie Fans ins Stadion geholt werden können, erhalten die Rumänen von den niederländischen Verbandskollegen. Geht es um die Basisarbeit, schaut man nach Dänemark. Und was die eigenen Klubs angeht, sollen in Zukunft die Verantwortlichen erst dann ein Amt übernehmen dürfen, wenn sie zuvor eine Lizenz erworben haben - sie müssen beim Verband eine Ausbildung absolvieren.

So vieles hat Burleanu vor, so vieles hört sich gut an, nach Aufbruch. 2020 sollen vier neue Stadien in Bukarest stehen, Rumänien soll sich bei der EM in seinem schönsten Kleid präsentieren. Aber ist all das, was er umsetzen will, auch realistisch? Oder sind es nicht bloß Träume?

Vielleicht taugt die Mannschaft, die Rumänien nach Frankreich schickt, als Symbol. Es gibt keine Stars mehr, keinen wie früher Gheorghe Hagi. Die Bekanntesten sind Razvan Rat von Rayo Vallecano oder Vlad Chiriches beim SSC Neapel, der Rats Kapitänsbinde übernommen hat. "Wenn man keine Stars hat, muss man eben mehr gemeinsam arbeiten", sagt Assistenztrainer Viorel Moldovan, früher selbst Nationalspieler. Die Mannschaft überstand die Qualifikation souverän, sie verlor keines ihrer zehn Gruppenspiele, Torverhältnis 11:2 - mäßige Durchschlags-, aber auch immense Widerstandskraft. Moldovan und Nationalcoach Anghel Iordanescu wollen in Frankreich für ihr Land werben. Moldovan sagt: "Wir können bei der EM sagen, dass Europa über uns redet." Er meint: positiv.

© SZ vom 10.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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