Rücktritt in Gladbach:Favre geht den Fohlen durch

Rücktritt in Gladbach: Kann brüllen, ist aber kein Kämpfer: Lucien Favre.

Kann brüllen, ist aber kein Kämpfer: Lucien Favre.

(Foto: AP)

Bewundernswert, wie Borussia Mönchengladbach seinem Trainer Lucien Favre ein Milieu schuf, in dem er seine Bestleistung abrufen konnte. Doch er ist und bleibt ein Künstler.

Kommentar von Christof Kneer

Der klassische Kommentar zu diesem Thema ist schnell formuliert, er erübrigt sich fast: Natürlich ist es fahrlässig, vielleicht sogar ein bisschen rücksichtslos, wie Lucien Favre seine Borussia verlassen hat. Es sei "die beste Entscheidung für den Verein und die Mannschaft, eine Veränderung herbeizuführen", hat der Trainer in seinem Abschiedsbrief mitgeteilt. Ein wahrer Satz ist das nur, wenn man die Formulierung "die beste Entscheidung" durch "die schlechteste Entscheidung" ersetzt.

Es hat in 53 Jahren Bundesliga schon viele skurrile Scheidungen mit und ohne Rosenkrieg zu bestaunen gegeben, wovon nicht alle auf das Konto von Armin Veh und Felix Magath gingen. Aber dass ein Trainer gegen den Willen seiner Vorgesetzten und der von ihm ausdrücklich lieb gewonnenen Mannschaft am Anfang einer Woche flüchtet, in der sein Team gegen zwei direkte Konkurrenten spielt: Das muss Lucien Favre erst mal einer nachmachen.

Mit ruhiger Hand in die Champions League

"Nicht sauber" hat Felix Magath den Abschied des Trainerkollegen Favre genannt, und spätestens dieser Satz muss nun der Anlass sein, noch eine zweite Deutungsebene für diese sonderbare Trennungs-Geschichte zu finden. Denn das kann ja keiner wollen: dass Favre sich Haltungsnoten vom Branchenzyniker Magath gefallen lassen muss, einem anerkannten Experten für Sauberkeit.

Die gemeinsame Geschichte von Lucien Favre und Borussia Mönchengladbach war zu groß, um sie jetzt kleinzureden. Die Borussen haben es vor allem diesem zauseligen Gelehrten zu verdanken, dass sie, eigentlich zum ersten Mal seit den Siebzigerjahren, wieder eine gute Story zu erzählen hatten. Sogar der alte Fohlen-Mythos konnte erstmals wieder ohne schlechtes Gewissen zitiert werden, und diese viereinhalb gemeinsamen Jahre werden nicht dadurch ausgelöscht, dass Favre seinen Fohlen nun plötzlich durchgegangen und davongaloppiert ist.

Die Borussia hat unter Favre und - nicht zu vergessen - dem listigen und besonnenen Sportchef Max Eberl etwas geschafft, was sie abseits jeglicher Tabellenplätze als großes Kompliment nehmen darf: Sie hat es vorübergehend zu einer Referenzgröße in der Branche gebracht. So wie sich alle Klubs unterhalb von Bayern München vor zehn Jahren an Werder Bremen orientieren wollten, so haben sich zuletzt viele auf den Weg der Borussia bezogen. Mit ruhiger Hand von Platz 18 über die Relegation ins Mittelfeld, von dort in die Europa- und schließlich in die Champions League, und das mit einem Fußball, dem man ansehen konnte, wie er ständig mitwächst und reift - das war sie, die Geschichte, die alle nachspielen wollten.

Favre ist Künstler, kein Kämpfer

Gerade erst stand Favre als "Trainer des Jahres" auf den Titelblättern, und dass es nun so schnell ging mit seiner Entzauberung, hat nicht nur mit einer Branche zu tun, in der alles fürschderlisch schnelllebisch geworden ist, wie Rudi Völler zurecht anmerken würde. Die Rasanz dieser Entwicklung passt auch zur Persönlichkeitsstruktur dieses im Wortsinne eigenartigen Mannes. Im tiefsten Innern ist Favre ein leidenschaftlicher Ausbildungstrainer, dem das Herz aufgeht, wenn er einen seiner 19-Jährigen in die Champions-League-Arenen bringt; dank seines Wissens übers Spiel und seiner hohen Trainerqualität ist der Kauz aus den Schweizer Bergen in eine Wettbewerbswelt hineingeraten, die ihm im Grunde fremd ist.

Für seine Sportchefs ist dieser Trainer eine Herausforderung, weil sein Zugang zur Personalpolitik doch recht gewöhnungsbedürftig ist. Favre möchte eigentlich gar keine teuren Profis haben, er mag nicht an verrückten Millionensummen gemessen werden; aber gute Spieler möchte er halt schon, und Manager Eberl hat mit der Zeit eine gewisse Routine entwickelt.

Die Karriere-Stationen von Lucien Favre

Vereine als Spieler FC Lausanne (1976-1979), Xamax Neuchâtel (1979-1981), Servette Genf (1981-1983 und 1984-1991), FC Toulouse (1983-1984).

Vereine als Trainer FC Echallens (1991-1994), FC Yverdon (1996- 2000), Servette Genf (2000-2002), FC Zürich (2003-2007), Hertha BSC (2007-2009), Borussia Mönchengladbach (2011-2015)

Favre fühlte sich manchmal unverstanden

Er hat stets und oft erfolgreich versucht, die Personalwünsche seines zaudernden Trainers zu antizipieren - trotzdem hat sich Favre nicht immer verstanden gefühlt. Sein Abschied war eher keine Kurzschlusshandlung; auch er hat sich zuletzt verlassen gefühlt, von einer Borussia, die ihm weder den gewünschten Abwehrspieler noch einen Nachfolger für Weltmeister Christoph Kramer besorgt hat.

Man darf die Gladbacher ruhig dafür bewundern, dass es ihnen viereinhalb Jahre gelungen ist, ein Milieu zu schaffen, in dem dieser ebenso versierte wie komplexe Coach seine Bestleistung abrufen konnte - und auch dafür, dass nie etwas nach draußen drang von den Schwankungen dieses Trainers, der mehr als einmal mit seinem Rücktritt kokettiert hat, zuletzt wohl am Tag vor dem Trainingsauftakt.

Dennoch endet die Geschichte nun so, wie sie keiner der beiden Parteien gerecht wird: Der Verein ist in Not und das Image des Trainers auf dem Weg dahin, wo es vor viereinhalb Jahren schon einmal war. Lucien Favre wird jetzt wieder als Künstler gelten, der kein Kämpfer ist.

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