Rugby-WM:Sanfter Riese

Die "All Blacks" aus Neuseeland gewinnen das Finale der Rugby-WM gegen Australien und verteidigen als erste Mannschaft ihren Titel - auch und vor allem dank ihres Kapitäns Richard McCaw.

Von Johannes Knuth

Der Mann des Abends wirkte ein wenig schüchtern. Senkte den Blick, pulte an seinen Finger- nägeln. Ab und zu hob Richard "Richie" McCaw seinen Kopf, zum Beispiel, als ihn ein Journalist fragte, was ihm dieser Erfolg seiner Mannschaft am Samstag gegen Australien bedeute. McCaw ist 1,88 Meter groß, 106 Kilogramm schwer, er ist kräftig und zerfurcht wie ein Baumstamm, aber wenn er redet, dann setzt er nüchterne Botschaften ab: "Wir haben uns für das Finale qualifiziert, das war unser Ziel. Wir sind hergekommen, um unseren Job zu erledigen, und wir haben unseren Job erledigt." McCaw klang jetzt wie ein Schichtarbeiter, der sich auf den Feierabend freut. Nicht unbedingt wie ein Kapitän, der seine Mannschaft gerade zu einem rekordbehafteten WM-Titel gesteuert hat.

Es war eine Welle von Superlativen, die am Wochenende auf die All Blacks prasselte, auf Neuseelands Rugbykönner. Beste Mannschaft des Turniers, nach dem 34:17-Erfolg im Finale gegen den ungeliebten Nachbarn Australien. Dritter WM- Titel, Rekord. WM-Titel von 2011 verteidigt, als erste Mannschaft überhaupt. "Es ist offiziell: Diese Neuseeländer sind die beste Rugbymannschaft aller Zeiten", stellte der britische Telegraph fest, stellvertretend für die anglo-amerikanischen Rezensenten dieses WM-Turniers in England. Allein die Architekten des Erfolgs taten sich mit den Superlativen etwas schwer. Steve Hansen, Trainer der All Blacks, nuschelte, dass seine Spieler "recht ordentlich Rugby spielen". Und McCaw, der Baumstamm, gab noch zwei Mal zu bedenken, dass man hergekommen sei, um einen Job zu erledigen. Und dass man diesen Job zufriedenstellend erledigt habe. Der 34-Jährige hält es nicht für nötig, seine Taten durch große Worte aufzublasen, er lässt sich von Emotionen und Erwartungen eben nicht die Sicht vernebeln, und vermutlich ist das der Grund, das sie McCaw für einen der besten Kapitäne seines Sports halten. Und dass seine Mannschaft an den turmhohen Erwartungen nicht zerschellt war.

Diese achte Rugby-WM war ein packendes Turnier gewesen, die Zuschauer- kulissen, die Quoten waren prächtig, aber nirgendwo waren die Beobachter so aufgekratzt wie in Neuseeland. Wenn die All Blacks spielen, schleppen sie ja den Stolz des ganzen Landes mit sich herum, vor den Spielen tanzen sie den Haka, den traditionellen Maori-Tanz, nach den Spielen steht schon mal John Key in der Kabine, der Premierminister. Sieben Wochen lang hatten die Nerven einer Nation geflattert. Und mittendrin McCaw, die Ruhezone einer Mannschaft, ach was, eines Landes.

McCaw hatte 2006 die Geschäfte als Kapitän übernommen. Die All Blacks waren schon immer technisch hochbegabt gewesen, ähnlich wie die Brasilianer im Fußball, das Gift des Zweifels hatte sie aber oft lahmgelegt, vor allem in wichtigen Spielen. Es waren Persönlichkeiten wie McCaw und Kicker Daniel Carter, die der Mannschaft eine neue, mentale Härte einflößten. McCaw erteilt auf dem Feld kurze, knappe Instruktionen. Er kann einen Angriff fast im Alleingang steuern, weil er - wenn er einen Gegenspieler zu Boden reißt - oft schon an das nächste und übernächste Tackling denkt. Mitspieler und Fans legen ihm das als Kunst aus, manche Gegner als Schwindel. Weil McCaw, wenn er auf dem Boden mit Gegnern rangelt, die Regeln dehne und auch mal breche, sagen sie. Was niemand bestreitet: dass McCaw ruhig bleibt, wenn um ihn herum alles zusammenzufallen droht; und diese Ruhe überträgt er auf seine Mitspieler. "Im Rugby kannst du das Momentum nie ständig kontrollieren", hat McCaw einmal gesagt, "es schwingt hin- und her. Man muss den richtigen Moment abwarten und dann zuzuschlagen."

Am Samstag ereignete sich dieser Moment tief in der zweiten Spielhälfte. Die Neuseeländer hatten den ersten Durchgang bestimmt, sie waren so oft, so dynamisch und kraftvoll gegen die gelbe Verteidigungsmauer der Australier gerannt, bis diese zerbröselte. Drei Mal trugen die All Blacks das Spielgerät in die Endzone der Australier. Es waren allerdings nicht diese Spielzüge, die die Partie entschieden. Es war jene Phase, in der Neuseelands Ben Smith für zehn Minuten vom Feld gestellt wurde und die Australier das Spiel an sich rissen. Bis auf vier Punkte krochen sie dem Favoriten auf die Pelle. Dabei blieb es. Auch, weil McCaw den Australiern drei Mal kühn das Ei raubte und damit auch die Hoffnung auf ein Comeback erstickte. Als Daniel Carter kurz darauf das Ei aus der Drehung in den Londoner Abendhimmel trat und durch die Torstangen drückte, legte sich eine warme Stille über das Twickenham-Stadion. Der Favorit, das spürten die 80 000, hatte sich behauptet.

Vielleicht ist es McCaws Herkunft, die ihm diese stille Größe verleiht. Er ist aufgewachsen in Kurow, einer ländlichen Region auf der Südinsel. Als die Bauern vor ein paar Jahren von einer Dürre heimgesucht wurden, fuhr McCaw zu ihnen und sprach ihnen Mut zu. Er ist ein wenig schroff, aber höflich und bescheiden, die Aufmerksamkeit sucht ihn, nicht andersherum. Die Einladung zur Hochzeit von Prinz William und Kate ließ er verstreichen, er wolle sich lieber auf die kommenden Spiele vorbereiten, ließ er damals ausrichten. McCaw war selten verletzt, er hat 148 Länderspiele in den Knochen, auch ein Rekord. Er hat eine Mannschaft nicht nur zu zwei WM-Titeln geführt, sondern eine Generation geformt, die die Konkurrenz noch für eine Weile dominieren dürfte, auch ohne McCaw. Das Finale war vermutlich sein letztes Spiel. Was McCaw hinterher kaum thematisierte. Er fand, dass dieser Tag der Mannschaft gehören sollte, nicht ihm.

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