Rücktritt von Schweinsteiger:Ein ganz normaler Weltstar

Bastian Schweinsteiger hat das Publikum oft irritiert. Mit ihm verliert der DFB eine spezielle Persönlichkeit.

Von Thomas Hummel

Als Bastian Schweinsteiger noch in München wohnte, da saß er gerne bei einem Italiener in der Reichenbachstraße draußen an der Straße. Oder stand abends in der Robinson-Bar. Er ließ sich einspannen, weil im Viertel ein Bolzplatz abgerissen werden sollte, warf Bälle in die Kindermenge, tanzte und sang mit ihnen.

Was diese Episoden mit seinem Rücktritt aus der Nationalmannschaft nach 120 Länderspielen zu tun haben? Sie geben einen kleinen Einblick darin, dass der DFB mit Bastian Schweinsteiger nicht nur einen Fußballer verliert. Sondern auch eine Persönlichkeit. Einen Menschen, der in der Glitzerbranche Fußball zu einem Weltstar reifte, auf der anderen Seite aber ein ganz normaler Typ ist.

Als er nach seinem nun letzten Länderspiel im Stade Vélodrome von Marseille aus der Kabine schlich, wirkte dieser breite, starke Kerl wie ein kleiner Bub. Er wusste, er hatte einen saublöden Bock geschossen Sekunden vor der Halbzeit, hatte ein Handspiel begangen im Strafraum, was die Franzosen zum 1:0 genutzt hatten. Es war der Anfang vom Ende im Halbfinale der EM. Traurig, sehr traurig versuchte er die Aktion damit zu erklären, dass er sie nicht erklären konnte. Er war so ernsthaft niedergeschlagen, man hätte am liebsten jemanden gerufen, der ihn sogleich in den Arm nehmen möge. Bastian Schweinsteiger hatte eben noch nie Angst vor Gefühlen. Auch nicht vor den schlechten.

Als er in Marseille darauf angesprochen wurde, ob das nun sein letzter Auftritt gewesen sei, wurde er noch trauriger. Sein Kopf fiel tief auf die Brust, er seufzte und stöhnte. Vermutlich spürte er, es würde so kommen. Aber die Wucht dieses Schrittes überforderte ihn. "Da muss ich jetzt erst mal noch überlegen", wich er aus. Drei Wochen später nun hat er genug überlegt und schreibt: "Mit dem Rücktritt verlasse ich die Nationalmannschaft, die mir immer eine wertvolle Familie war. Ich hoffe, dass die Verbindung trotzdem in der ein oder anderen Form erhalten bleibt."

Der heute 31-Jährige irritiert das Publikum, seit er beim FC Bayern in den Profibetrieb einstieg. Am 13. November 2002 war das, es lief noch das Zeitalter der deutschen Rumpelei und grimmiger "Führungsspieler", die Mitspieler an der Nase vom Spielfeld zogen, wenn sie nicht spurten. Schweinsteiger lag das überhaupt nicht, er wollte nur spielen.

Weil die Deutschen aber eben rumpelten, verkörperte er zusammen mit Lukas Podolski und Philipp Lahm schon als 20-Jähriger die Hoffnung des deutschen Fußballs. Er stand von Beginn an unter strenger Beobachtung, bei der Sommermärchen-WM im eigenen Land stieg er zum Gute-Laune-Spieler auf. Er war immer noch der junge Mann aus Oberaudorf an den Alpen, mit einer Ausbildung zum Bürokaufmann und einigen Flausen im Kopf. Bei der EM 2008 spielte er mit blondierten Haaren und feierte auf dem Spielfeld mit schwarz-rot-goldenem Hut.

Held aller Kinder

Die Wandlung vom "Schweini" zum "Basti", vom Schelm auf der Außenbahn zum ernsthaften Anführer in der Spielfeldmitte folgte mit der Ankunft des Trainers Louis van Gaal beim FC Bayern 2009. Als sich dann Michael Ballack vor der WM 2010 verletzte, staunte die Welt in Südafrika über den großartigen Strategen, ehrgeizigen Kämpfer und mentalen Erfolgsmenschen Bastian Schweinsteiger. Klar, die grimmigen Führungsspieler beklagten nach jeder Niederlage, dieser Typ sei zu still, zu ehrlich, zu klein. "Chefchen" nannte ihn der Boulevard. Sie kamen allesamt nicht klar mit dem bescheidenen Stil Schweinsteigers. Diese Debatte wäre ihm sein gesamtes Leben nachgelaufen, doch es sollte noch London kommen. Und vor allem Rio.

Mit dem Sieg gegen Dortmund vertrieb er den Fluch vom Finale dahoam, als er gegen Chelsea im Champions-League-Finale den vorletzten Elfmeter an den Pfosten setzte. Bei der WM in Brasilien stieg er in den Olymp des Sports auf. Die Szenen in der Verlängerung des Finals gegen Argentinien, als er mit blutender Wunde im Gesicht neben dem Spielfeld getackert wird, wieder auf den Rasen läuft und kurz darauf das entscheidende 1:0 fällt, das ist eine Legende für viele Generationen.

Diese Erfolge machten aus ihm einen Star. Er ist derjenige, der vor dem WM-Finale dem Model Giselle Bündchen die Hand gibt und nach dem Finale Lionel Messi tröstet. Ein Held war er schon immer gewesen, zumindest für alle Kinder, die sich zum Geburtstag ein Trikot wünschten. Mit seiner allürenfreien Art stand er den Kleinsten immer nah und das sagt vielleicht mehr über einen Menschen aus als all die Gala-Empfänge mit Fliege und Anzug.

Es gibt Beobachter, die hätten sich den Rücktritt von Bastian Schweinsteiger schon vor der vergangenen EM gewünscht. Und sie haben ja recht, nach den unzähligen Verletzungen und Leiden der vergangenen Jahre bewegte er sich sportlich auf einem schwierigen Grat. Doch er wollte es eben noch einmal versuchen in Frankreich. Er tat es mit allem, was in ihm drin war.

Am Montag wird er 32. Vor Kurzem hat er die Tennisspielerin Ana Ivanović in Venedig geheiratet. Bei Manchester United wollen sie ihn wohl nicht mehr, bei welchem Verein er in der kommenden Saison spielen wird, ist völlig unklar. Es sieht ganz danach aus, als würde Bastian Schweinsteiger einen neuen Lebensabschnitt betreten.

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