Ruder-WM in München:Pokern statt Studieren

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Marcel Hacker rudert ins WM-Finale und qualifiziert sich damit bereits für die Olympischen Spiele 2008.

Jochen Breyer

Petra Hacker mag diese Spannung gar nicht. Im ersten Vorlauf ihres Sohnes Marcel, der bei der Ruder-WM im Einer als Favorit mitrudert, ist die kleine Frau mit den kurzen grauen Haaren auf der Tribüne rastlos hin und her gehetzt. Während des Viertelfinals am Dienstag hatte sie sich dann ihre Schirmmütze so weit ins Gesicht gezogen, dass sie nichts mehr sah. Und beim Halbfinallauf am Donnerstag hat sie sich dazu noch die Ohren zugehalten. Dabei gab es doch gar keine Grund zur Nervosität: Marcel Hacker ruderte souverän auf Platz zwei hinter dem Neuseeländer Mahe Drysdale und damit ins WM-Finale, das am Samstag ausgetragen wird.

Drei Rennen gemeistert, das Finale wartet noch auf Marcel Hacker. (Foto: Foto: dpa)

Auch Marcel Hacker selbst war vor seinem Halbfinallauf aufgeregt, fast so sehr wie seine Mutter. "Halbfinals werden schärfer gefahren als Finals, da geht es um den eigenen Arsch", hatte er prophezeit. Die Augen und die Ohren hat er sich dann trotzdem nicht zugehalten während des Rennens und sich mit dem Finaleinzug auch gleichzeitig für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr in Peking qualifiziert.

"Hier pokern alle"

"Das war mein oberstes Ziel", sagte er, "alles andere ist Zubrot." Alles andere ist der WM-Titel oder mindestens eine Medaille auf seiner Heimstrecke in Oberschleißheim, doch dafür muss Hacker im Finale gegen eine Konkurrenz bestehen, die selten so furchterregend war wie dieses Jahr: Olympiasieger Olaf Tufte aus Norwegen, dem britischen Henley-Sieger Allan Campbell, Weltcupgewinner Ondrej Synek (Tschechien) und Weltmeister Drysdale steigen am Samstag ins Boot. "So eine Leistungsdichte hatten wir noch nie", sagt Hacker "und wie stark die Jungs wirklich sind, weiß ich noch nicht mal." Es ist schließlich so, dass große Ruderregatten zu einem großen Teil nicht im Rudern, sondern in einer ganz anderen Disziplin entschieden wird: Im Pokern.

"Synek ist ein Pokerface", urteilt Hacker etwa über seinen Kontrahenten aus Tschechien, der in diesem Jahr in den Weltcups allen davon brauste, bei der WM in München aber wie es scheint den Wehrlosen mimt und sich nur als abgeschlagener Dritter für den Endlauf qualifizierte. "Hier pokern alle", sagt Hacker und schließt da den Ruderer Hacker durchaus mit ein: "Ein paar Körner habe ich mir auch aufgespart." Vielleicht hat er sich deshalb vor ein paar Monaten ein Pokerset für Anfänger zugelegt und eine Pokerrunde mit den deutschen Skull-Ruderinnen gegründet.

"Marcel ist taktisch exzellent gefahren", lobte Michael Müller, der Sportdirektor des Deutschen-Ruderverbandes (DRV). Hacker hatte im Halbfinale Drysdale zunächst davon preschen lassen, eher er sich Stück für Stück ansaugte und nach 1500 Metern den Neuseeländer gar attackierte. "Er hat Drysdale angetestet", sagt Müller, und Hacker selbst befand: "Ich hätte was machen können, wollte aber nicht, ich musste mir die Hose ja noch nicht unnötig nass machen."

Eine nasse Hose hätten einige andere deutsche Boote liebend gerne in Kauf genommen für den Einzug ins Finale. Am ersten Halbfinaltag scheiterten drei der sechs Männer-Boote in den olympischen Disziplinen: Der Zweier und der Vierer ohne Steuermann sowie der Doppelzweier schafften es nur ins B-Finale, in der es noch um die Olympia-Tickets geht. Insgesamt können damit schon fünf der neun Boote des DRV, die ihre Halbfinals bereits hinter sich haben, am Finalwochenende nicht um Medaillen mitfahren. An diesem Freitag kämpfen fünf weitere Teams um den Finaleinzug, darunter der Männer-Achter.

Für den DRV, der jahrelang das weltweite Rudern beherrscht hatte, sorgen diese Ergebnisse für Unbehagen. Müller erklärt die Schwäche akademisch: "Wir haben unsere Ruderer ja dieses Semester studieren lassen", sagt er, die Deutschen saßen also in der wichtigen Vorbereitung nicht wie die Konkurrenz im Boot, sondern im Hörsaal. "Wir haben sicherlich ein Drittel weniger trainieren können als die anderen", schätzt Müller. Marcel Hacker kommt dem Sportdirektor da als Beleg seiner These wie gerufen: Der Magdeburger, der bei dieser WM von allen deutschen Ruderern bisher den besten Eindruck hinterlassen hat, ist einer der wenigen im deutschen Team, die nicht studieren.

© SZ vom 31.08.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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