Rugby:Wenn Nationalspieler streiken

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Hier noch oben auf: Ayron Schramm fängt gegen die amerikanische Auswahl den Ball.

(Foto: imago/Jan Huebner)
  • Die besten deutschen Spieler boykottieren das Länderspiel gegen Chile.
  • Es ist der vorläufige Höhepunkt eines Streits, der seit eineinhalb Jahren hinter den Kulissen schwelt und nur schwer zu schlichten ist.

Von Tobias Schächter, Offenbach

Als der Stadionsprecher nach zehn Minuten Spielzeit rief: "Da geht was", sah es noch ganz gut aus für die Auswahl des Deutschen Rugby Verbandes (DRV) auf dem Bieberer Berg von Offenbach beim Weltranglistenspiel gegen Chile. Mit 3:0 führte die Auswahl des DRV am Samstagnachmittag, am Ende aber musste sich das deutsche Team mit 10:32 gegen die Südamerikaner geschlagen geben. "Wenigstens haben wir nicht 0:50 verloren, die Jungs haben sich gut verkauft", sagte ein Fan auf dem Nachhauseweg. Dabei schienen die Zeiten, als die deutsche Nationalmannschaft nur leichter Spielball für die Gegner war, vorbei zu sein. Das deutsche Rugby erlebte in den vergangenen Jahren einen Aufschwung, das große Ziel, die erstmalige Teilnahme an einer WM wirkte nicht mehr wie eine Utopie.

Aber seit einer Woche ist wieder alles ganz anders, die Begegnung gegen Chile vor offiziell 2600 Zuschauer war eines der denkwürdigsten Länderspiele.

Angetreten war die 15er-Auswahl des DRV mit einer Not-Auswahl, die unter der Woche aus dem aktuellen Kader der Siebener-Nationalmannschaft und einigen Bundesligaspielern zusammengestellt wurde. Die besten Spieler des Landes nämlich boykottierten diese Partie. Nach dem Länderspiel am Samstag vor einer Woche in Wiesbaden gegen die USA erklärten die beiden Mannschaftskapitäne Michael Poppmeier und Sean Armstrong ihre Unzufriedenheit mit der Verbandsführung. Am Dienstag schließlich kündigten sie einen Streik der Partie gegen Chile an - den sie in die Tat umsetzten. Wer das verstehen will, muss auf die Strukturen im deutschen Rugby schauen.

Der große Förderer hat keine Lust mehr zu fördern

Hintergrund der bizarren Entwicklung ist ein seit rund anderthalb Jahren schwelender Streit zwischen dem DRV auf der einen Seite und der Wild Rugby Academy (WRA) sowie der Gesellschaft zur Förderung des Deutschen Rugby Sport (GFR) des Heidelberger Unternehmers und Mäzens Dr. Hans-Peter Wild (Capri-Sun) auf der anderen. In der vergangenen Woche eskalierte dieser Zwist öffentlichkeitswirksam durch den Boykott der Nationalspieler, alle 22 Cracks sowie die sechs Trainer der 15er-Auswahl sind bei der WRA angestellt und werden von dieser wie Profis bezahlt. Am Samstag stand kein einziger davon auf dem Platz.

Seit Jahren ist Wild der größte Förderer im Deutschen Rugby, mindestens zehn Millionen Euro investierte der 76-jährige Milliardär in die WRA in Heidelberg. Einen Kooperationsvertrag mit dem DRV ließ Wild im Sommer auslaufen, für die drei Spiele in diesem November schien die Abstellung der Spieler und des Trainerteams aber geklärt. Die GFR gründete Wild mit der Absicht, das Nationalteam der 15er-Auswahl selbst zu vermarkten. Doch die Marketing GmbH des DRV will die die Nationalmannschaft selbst vermarkten, auch weil der Verband dadurch Gelder für den Nachwuchs, Schiedsrichterausbildung und andere Dinge finanzieren will. Trotz einer Einigung am Ende ließ Wild eine erneute Kooperation platzen, weil der DRV einen unterschriebenen Vertrag erst nach der vereinbarten Frist geschickt hatte.

Fördergelder des Bundes fließen ausschließlich in die Siebener-Variante des Sports, weil diese olympisch ist. Wild wollte, dass sich der Verband voll auf die 15er-Förderung konzentriert. Dieser Punkt beschreibt eine seltsame Situation im Weltrugby: Zugpferd der Globalisierung des Sports ist die 15er-Variante, die Nationalmannschaft Neuseelands stieg in dieser Spielart als die "All Blacks" zu einer weltweit bekannten Marke auf. Weltmeisterschaften dieser Spielart sind nach Olympischen Spielen und Fußball-Weltmeisterschaften das drittgrößte TV-Ereignis im Weltsport. Es gibt große Ligen, die viele Zuschauer anziehen, wie die Top-14 in Frankreich, wo - ähnlich der Premier-League im Fußball - die besten Spieler spielen und viel Geld bewegt wird.

"Wirtschaftlicher Frontalangriff"

Der frankophile Wild ist seit diesem Frühjahr Besitzer des Top-14-Klubs Stade Français Paris. Dort fungiert als Vertrauter und Sprachrohr Wilds die deutsche Rugby-Legende Robert Mohr. Der ehemalige zweite Reihe-Stürmer ist Sportdirektor in Paris und auch Sportlicher Leiter der WRA in Heidelberg. Mohr und Christopher Weck, der kaufmännische Geschäftsführer der WRA, hatten am Dienstag in einer Mitteilung erklärt, "dass sich die Spieler alleine gelassen fühlen, da der Vorstand den Hauptsponsor Dr. Hans-Peter Wild verprellt" habe. Vorwürfe wurden geäußert, von unprofessionellen Strukturen bezüglich Ausstattung und Betreuung der Mannschaft war die Rede.

Am Samstag nach dem Spiel gegen Chile schilderte die Führungsriege des DRV die Entwicklung aus ihrer Sicht. Eine Stunde lang standen DRV-Präsident Klaus Blank, Geschäftsführer Volker Himmer und Sportchef Manuel Wilhelm Rede und Antwort. In einem Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung hatte Mohr am Vormitttag mehr oder weniger klar den Rückzug der Verbandsspitze gefordert. Der Verband habe sich in eine Abhängigkeit der Wild-Seite begeben, gab Sportchef Wilhelm zu. Wie es nun weitergehen soll, ist offen. Himmer nannte den Streik einen "wirtschaftlichen Frontalangriff" auf den DRV.

Wie mögliche Sponsoren auf die negative Entwicklung reagieren, weiß auch Präsident Blank nicht. Möglicherweise ist das Tischtuch zwischen beiden Seiten endgültig zerschnitten. Blank kündigte harte Sanktionen "gegen einige, aber nicht alle Spieler" an. Wilhelm kann die Unsicherheit der Spieler, die in der GFR angestellt sind, in "gewissem Maße verstehen", wenn der Arbeitgeber mit dem Verband über Kreuz liege. "Aber für einen Streik habe ich kein Verständnis", stellte Wilhelm klar. Das haben auch der Weltrugby-Verband und der Europäische Verband nicht, die laut Blank aufgrund der Einflussmöglichkeiten eines Sponsors die Deutschen ermahnt hätten. Wild sei schwer zu erreichen, klagte ein ratloser Präsident des DRV: "Er nimmt den Hörer nicht ab."

Das deutsche Rugby steht vor einem Scherbenhaufen, der Skandal machte weltweit Schlagzeilen. Das Ziel, bei der nächsten WM in Japan 2019 dabei zu sein, ist Stand jetzt plötzlich wieder so unrealistisch wie noch vor ein paar Jahren. Aber auch wenn es keine Annäherung mehr gibt zwischen den verfeindeten Parteien, werde es weitergehen mit Rugby in Deutschland. DRV-Geschäftsführer Himmer sagte zu den kommenden EM-Spielen im Frühjahr: "Dann fahren wir halt wieder mit dem Zug zu Spielen nach Moskau."

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